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Auf dem Weg zum größten Bioenergiedorf

Lesezeit: 7 Minuten

In Wettesingen (Nordhessen) sollen rund 200 Haushalte sowie mehrere Firmen mit Nahwärme versorgt werden. Sowohl Grund- als auch Spitzenlast stammen aus erneuerbaren Energien.


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Willkommen in Wettesingen“ steht auf dem hölzernen Ortsschild, das von blühenden Geranien verziert wird. Dem Schild kann man auch entnehmen, dass es den Ort in der Nähe von Kassel in Nordhessen mit 1 200 Einwohnern und 360 Haushalten schon seit über 1 000 Jahren gibt. Davon zeugen auch die vielen alten Fachwerkhäuser.


Doch Wettesingen ist keinesfalls ein verschlafenes Nest. Der kleine Ort könnte demnächst zu den größten Bioenergiedörfern in Deutschland gehören. Nicht nur, dass fast 200 Haushalte mit regenerativer Wärme versorgt werden sollen.


Die Wärme wird auch – anders als in vielen anderen Dörfern – zu 100 % aus erneuerbaren Energien stammen. „Wir wollen auch für die Spitzenlast im Winter kein Gas oder Öl nehmen“, erklärt Marco Ohme, Geschäftsführer der BBB Biogas Breuna GmbH. Zusammen mit der Wettesinger Energiegenossenschaft hat er sich als Initiator für die Umstellung der Energieversorgung im Dorf eingesetzt.


Zentrale Biogasanlage:

Herzstück der neuen Nahwärmeversorgung ist die Biogasanlage der BBB Biogas Breuna, die vier Gesellschaftern gehört. Neben Ohme ist unter anderem auch Landwirt Ingo Baake beteiligt, auf dessen Betrieb die Anlage steht. Sie ist seit März 2007 mit einer elektrischen Leistung von 500 Kilowatt (kW) am Netz. Die Abwärme wird bislang dazu verwendet, um ganzjährig Scheitholz, Hackschnitzel und Getreide zu trocknen. Außerdem werden Haushalte im näheren Umfeld der Anlage über ein Nahwärmenetz mit Wärme versorgt.


Als Inputstoffe wandern Mais (46 %), Festmist von Landwirten aus der Umgebung (35 %) sowie Ganzpflanzensilage und Zuckerrüben in die Anlage.


Im Jahr 2010 hat sich in Wettesingen eine Energiegenossenschaft gegründet mit dem Ziel, das Dorf mit einem regenerativen Nahwärmenetz auszustatten. „70 % der Häuser sind alte Fachwerkhäuser. Fast alle haben noch Ölheizungen mit schlechtem Wirkungsgrad, die weit mehr als 18 Jahre auf dem Buckel haben“, erläutert Ohme. Der Heizbedarf der Dorfbewohner ist also enorm. Und eine Sanierung ist in den denkmalgeschützten Häusern nur in den seltensten Fällen durchführbar und bezahlbar.


An der Genossenschaft sind heute schon 178 Haushalte sowie die Gemeinde Breuna, zu der der Ort Wettesingen gehört, beteiligt. Jeder Genosse hat eine Gesamteinlage von 4 500 € einzahlen müssen.


Langes Nahwärmenetz:

Die Energiegenossenschaft hat sich zusammen mit der BBB Biogas Breuna auf ein umfangreiches Nahwärmeprojekt geeinigt. Hierzu wird durch das Dorf ein 9,3 km langes Nahwärmenetz verlegt. An das Netz angeschlossen werden nicht nur ca. 200 Haushalte, sondern auch eine Kirche, Rathaus, Kindergarten, Feuerwehrhaus, Sparkasse, eine Metzgerei, eine Gärtnerei und eine Schreinerei.


Hauptlieferant der Wärme bleibt die bestehende Biogasanlage, die allerdings mit einem zusätzlichen Fermenter und einem neuen Gärrestlager auf 900 kW (elektrisch) nahezu verdoppelt wird. Außerdem haben die Betreiber das bestehende Gärrestlager gasdicht abgedeckt.


Das zusätzlich erzeugte Gas wird über eine 380 Meter lange Mikrogasleitung zu einem Satelliten-BHKW mit 366 kW elektrischer Leistung geleitet, das in einem gemauerten und lärmgeschützten Heizhaus neben einer Gärtnerei errichtet wurde. „Die Gärtnerei verbraucht allein 60 000 Liter Heizöl im Winter, sodass die Wärme von dem BHKW im Winter fast nur dafür gebraucht wird“, erklärt Ohme.


Neben dem BHKW steht noch ein Pufferspeicher mit 36 m3 Volumen, der nicht benötigte Wärme zwischenspeichert. Von dort gelangt sie in das Nahwärmenetz.


Sollte eines der Blockheizkraftwerke ausfallen, wird das zuviel erzeugte Gas in einem Biogasbrenner ebenfalls zur Wärmeerzeugung genutzt, der neben der Biogasanlage steht.


Drei Pelletkessel:

Die Biogasanlage mit den beiden BHKW deckt insgesamt 73 % der im Ort benötigten Wärme ab. Für die restlichen 27 % wird eine weitere Heizzentrale gebaut. Hier werden drei Holzpelletkessel mit 390, 540 und 720 kW thermischer Leistung stehen.


Die drei Kessel sind in Kaskade geschaltet. Das bedeutet: Erst springt der kleine Kessel an. Sollte die Wärme dann nicht ausreichen, werden die beiden anderen je nach Bedarf dazugeschaltet. „Holzpellets sind ein idealer Brennstoff für die Spitzenlast“, begründet Ohme die Wahl.


Denn anders als z. B. bei Hackschnitzeln sind Pellets ein definierter Brennstoff, der sich in Silos blasen und lagern lässt. Die Zufuhr des Brennstoffs in den Kessel ist auch einfacher, man muss keinen Dosierbunker mit dem Radlader befüllen oder eine große Lagerhalle vorhalten. Zwar sind Pellets teurer als Hackschnitzel. „Aber über die eingesparte Arbeitszeit und die geringeren Investitionskosten wird sich ein Pelletkessel bei uns schneller amortisieren als eine Hackschnitzelheizung“, rechnet Ohme vor.


Die Größe des Bunkers ist mit 90 m3 so ausgelegt, dass sich das Dorf damit bei Ausfall der Biogasanlage und selbst bei strengem Frost rund eine Woche lang versorgen kann.


Den Strom für die Heizzentralen liefern übrigens zwei Photovoltaikanlagen, die auf den Dächern beider Heizhäuser mit zusammen 33 kW Leistung gebaut werden sollen. Darüber hinaus wird auch hier ein Pufferspeicher mit ca. 120 m3 Fassungsvermögen angeordnet.


Ein Generalunternehmer:

Eine weitere Besonderheit in dem Dorf ist, dass das gesamte Nahwärmenetz einschließlich Pelletkessel, Pufferspeicher, Blockheizkraftwerke und Biogasbrenner an die Firma Viessmann aus Allendorf (Hessen) als Generalunternehmer vergeben wurde. „Um Zeit zu gewinnen, ist der Generalunternehmer nach vorheriger betriebswirtschaftlicher Prüfung des Projekts mit der Planung in Vorleistung getreten, bis die Genossenschaft gegründet und mit finanziellen Mitteln ausgestattet war“, nennt Ohme einen Vorteil dieses Vorgehens. Auch sorgt die Firma dafür, dass es keine Schnittstellen zwischen Nahwärmenetz, Wärmeerzeugung und Wärmeabnahme gibt. Dennoch werden örtliche Planungs-, Heizungs- sowie Hoch- und Tiefbaufirmen mit eingebunden.


Die Kosten für die Nahwärmeversorgung sind so aufgeteilt: Die Erweiterung der Biogasanlage um Fermenter und Gärrestlager einschließlich Abdeckung des vorhandenen Behälters, die Verdichterstation für das Mikrogasnetz sowie das Mikrogasnetz selbst hat die BBB Biogas Breuna getragen. Die Kosten dafür beliefen sich auf rund 1,4 Millionen Euro.


Das komplette Nahwärmenetz, das Satelliten-BHKW sowie die drei Pelletkessel inklusive der Pufferspeicher gehören dagegen der Genossenschaft, die dafür insgesamt 5,2 Millionen Euro aufbringen muss.


Die BBB Biogas Breuna verkauft der Genossenschaft das Rohbiogas ab Flansch der Biogasanlage zu einem marktüblichen Preis pro kWh Brennwert. Außerdem verkauft sie die Wärme aus dem BHKW der BBB zu einem Preis, über den allerdings Stillschweigen vereinbart wurde.


Günstige Wärme:

Für den Anschluss an das Nahwärmenetz zahlt jeder Anschlussnehmer je nach Größe der Übergabestation einen Grundpreis sowie den Arbeitspreis, der nach Kilowattstunden abgenommener Wärme abgerechnet wird. Die Wärme kostet die Genossen etwa 7 Cent je Kilowattstunde. Damit liegt der Preis mindestens 30 % unter dem, was sie vorher für die Wärme aus einer Ölheizung bezahlt haben. „Viele Bürger vergleichen den Nahwärmepreis immer nur mit dem Ölpreis. Aber das ist Augenwischerei“, meint Ohme.


Denn bei einem Wirkungsgrad von 82 %, den viele alte Heizungen noch haben, lassen sich aus einem Liter Heizöl 8 kWh Wärme erzeugen. Bei einem Ölpreis von 81 Cent sind allein das schon Kosten von 10,25 ct/kWh Wärme. Dazu kommen die Kosten für Schornsteinfeger, Wartung und Reparatur sowie die Kapitalkosten für die Heizung, sodass 13 ct/kWh Wärme keine Seltenheit sind. Beim Anschluss an das Nahwärmenetz heizen sie nicht nur günstiger, sondern haben auch noch den ehemaligen Raum für die Öltanks gewonnen.


Die Genossenschaft nimmt aber nicht nur den Erlös für den Wärmeverkauf ein, sondern verdient auch mit dem Blockheizkraftwerk Geld, das im Jahr zusätzlich rund 150 000 € Stromerlös einbringt.


Nachfrage steigt:

Die Nachfrage nach Anschluss an das Nahwärmenetz wird künftig steigen, ist Ohme überzeugt: „Viele Häuser haben noch einen kleinen Holzofen als Beistellherd. Aber sie müssen künftig einen Filter für den Holzofen haben. Auch werden ältere Bewohner das Heizen mit Holz nach und nach aufgeben.“


Aber das Nahwärmenetz ist nicht das letzte innovative Projekt, das in Wettesingen entsteht. Als nächstes sind Bürgerwindparks geplant. Außerdem plant die BBB Biogas Breuna einen Stall für 200 Mastbullen auf Tretmist. Während der Mist in die Biogasanlage wandern soll, gibt es für das Fleisch bereits eine große Nachfrage von mehreren Schlachtereien. Ohme fasst zusammen: „All das zeigt, dass die Energieerzeugung bei uns völlig neue Möglichkeiten in einem alten Dorf eröffnet.“Hinrich Neumann

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