Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) wirft der deutschen Regierung vor, mit ihrer Agrarpolitik ökologische Reformen in ganz Europa zu behindern. In einem am Dienstag vorgestellten Gutachten vergeben die Regierungsberater der Politik die Note mangelhaft.
Während die Bundesrepublik in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle beim Umweltschutz einnehme, sei die Agrarpolitik ein "Negativbeispiel", heißt es in dem Bericht. Deutschland habe auf eine Abschwächung von Bemühungen der EU-Kommission gedrängt und auch auf nationaler Ebene Spielräume nicht genutzt. "Hier fehlt bereits ein breiter Konsens für eine umweltgerechte und zukunftsfähige Landwirtschaft", schreiben die sieben SRU-Experten.
Konkret kritisieren die Professoren verschiedener Fachrichtungen im Umweltgutachten 2016 den übermäßigen Einsatz von Pestiziden. Sie fordern eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel sowie Pufferzonen, in denen keinerlei Pflanzenschutzmittel angewendet werden dürfen, zum Beispiel an Gewässern und Feldrändern, berichtet Spiegel Online.
Deutschland sollte Vorreiter in Europa beim ökologischen Umbau sein und die Ressourcennutzung, Emissionen und Abfälle senken. Der Handlungsdruck beispielsweise durch den Klimawandel sei so groß, dass er mit herkömmlichen Ansätzen allein nicht mehr bewältigt werden könne. Notwendig seien strukturelle Veränderungen in Bereichen wie Landwirtschaft, Energie und Wohnen.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat das neue Gutachten des Sachverständigenrates heute entgegengenommen. "Ich werde mich auch weiterhin auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene dafür einsetzen, dass Deutschland eine Vorreiterpolitik betreibt", sagte sie. Sie wolle sich verstärkt dafür engagieren, dass umweltpolitische Maßnahmen auch in anderen Politikbereichen mitgedacht und verankert werden, so Hendricks weiter. Den SRU gibt es seit 1971, er übergibt dem Bundesumweltministerium alle vier Jahre ein umweltpolitisches Gesamtgutachten.
DBV: Nicht schon wieder die Landwirtschaft einseitig belasten!
„Es ist zu befürchten, dass die vom Umweltrat genannten Zielkonflikte im Umwelt- und Naturschutz einseitig zu Lasten der Landwirtschaft und der ländlichen Räume gelöst werden sollen. So lautet die erste Reaktion des Deutschen Bauerenverbandes.
"Der Sachverständigenrat für Umweltfragen spricht von ‚strukturellen Veränderungen‘ der Landwirtschaft und meint damit offenbar eine Extensivierung und faktische Stilllegung großer Teile der Landwirtschaft und der ländlichen Räume“, so der DBV-Umweltbeauftragte Eberhard Hartelt.
Der Landwirt kritisiert außerdem die Strategie des Sachverständigenrates für mehr „Wildnisgebiete“. Das Beispiel des Wolfes zeige, dass diese sogenannte Wildnis eigentlich nur dann existieren kann, wenn hohe Zäune gezogen werden. „Eine produktive und zugleich umwelteffiziente Landwirtschaft bleibt nötig, um die großen Herausforderungen Ernährungssicherung, Klimaschutz und Energiewende zu bewältigen“, so Hartelt weiter. Dazu sei es sinnvoll, Hemmnisse bei der Umsetzung von Fördermaßnahmen für Biodiversität, wie etwa beim Greening und bei den Agrarumweltmaßnahmen auszuräumen, anstatt die Struktur der EU-Agrarförderung grundsätzlich in Frage zu stellen.
SPD: Landwirtschaftsminister muss umsteuern
Ute Vogt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, forderte unterdessen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt auf, die dringend notwendigen Kurskorrekturen vorzunehmen. „Die Gutachter mahnen dringendes Handeln im Landwirtschaftsbereich an. Deshalb muss Schmidt jetzt endlich die notwendigen Korrekturen vorzunehmen. Das Gutachten kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Landwirtschaft einer der Hauptverursacher für den Rückgang der Biodiversität ist", so die Politikerin.
Die Bienen, aber auch andere Insekten, würden durch die zunehmende Intensivierung der Bewirtschaftung der Flächen, durch Monokulturen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bedroht, meint sie. Vogt empfiehlt, die Direktzahlungsmittel in die sogenannte zweite Säule umzuschichten. Hier könnten Mittel für Maßnahmen des Klimaschutzes und zur Förderung der Biodiversität in Agrarlandschaften freigemacht werden. "Damit erhalten Landwirte zielgerichtete Unterstützung für Aufgaben, die uns Allen zu Gute kommen.“
Hofreiter: Verfehlte Landwirtschafts- und Energiepolitik
Das Gutachten ist laut dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Anton Hofreiter, ein hartes Urteil für die Bundesregierung. "Es offenbart eine völlig verfehlte Landwirtschafts- und Energiepolitik. Die Agrarwende und der Kohleausstieg sind längst überfällig und dürfen nicht länger verschleppt werden. Die Union hat sich als Risiko für Umwelt und Landwirte entpuppt", so der Politiker am Dienstag.
Seiner Meinung nach braucht Deutschland jetzt eine Agrarwende, um die industrielle Landwirtschaft vom "Umweltkiller zum Umweltschützer" zu machen, um die Gesundheit der Verbraucher zu schützen und um eine auskömmliche Zukunft für die Bauern zu sichern. "Der inflationäre Einsatz von Pestiziden und Nitrat vergiftet nicht nur Böden und Tiere, sondern setzt auch unsere Gesundheit aufs Spiel. Wir brauchen weniger Ackergifte und mehr Umweltschutz. Einen neuen Blankoscheck für Glyphosat darf es nicht geben", sagte Hofreiter.
Die Preiskrise, insbesondere auf dem Milchmarkt, mache deutlich, dass es auch für die Landwirte so nicht weitergehen könne. Während Minister Schmidt die Agroindustrie hofiere, stünden viele Familienbetriebe vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Hofreiter ist überzeugt, dass Minister Schmidt aufs Höfesterben setzt. "Er befeuert den Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft. Wir müssen umsteuern, um die Landwirtschaft endlich zukunftsfähig zu gestalten und um Höfe und Arbeitsplätze zu erhalten."
Auch ein "Pseudo-Milchgipfel", wie von Minister Schmidt geplant, kann man sich laut dem Fraktionschef angesichts der TTIP-Verhandlungen getrost sparen. Wie in der Vergangenheit würden die Bauern von der Bundesregierung allein gelassen.
Greenpeace: Kurswechsel dringender denn je
Absolut berechtigt, findet Christiane Huxdorff von Greenpeace das neue Gutachten. Der Rückgang der Artenvielfalt durch den massiven Einsatz von Pestiziden in der deutschen Landwirtschaft sei dramatisch. In manchen Teilen Deutschlands sei die Zahl der Insekten bereits um 80 Prozent zurückgegangen.
Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Maßnahmen wie eine Abgabe auf Pestizide, bessere Kontrollen und Überwachungen sind ihrer Ansicht nach wichtig. Sie allein würden aber nicht ausreichen. "Ein Kurswechsel in der Agrarpolitik ist dringender denn je - weg von einer Landwirtschaft auf Kosten von Mensch, Umwelt und Tier hin zu einer nachhaltigen ökologischen Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Gifte. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt drückt sich vor konsequenten Entscheidungen, zum Beispiel endlich ein Verbot von bienengefährlichen Pestiziden und Glyphosat durchzusetzen", sagte Huxdorff.