Viele Landwirte und auch Mitglieder des Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) fragen sich, ob es noch angebracht ist, dass Vertreter des BDM an den jährlichen „Wir haben es satt“-Demos teilnehmen. Denn Wortführer sind auf den Märschen längst Tier- und Umweltschutzverbände sowie einige Parteien, die mit pauschalen und einseitigen Parolen Stimmung gegen die moderne Landwirtschaft machen.
Erst heute warben BDM und AbL aktiv für die Teilnahme an der Demo und schütteten einen Milchpulverberg vor die Tür des Milchindustrieverbands (MIV) in Berlin. Auf der Pressekonferenz des BDM in Berlin hatte top agrar am Mittwoch die Chance, bei der Verbandsspitze nachzufragen.
Pressesprecher Hans Foldenauer stellte zunächst klar, dass der BDM nicht Mitorganisator der Demo ist. Zudem könne man dieses Jahr nicht teilnehmen, da parallel das Milchsymposium (13 Uhr, Halle 15.2) stattfinde. Grundsätzlich aber bewerte man die Demo anders, als manche Kritiker: „Der Protest ist in weiten Zügen gerechtfertigt. Wer behauptet, es gäbe keine Probleme, der sieht nicht die Realität“, so Foldenauer. Natürlich stimme der BDM nicht mit allen Forderungen und Argumenten überein, die manche Grüppchen bei der Demo vertreten. „Aber Probleme müssen gelöst werden, und das geht heute nur noch mit Zustimmung der Gesellschaft.“ Und die Mitte der Gesellschaft sei nun einmal durch die Teilnehmer der „Wir haben es satt“-Aktion vertreten.
„Wir wollen mit den Organisatoren, Verbänden und Bürgern im Gespräch bleiben, wir suchen aktiv das Gespräch“, so der Milcherzeuger mit einer kleinen Spitze in Richtung Bauernverband. Er warnt zudem davor, die Demonstranten in einen Topf der Agrargegner zu stecken. „Nicht selten können wir im direkten Gespräch manche falsche Ansicht oder einen Irrtum klären“, ergänzt Jutta Weiß von der BDM-Mitgliederzeitschrift.
BDM-Chef Romuald Schaber beklagt unterdessen, dass die Milchbauern in einer Tretmühle stecken und das Spiel aus "Wachsen oder Weichen" bis zum Burnout mitgehen müssen. Daher sei ein Umdenken in der Agrarbranche dringend notwendig.
Politik tatenlos in der Krise
Wie stark sich der Milchmarkt im letzten Jahr gewandelt hat, verdeutlichten die Verbandsvertreter anhand von Zahlen. Zwar nehmen Milch-Nachfrage und Erzeugung jährlich weiter zu. Die Erzeugung übersteigt aber längst die gedämpfte Nachfrage. Im abgelaufenen Jahr betrug die Überlieferung Deutschlands gut 1 Mio. t Milch (4,5 %). „Zu dieser Produktion wurden wir von der Industrie gedrängt“, erinnert sich Foldenauer. "Es hieß immer, der Markt nimmt schon alles auf. Und wenn Aldi dicht macht, liefern wir eben nach China", zitiert der Landwirt einen Molkereivertreter. Heute wisse man, dass das nicht stimmt.
Die Milchbauern merken dies an dem Verfall der Milchpreise. Die Weltmarktpreise haben sich 2014 praktisch halbiert. Lag der Global Dairy Trade-Tender Mitte 2013 noch bei 5.042 USD je Tonne fiel er im November auf 2.513 USD und pendelt gerade bei 2.709 USD/t. Eine Molkerei sei aktuell bei einem Auszahlungspreis von 24 Cent angekommen.
„Man kann hier nicht mehr von einer Delle sprechen, sondern das sind Abstürze!“, macht Foldenauer deutlich. Der Butterpreis fiel seinen Ausführungen nach von 4,40 Euro im November 2013 auf heute 2,90 Euro (- 34 %); Vollmilchpulver wurde 39 % billiger.
Laut dem BDM sind die Probleme hausgemacht:
- Ineffizientes Sicherheitsnetz (Lagerhaltung, Exporterstattungen)
- Keine politische Reaktion auf die Sektoruntersuchung Milch aus 2010/11
- Andienungspflicht an eine Erzeugergemeinschaft
- Zögerliche Bündelungsbemühungen
Der BDM bedauert, dass die guten Ansätze der Agrarministerkonferenz vor genau einem Jahr, wie z.B. umfangreiche Handlungsbefugnisse der EU vor drohenden Krisen, nicht umgesetzt werden. Ebenso müsste die Politik im Falle von Markteinbrüchen zusätzliche stabilisierende Begleitmaßnahmen ergreifen. Daher ist es für Romuald Schaber „unbegreiflich“, wie die richtigen Ansätze gerade in der aktuellen Situation unbeachtet bleiben.
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