Wie ist eine Landwirtschaft zu gestalten, die das Einkommen der Landwirte sichert und von der Bevölkerung akzeptiert wird? Darüber diskutierten geladene Gäste und Onlineteilnehmer.
Das Bild der modernen Landwirtschaft wird in der Öffentlichkeit seit langem kontrovers diskutiert. Dabei scheint es wenig Konsens darüber zu geben, was die Bürger wünschen und die Landwirte realisieren wollen bzw. können. Gleichzeitig verfolgt die Politik teils unterschiedliche Ziele, sodass es an klaren Signalen fehlt.
Öko oder konventionell, groß oder klein, regional oder global – was ist die Landwirtschaft der Zukunft? Und welche Rahmenbedingungen muss die Politik dafür schaffen? Darüber diskutierten unter Coronabedingungen die Podiumsteilnehmer und Gäste in Berlin bei der top agrar-Veranstaltung Landwirtschaft im Dialog. Gleichzeitig nahmen 500 Interessierte über YouTube teil.
Betrieb als Lebensaufgabe
Zu Beginn skizzierte Anneke Kreißig, Sauenhalterin und Unternehmensberaterin aus Niedersachsen, beispielhaft für viele Junglandwirte ihre derzeitige Situation auf ihrem Betrieb. Sie stellte heraus, dass junge Landwirte sehr gut ausgebildet sind und trotz vieler widriger Umstände motiviert seien, die landwirtschaftlichen Betriebe als Lebensaufgabe anzunehmen.
Viele seien bereit, sich Veränderungen zu stellen und sie mitzugestalten. „Wir wünschen uns allerdings mehr Ehrlichkeit beim Verbraucher. Die Gesellschaft muss gewillt sein, den Umbruch mitzutragen“, so Kreißig. Von den Politikern forderte sie mehr fachliche statt ideologische Entscheidungen sowie Planungssicherheit. „Ich möchte meinen Beruf noch in den nächsten 40 Jahre ausüben, Perspektiven bekomme ich nur für fünf“, schloss die junge Landwirtin ihr Statement.
System „Landwirtschaft“ ist komplex
Den Widerspruch zwischen den Wertevorstellungen der Bürger und deren tatsächlichem Verhalten als Verbraucher räumt auch Robert Habeck ein. Der Bundesvorsitzende der Grünen wies zudem darauf hin, wie komplex das Wechselspiel zwischen Landwirten, Verbrauchern, verarbeitender Industrie und Lebensmitteleinzelhandel ist. Die Betriebe hätten in der Vergangenheit ihre Produktion intensiviert und effizienter gestaltet. Dadurch habe sich die Kultur „Wachsen oder Weichen“ immer stärker fortgesetzt. Wollten Betriebe aber bestehen, dann dürfe es keinen Strukturwandel mehr geben, so Habeck.
Markt für Gemeinwohlleistungen schaffen
Wichtig sei eine systemische Veränderung. Förderungen, so Habeck, müssen qualifiziert und nicht mehr nur an die Fläche gebunden werden. Konkret forderte er einen zweiten Markt für Gemeinwohlleistungen zu schaffen: für Tierschutz, Klimaschutz, Biodiversität und Gewässerschutz. So könne ein neuer ökonomischer Betriebszweig entstehen für den sich die Landwirte frei entscheiden können.
Darüber hinaus sollte man die Tierhaltung auf mehr Tierschutz ausrichten. „Höchste Tierschutzstandards dürfen aber keinen Wettbewerbsnachteil nach sich ziehen“, stellt Habeck klar. Er unterstrich, wie wichtig verbindliche Haltungskennzeichnungen bei Lebensmitteln seien, um diese vor Auslandsprodukten mit geringeren Standards zu schützen.
Der Agrarpolitik warf Habeck vor, durch Nichtstun seit Jahren versäumt zu haben, den Wandel zu gestalten. Und er stellte klar: „Umweltschutz ohne Landwirtschaft gibt es nicht.“
Es bedarf klarer Zielbilder
Bezugnehmend auf die Gestaltungslosigkeit der Politik machte Prof. Dr. Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts, deutlich, dass die Politik sich zuerst einmal entscheiden müsse, ob sie gestalten wolle. Danach müsse man das „Wohin“ und „Wie“ klären sowie konkretisieren. Dafür sei es nötig, klare Zielbilder zu definieren. „Andernfalls bleibt die Diskussion immer wolkig“, so Isermeyer. Optimal wären diese Zielbilder sogar auf EU-Ebene. Allerdings seien jetzt schnelle Entscheidungen notwendig, damit die Betriebe planen und auf aktuelle Probleme reagieren können.
Zielbilder begrüßte auch Hubertus Paetow, allerdings sollten diese nicht starr sein. Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) be-tonte, dass die Branche für Veränderungen bereit sei, wenn klar und verlässlich feststeht, was gewünscht ist. Dann könnten die Betriebe diese direkt mitgestalten. Die Signale dafür seien aber noch nicht deutlich genug.
Wie Habeck fordert Paetow, ökologische Leistungen, z.B. Biodiversität, wie normale Wirtschaftsgüter zu entlohnen.
Innovationen nutzen
Ähnlich sieht das Matthias Berninger, Leiter von Public Affairs bei Bayer, der aus Washington zugeschaltet war. Er sieht die Zukunft der europäischen Landwirtschaft in einer nachhaltigen Intensivierung. Das bedeutet, auf möglichst wenig Fläche höchstmögliche Erträge zu erzielen, um ausreichend Fläche für Biodiversitätsmaßnahmen bereitstellen zu können. Ein entscheidender Baustein dabei sei, schneller auf Innovationen zu setzen. Als Beispiele nannte er neue Züchtungsmethoden und schnellere Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln. „Innovation ist vor allem wichtig, um die Resilienz der Landwirtschaft hinsichtlich zunehmender Wetterextreme zu verbessern“, so Berninger. Zurzeit fänden Innovationen aber eher außerhalb von Europa statt.
Berninger sieht in der Landwirtschaft großes Zukunftspotenzial, wenn es gelänge, neue Technologien schneller in die Praxis zu bringen und EU-weit gemeinsame Regeln zu definieren.
Ökobetriebe einen Schritt voraus?
Den aktuellen Orientierungsprozess habe der Ökolandbau im Prinzip schon hinter sich, hob Jan Plagge, Präsident des Biolandverbandes, hervor. Hier hätten sich die Landwirte selbst schon vor Jahren die Frage gestellt, ob sich ihre Betriebe noch in die richtige Richtung entwickeln. Da dieser Impuls aus der Branche selber kam, war es den Landwirten möglich, das „Wie“ eigenständig zu gestalten. Aus diesem Prozess seien die Ökoverbände entstanden.
Auch aktuell wagt die Biobranche neue Wege. So stehen ökologisch erzeugte Produkte unter dem Bioland-Siegel nun in den Regalen eines Discounters. Die Zusammenarbeit sieht Plagge als Chance. Es eröffne der Branche neue Marktzugänge. „Wir kommen Verbrauchern in ihrem Einkaufsverhalten entgegen“, erklärt Plagge.
Ausblick
Die Podiumsdiskussion zeigte, dass trotz eines recht breiten Konsenses der Beteiligten, es in vielen Punkten noch immer an klar definierten Zielen fehlt. Hier muss die Politik unbedingt nachsteuern und das Gestalten wagen, um eine wirkliche Veränderung herbeiführen zu können. Dies wünscht sich auch Junglandwirtin Anneke Kreißig, um ihren Betrieb zukunftsfähig gestalten zu können.
anne-katrin.rohlmann@topagrar.com
anne-katrin.rohlmann@topagrar.com
Den Livestream der top agrar-Veranstaltung finden Sie unter www.topagrar.com/zukunft2020