Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Wolf Maisernte Gülle und Wirtschaftsdünger

topplus Aus dem Heft

Özdemir: „Das Baurecht wird bald angepasst“

Lesezeit: 6 Minuten

Der Bau von Tierwohlställen gelingt nur, wenn das Bau- und Immissionsschutzrecht geändert werden und die Finanzierung gesichert ist. Das verdeutlichte die top agrar-Runde „Landwirtschaft im Dialog“.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Woran liegt es, dass Deutschland beim Thema „mehr Tierwohl in den Ställen“ bisher kaum vorankommt? Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen, und welche Verantwortung tragen Schlachter, Verarbeiter, der Lebensmitteleinzelhandel und die Bauern?


Darüber diskutierte top agrar Mitte Oktober in Berlin im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Landwirtschaft im Dialog“ (LID). Zu Gast waren Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Vertreter des Bauernverbandes und der Wissenschaft, des Lebensmitteleinzelhandes und der Systemgastronomie sowie zwei Landwirtinnen und ein Stalleinrichter.


Wenn der Umbau der Ställe zu mehr Tierwohl endlich Fahrt aufnehmen soll, dann muss neben der verpflichtenden Haltungskennzeichnung auch das Baurecht zeitnah überarbeitet und die Finanzierung langfristig gesichert werden. Darin waren sich alle Teilnehmenden der Podiumsdiskussion einig.


Die Politik muss jetzt liefern


„Die Politik muss jetzt schnell liefern und den nötigen rechtlichen Rahmen schaffen. Denn niemand will einen Strukturbruch“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der ausdrücklich die vorhandene Veränderungsbereitschaft der Landwirte hin zu mehr Tierwohl lobte. Die Zeit drängt, denn aufgrund der angespannten finanziellen Situation auf den Höfen, der politischen Unwägbarkeiten und der fehlenden Planungs- bzw. Investitionssicherheit schließen zurzeit immer mehr Tierhalter für immer die Stalltüren.


Neben dem Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zu einer staatlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung, dem das Kabinett Mitte Oktober zugestimmt hat, will die Bundesregierung deshalb auch das Baurecht zeitnah in Angriff nehmen. Sowohl Bundesbauministerin Klara Gey-witz (SPD) als auch Umweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) hätten dafür bereits ihre Unterstützung zugesagt, berichtete der Minister. Man strebe eine einfache, unbürokratische und schnelle Lösung an. Ziel sei es, die Änderungen im Bau- und Immissionsschutzrecht möglichst gleichzeitig mit dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz zu verabschieden.


Herkunft transparent machen


Darüber hinaus will Minister Özdemir durch eine Herkunftskennzeichnung Transparenz schaffen, woher das Fleisch in der Ladentheke stammt. Er habe sich in Brüssel für eine entsprechende Kennzeichnung stark gemacht und die dafür zuständige EU-Kommissarin habe ihm zugesagt, dass dieses Vorhaben im Januar 2023 realisiert werden könne.


„Eine Herkunftskennzeichnung gehört zwingend dazu“, betonte Hubertus Beringmeier, Veredlungspräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Nur so lasse sich verhindern, dass der Lebensmitteleinzelhandel und die Verarbeiter die deutsche Haltungskennzeichnung unterlaufen und billigeres Fleisch aus dem Ausland zukaufen.


Die geplante Kombination aus Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung wurde auch von Lidl-Chefeinkäufer Christoph Graf ausdrücklich begrüßt. „Wir setzen bereits seit Längerem auf „5xD“, sowohl im Frischfleisch- als auch im Wurstbereich“, begründete Graf. Sehr kritisch sieht er die Tatsache, dass es bisher nur im Lebensmitteleinzelhandel eine Haltungskennzeichnung gebe. Der Food-Service, die Gastronomie und die Kantinen fehlen komplett.


So entstehe ein Schlupfloch, durch das tierische Produkte auf den Markt gelangen, die nicht aus Deutschland stammen und nicht die geplanten strengen Haltungsauflagen erfüllen. „Das wollen wir nicht. Lidl will gemeinsam mit der Landwirtschaft die Haltungsbedingungen der Tiere verbessern“, argumentierte Graf.


Der kritischen Frage, warum sich die Caterer und Systemgastronomen bislang kaum für Tierwohl engagieren, musste sich Dr. Linda Chalupová stellen. Sie ist Direktorin für Nachhaltigkeit bei der Compass Group, einem Unternehmen, das in Deutschland tagtäglich bis zu 150000 Essen an Kitas, Firmen- und Krankenhauskantinen ausliefert.


„Tierwohl ist fester Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsstrategie“, antwortete Dr. Chalupová. Daneben verfolge die Compass Group aber auch eine Klimaschutzstrategie, deren Ziel es sei, den CO2-Ausstoß zu senken. Fleisch treibe nun mal den CO2-Fußabdruck des Unternehmens in die Höhe. Deshalb habe man sich für die Strategie entschieden, weniger, aber dafür hochwertiges, teureres Fleisch anzubieten.


Zudem sei die jetzige Haltungskennzeichnung nicht transparent, sie verwirre die Kunden eher. Ihre Abnehmer würden daher größeren Wert auf die regionale Herkunft legen. Außerdem sei es wichtig, zu jedem Stück Fleisch eine Geschichte erzählen zu können.


Sauenhalter ins Boot nehmen


Hubertus Beringmeier prangerte an, dass die Initiative Tierwohl (ITW) bei der staatlichen Haltungskennzeichnung bisher zu wenig berücksichtigt werde. Außerdem fehle ihm die Sauenhaltung. Die Ferkelerzeuger hätten schwere Jahre hinter sich und seien aktuell in großer finanzieller Not.


Özdemir begründete die Fokussierung auf Mastschweine während der Startphase der Haltungskennzeichnung damit, dass seine Pläne erst noch von Brüssel notifiziert werden müssen. Die Sauenhaltung, die Verarbeitungsstufe und die Gastronomie sollen folgen.


Langfristige Finanzierung


Eine weitere offene Baustelle ist die Finanzierung der Tierwohlmaßnahmen. Özdemir verkündete in Berlin zwar stolz, dass der Bund für diesen Zweck bis 2026 immerhin 1 Mrd. € zur Verfügung stelle. Und man habe sich zudem darauf geeinigt, dass das Geld nicht nur für den Neu- und Umbau von Ställen genutzt werden darf, sondern auch zur Absicherung der laufenden Kosten.


Unter dem Strich reicht dieser Betrag aber allenfalls als Anschubfinanzierung – zumal sich der Zuschuss auf vier Jahre verteilt. Laut Borchert-Kommission sind für den Umbau der Tierhaltung hingegen rund 4 Mrd. € erforderlich – und zwar jedes Jahr!


„Um in mehr Tierwohl investieren zu können, benötigen wir unbedingt eine langfristige Finanzierungszusage“, gab die 30-jährige Milchviehhalterin Bettina Hueske aus Südlohn zu bedenken. So sah es auch ihre 25-jährige Berufskollegin Caroline Kramer aus Gevelsberg-Asbeck: „Wir brauchen die Sicherheit, dass wir mit dem Sauenstall, den wir gerade planen, auch in 20 Jahren noch Geld verdienen können.“


Noch eine Arbeitsgruppe?


Zur Klärung der Anschlussfinanzierung will Minister Özdemir deshalb eine Arbeitsgruppe bilden, die im März 2023 konkrete Vorschläge vorlegen soll.


Den Nutzen einer solchen Arbeitsgruppe zog Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt Universität Berlin allerdings in Zweifel. „Es gab schon zig Arbeitsgruppen zum Thema, angefangen beim Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats zur Agrarpolitik über den Kompetenzkreis Tierwohl bis hin zur Borchert-Kommission. Es liegen genug Finanzierungskonzepte auf dem Tisch. Was wir jetzt brauchen, sind klare politische Entscheidungen und langfristige Verträge, auf die sich die Landwirte verlassen können“, mahnte Grethe.


Für Nutztierhalter, die weitermachen wollen, gebe es ohnehin keine Alternative. Denn die nächsten ordnungsrechtlichen Schritte würden sowieso kommen, so Grethe. Aber wenn es dazu keine passende Förderung gebe, wären die Folgen katastrophal.


„Schon jetzt erleben wir eine krasse Ausstiegswelle. Viele Schweinehalter geben resigniert auf“, schilderte En-Sta-Geschäftsführer Hendrik Horstmann die Situation. Bei den Aussteigern handele es sich nicht nur um Betriebe mit unklarer Hofnachfolge, stellte der Stalleinrichter aus dem westfälischen Ennigerloh fest. Auch gute, leistungsstarke Familienbetriebe seien dabei. Die Strukturkrise mache sich bereits im vor- und nachgelagerten Bereich bemerkbar.


„Deshalb brauchen wir flankierende Fördermaßnahmen bis die Haltungsauflagen EU-weit angeglichen sind“, forderte Beringmeier.


Entwurf „wetterfest“ machen


Insgesamt enthalte der vom Kabinett abgesegnete Entwurf zur Tierhaltungskennzeichnung noch viele Schwachpunkte, die nun im Parlament „wetterfest“ gemacht werden müssten, brachte es DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken auf den Punkt. Insgesamt habe es 38 Stellungnahmen gegeben. Die meisten würden sich im jetzigen Konzept aber nicht wiederfinden.


„Ich bin dankbar für jeden Verbesserungsvorschlag“, erwiderte Özdemir. „Nur wenn man miteinander redet, kann man Dinge anschieben und verändern“, so der Minister.


Ihr Kontakt zur Redaktion:


henning.lehnert@topagrar.com

Die Redaktion empfiehlt

top + In wenigen Minuten wissen, was wirklich zählt

Zugang zu allen digitalen Inhalten, aktuellen Nachrichten, Preis- und Marktdaten | 1 Jahr für 1̶2̶9̶,̶6̶0̶ ̶€̶ 99 €

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.