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Brutal und gnadenlos auf Kosten der Bauern

Lesezeit: 9 Minuten

Lebensmittelhandel


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Zwölfmal haben Discounter und Handelsketten im letzten Jahr die Preise gesenkt. Umsätze und Gewinne bröckeln auf breiter Front. Dennoch geht der brutale Wettbewerb unvermindert weiter. Ein Ende ist nicht in Sicht.


Was die Bauern zur Weißglut treibt, freut die Verbraucher. Die Lebensmittelpreise kennen scheinbar nur eine Richtung: nach unten. Im Kampf um die Kunden zerfleischt sich der Handel. Vor allem die Discounter drücken die Preise: Aldi Nord offeriert 1 000 g bestes Weizenmehl für 25 Cent. 1 kg Zucker gibt es bei Aldi Süd für 69 Cent. Besonders gnadenlos ist die Schlacht bei Molkereiprodukten. Netto verramscht das Päckchen Butter für 79 Cent, Lidl den 125 g Becher Marken-Joghurt für 20 Cent. Selbst Öko-Produkte werden den Kunden für kleines Geld nachgeworfen. So kostet Bio-Vollmilch bei Plus nur 77 Cent/l. Nirgendwo in Europa sind Lebensmittel so billig!


Die Beispiele sind keine Einzelfälle. Die Preise für Lebensmittel sind in den vergangenen 12 Monaten um 4,2 % gesunken, hat der Wirtschaftsinformationsdienst „Preiszeiger“ ermittelt (s. Übersicht 1).


Ursache ist der gnadenlose Kampf um Marktanteile, der von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise noch zusätzlich befeuert wird. Die fünf Großen Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und die Metro kontrollieren allein drei Viertel des Lebensmittel-umsatzes in Deutschland. Jeder versucht den anderen vom Markt zu drängen, mit allen Mitteln – vor allem über den Preis.


Ketten geben den Preisdruck weiter


Um dabei nicht selbst auf der Strecke zu bleiben, geben die Ketten den Preisdruck mit voller Härte an die Lebensmittel-Verarbeiter weiter. Vor allem die Molkereien wissen davon ein Lied zu singen. Kein Wunder also, dass die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) für 2009 einen Umsatzrückgang von 4,2 % gegenüber dem Vorjahr meldet. Das ist der stärkste Einbruch seit 1949 – und das, obwohl mengenmäßig genauso viele Lebensmittel und Getränke verkauft wurden wie 2008. Für das laufende Jahr sind die Prognosen nicht besser.


BVE-Chef Jürgen Abraham schlägt daher Alarm und fordert ein Ende des ruinösen Preiskampfs. „Die Preissenkungsspielräume durch günstigere Agrarrohstoffe sind doch längst ausgereizt“, beklagt er.


In der Tat geben Schlachtunternehmen, Mühlen und Molkereien den Preisdruck weitgehend ungebremst an die Bauern weiter. Milchpreise von unter 20 Cent/l, wie sie einige Molkereien im letzten Sommer auszahlten, sind dafür ein Beleg. Immer deutlicher wird: Die Bauern sind die eigentlichen Leidtragenden des Preiskampfs im Lebensmittelhandel!


Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Wettbewerb dürfte an Schärfe noch zunehmen. Obwohl der Markt stagniert, wird weiter expandiert. Allein Marktführer Edeka, zu dem auch der Discounter Netto gehört, will in den nächsten 3 bis 4 Jahren 1 450 neue Märkte aufmachen. „Wir sehen ein Potenzial von 200 Edeka-Filialen und bis zu 300 Netto-Märkten pro Jahr“, ist Alexander Lüders, Sprecher der Edeka-Zentrale, zuversichtlich. Auch bei Lidl heißt es: „Wir suchen ständig Verkaufsflächen.“ Für Aldi gilt das nur bedingt. Mit seinen rund 4 200 Filialen ist das Netz, vor allem im Westen inzwischen so dicht, dass Experten einen weiteren Ausbau für unwirtschaftlich halten.


Der ungebremste Wachstumsdrang ist erstaunlich, denn die Versorgungslage ist schon heute mehr als gut. Kein Land in Europa hat eine vergleichbare Filialdichte und so viel Verkaufsfläche je Einwohner wie Deutschland. Woher rührt also der Druck im Kessel? Es ist die nackte Angst, auf der Strecke zu bleiben. Denn nirgendwo in Europa ist der Wettbewerb so scharf wie bei uns. Noch ist die Wirtschaftskrise im Lebensmittelhandel nicht angekommen. Aber wehe, die Nachfrage sinkt.


Vor allem die Discounter sind in den letzten Jahren gewaltig gewachsen. Fast überall in Deutschland ist inzwischen in 10 Auto-Minuten ein Discount-Markt zu erreichen. Entsprechend ist ihr Marktanteil – gemessen am Umsatz – von 32 auf ca. 44 % gestiegen (s. Übersicht 2, Seite 16). Der Löwenanteil floss dabei auf die Konten der beiden Discount-Könige Aldi und Lidl. Das Wachstum der Billiganbieter ging ausschließlich zulasten der Supermärkte, deren Umsatzanteil im gleichen Zeitraum auf unter 24 % gefallen ist. „In dieser Phase haben die Discounter den Markt nicht nur dominiert, sondern nach Belieben kontrolliert“, heißt es in einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).


Discounter am Scheideweg


Aber der Markt wandelt sich. Die rosigen Zeiten des nahezu ungebremsten Wachstums scheinen vorbei zu sein. Die Entwicklung im Discount-Bereich stagniert, vor allem bei den Marktführern. Aldi hat nach Angaben der GfK in den ersten 11 Monaten des vergangenen Jahres 4,7 % Umsatz verloren (s. Übersicht 3). Aber auch bei Lidl kehrt Ernüchterung ein. Im vergangenen Jahr haben die Schwaben laut GfK 0,3 % weniger Umsatz gemacht. Neben niedrigeren Preisen sind dafür drei strukturelle Gründe maßgeblich:


Durch die Übernahme von Plus durch Netto ist im Discount-Markt ein neuer, starker Wettbewerber entstanden, der den Platzhirschen zu schaffen macht.


Die Supermärkte haben aus der Talfahrt der letzten Jahre gelernt. Mit günstigen Eigenmarken werden verstärkt die preisbewussten Kunden angesprochen und gleichzeitig wird über schönere Läden, längere Öffnungszeiten, Cafés und verstärkten Service das Einkaufserlebnis verbessert. Das hat viele Kunden zurückgeholt.


Aus ‚Geiz ist geil‘ wird zunehmend ‚Reiz ist geil‘, hat die GfK festgestellt. Die Kunden, vor allem die Besserverdienenden, achten wieder stärker auf Qualität. Dieser Trend wird sich nach Ansicht der GfK in den nächsten Jahren noch verstärken, denn die Gesellschaft wird älter. Die Senioren von morgen sind anspruchsvoller, qualitäts- und serviceorientierter als die älteren Kunden von heute. Auch das könnte ein Vorteil für den Einzelhandel werden.


Aber noch ist nichts entschieden. Aldi und Lidl haben auf den wachsenden Wettbewerb mit immer aggressiveren Preissenkungen reagiert. „Das funktioniert wie bei den Tankstellen“, sagt ein Insider. „Einer fängt an und alle anderen müssen nachziehen.“ In der Regel gibt Aldi dabei den Takt vor. Rewe nutzt dies sogar für die Werbung: „Täglicher Preisvergleich mit Aldi“, heißt es in einem Fernsehspot des Kölner Unternehmens.


Kosten steigen – Gewinne sinken


Die „Dauertiefpreise“ haben Schleifspuren in den Bilanzen hinterlassen. Bei allen! Sowohl bei den Discountern als auch bei den Supermärkten und SB-Warenhäusern (z. B. Real) sind 2009 die Gesamtumsätze zurückgegangen (s. Übersicht 3).


Am Umsatz je Filiale werden die Folgen des rasanten Expansionskurses der Discounter deutlich. Durch den massiven Ausbau ihres Filialnetzes sind die Filial-Umsätze bei fast allen Discountern zum Teil seit mehreren Jahren deutlich rückläufig, hat die Unternehmensberatung BBE Retail Experts festgestellt. Da auch die einzelnen Märkte größer geworden sind, ist der Umsatz je Quadratmeter noch stärker eingebrochen: Bei Aldi Nord waren es nach Angaben der GfK 2007 rund 15 % weniger als noch 2003, bei Lidl ca. 10 %.


Gleichzeitig stiegen die Kosten für zusätzliche Standorte, aufwendigere Logistik und neues Personal. In Zeiten wachsender Marktanteile war das vielleicht noch verkraftbar, aber jetzt stagnieren die Umsätze bzw. brechen ein. Das heißt: Auch die Gewinne gehen in den Keller und das in einer Branche, die ohnehin nur eine Gewinnspanne von durchschnittlich 1 % erzielt.


Dennoch halten die Ketten eisern an ihrer Strategie fest: Runter mit den Preisen – koste es, was es wolle. Offensichtlich gibt es noch Reserven aus guten Zeiten. Davon zehrt vor allem Aldi, meldet die Lebensmittelzeitung. Wo das enden soll, weiß keiner. Für die Bauern ist das Maß des Erträglichen längst überschritten. Das hat auch die Politik erkannt. „Top-Qualität zu Dumpingpreisen liefern, das funktioniert nicht,“ schimpft Landwirtschaftsministerin Aigner. „Wenn nur noch der niedrigste Preis regiert, geht das nicht nur zulasten der Landwirte.“


Kartellamt zu zahnlos?


Indes kann die Politik nur wenig tun. Für die Überwachung des Wettbewerbs ist das Bundeskartellamt zuständig. Die Instrumente der Wettbewerbshüter sind aber vor allem darauf getrimmt, Absprachen für überhöhte Preise zu verhindern.


So hat die Behörde Mitte Januar mit einer großen Razzia insgesamt 15 Unternehmen darunter Edeka, Rewe, Aldi Süd, Lidl und die Metro durchsucht, weil sie Hersteller und Händler verdächtigt, bei Süßwaren, Kaffee und Tiernahrung Mindestpreise abgesprochen zu haben. Das harte Vorgehen hat die Branche aufgeschreckt, sind doch „gewisse Absprachen seit vielen Jahren gang und gäbe“, behauptet die Lebensmittelzeitung. Aber der Nachweis ist oftmals schwierig, die Verfahren sind langwierig. Ob im konkreten Fall tatsächlich Bußgelder verhängt werden, ist noch völlig offen.


Im Fall von Preisdumping können die Wettbewerbshüter eingreifen, wenn Unternehmen ihre Waren unter Einstandspreis verkaufen. Diese Verfahren enden aber nicht selten als Luftnummer. Es ist zwar gesetzlich verboten, Lebensmittel unter Einstandspreis zu verkaufen. Vollziehen können die Wettbewerbshüter das Gesetz aber kaum, weil die Gerichte es in seiner Anwendung sehr eng auslegen.


So geschehen z.B. beim Verfahren gegen die Drogeriekette Rossmann. Das Kartellamt verdonnerte das Unternehmen 2008 zu einem Bußgeld von 5,5 Mio. € und brummte auch dem Inhaber 300 000 € auf, weil die Drogeriekette insgesamt 55 Artikel unter Einstandspreis verkauft haben soll. Das Oberlandesgericht Düsseldorf pfiff allerdings auf die Argumente der Wettbewerbshüter und sprach das Unternehmen Ende November 2009 frei. Eine Ohrfeige für das Kartellamt. Klar, dass die Bonner Behörde bei zukünftigen Verfahren noch vorsichtiger vorgehen und abwägen wird.


Wie lange reicht der Atem?


Klar ist, dass der Handel seine aggressive Niedrigpreisstrategie nicht ewig durchhalten wird. Die Lage dürfte sich erst dann beruhigen, wenn einzelne Wettbewerber die Segel gestrichen haben oder allen finanziell die Puste ausgeht. Noch ist dieser Punkt aber nicht in Sicht. Der gnadenlose Wettbewerb im Lebensmittelhandel wird daher vorerst unvermindert weitergehen. „Die Preisrunden der vergangenen Monate waren da nur ein leichter Vorgeschmack“, lässt sich Edeka-Chef Markus Mosa unmissverständlich im Nachrichtenmagazin Focus zitieren.


Mit dem gegenwärtigen Kartellrecht ist dieser Entwicklung kaum beizukommen. Die Politik behilft sich daher mit Appellen an Unternehmen und Verbraucher, die nur wenig bewegen.


Deshalb ist die Agrarwirtschaft gut beraten, weiterhin alles daranzusetzen, schlagkräftige und robuste Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen aufzubauen. Wir brauchen innovative Molkereien und Schlachtunternehmen, die der Handel ernst nimmt und als wichtige Partner ansieht. Sonst bleiben die Bauern am Ende auf der Strecke, denn sie sind das schwächste Glied in der Kette!


Ludger Schulze Pals

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