Die Tierwohl-Diskussion ist für viele Landwirte an einigen Stellen an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten: Allen Umfragen zum Trotz regiert für Verbraucher an der Kühltheke vor allem der Preis (Seite 130 und R10). Der Lebensmittelhandel als selbsternannter Tierwohl-Initiator verramscht oft Milch und Fleisch. Und einige Tierschutzorganisationen denken vor allem an den eigenen Geldbeutel.
Die Tierhalter fühlen sich als die Getriebenen. Sie sollen viel Geld investieren, um die Tierwohlwünsche zu erfüllen. Gleichzeitig stehen Absatz und Erlöse aber unter Druck. Am Ende bleiben die Landwirte auf den Kosten sitzen. Denn es fehlen überzeugende Konzepte, dass Tierwohl auch für sie zum Erfolg führt.
Die Politik ist zu langsam und behäbig. Erst jetzt präsentiert Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner erste Kriterien für ein staatliches Tierwohllabel – nur für Mastschweine (Seite S2). Gelabelte Produkte gibt es frühestens 2020.
Wirtschaft, Handel und Tierschützer haben mit der Initiative Tierwohl, der Haltungskennzeichnung oder dem Label des Deutschen Tierschutzbundes längst neue Standards gesetzt. Vor allem der Handel entwickelt sich dabei quasi zum Gesetzgeber (Seite 126). Selbstkritisch muss die Landwirtschaft zugeben, dass sie oft die Chance des Vorreiters verstreichen ließ.
In Summe kann das zum strukturellen Knick führen, lehrt ein Rückblick auf die Eierproduktion. Um mehr Tierwohl ohne Strukturbrüche bei Fleisch- und Milchproduzenten zu erreichen, müssen alle Beteiligten etwas dafür tun:
- Kennzeichnung: Die Flut an Labeln ist kaum zu durchblicken. Das staatliche Tierwohllabel muss sich schnell mit den bestehenden Initiativen verzahnen.
- Einstiegsstufe: Ein Kompromiss könnte sein, dass der Einstieg für mehr Tierwohl dicht am Gesetz liegt, um viele Betriebe zu erreichen. Dann müssen sich die Kriterien aber weiterentwickeln. Dazu muss die Politik ihre Förderung verbessern.
- Preise: Eine Anpassung der Förderung ist auch für die Preisgestaltung für Tierwohlprodukte wichtig. Die meisten Verbraucher kaufen auch diese sehr preisbewusst ein. Bei Schweinefleisch klappt z.B. ein Preisaufschlag von etwa 10%. Damit lassen sich aber nicht alle Kosten decken.
- Planungssicherheit: Wer neue Ställe baut, plant für zehn bis zwanzig Jahre. Der Handel will aber flexibel bleiben und garantiert nur kurzfristig Absatz und höhere Preise. Das passt nicht zusammen.
- Zielkonflikt: Nicht alle Landwirte, die in mehr Tierwohl investieren wollen, dürfen es auch. Viele bekommen keine Baugenehmigung, weil z.B. ein Auslauf wegen des Umweltschutzes nicht möglich ist (Seite S6). Das muss die Politik lösen.
Tierwohl ist komplex. Aber am Ende muss klar sein, dass die Bauern nicht auf den höheren Kosten für mehr Tierwohl sitzen bleiben. Denn damit hätte niemand etwas gewonnen.