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top agrar-SerieStreitgesprächeNutztierhaltung - Die Tiere sollen sich wohlfühlen

Lesezeit: 10 Minuten

Wie stehen die Verbraucher zum Tierschutz? Was heißt das für die Landwirte? Ein Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Regina Birner, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Agrarpolitik, und DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken.


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Frau Birner, wie findet man heraus, wie die Verbraucher über den Tierschutz denken?


Birner: Indem man sie befragt. Die Ergebnisse muss man aber mit Vorsicht bewerten, weil sie die Realität nicht immer zu 100 % abbilden. Viele Befragte kennen die Tierhaltung nicht aus eigenem Erleben und können die ökonomischen Folgen ihrer Forderungen kaum übersehen. Deshalb darf man Umfrageergebnisse auch nicht eins zu eins zur Grundlage der Gesetzgebung machen. Aber die Trends werden klar.


Und wie sehen die aus?


Birner: Wir werden zwar keine Gesellschaft von Tierrechtlern, die die Nutztierhaltung und den Fleischkonsum grundsätzlich ablehnen. Aber immer mehr Menschen sind der Auffassung, dass Tierschutz mehr ist als das Vermeiden von Schmerz und Leiden. Sie fordern zunehmend, dass sich Nutztiere auch wohlfühlen müssen und positive Emotionen erleben können.


Ist das eine kurzfristige Mode oder ein echter Wertewandel?


Birner: Das ist eine langfristige Entwicklung. Mit zunehmendem Wohlstand werden Werte wie Tier- und Umweltschutz wichtiger.


Einverstanden, Herr Krüsken?


Krüsken: Nicht ganz. Das Vermeiden von Schmerz, Leid oder Schäden gehört zum Grundverständnis landwirtschaftlicher Tierhaltung. Das lässt sich eindeutig messen. Aber für das „Tierglück“ haben wir keine wirklich nachprüfbaren Bewertungsmaßstäbe. Wir haben Zweifel, ob dieses Themenfeld schon hinreichend wissenschaftlich untersucht ist. Solange das nicht der Fall ist, sind wir vorsichtig mit radikalen Schlussfolgerungen darüber, was die Leute angeblich wollen und was sie nicht wollen. Vielleicht ist der Wertewandel gar nicht so ausgeprägt?


Birner: Das Empfinden positiver Emotionen hat nichts mit Glück zu tun. Glück ist eine menschliche Vorstellung. Positive Emotionen lassen sich aus dem Verhalten der Tiere ableiten. Das ist eindeutig wissenschaftlich belegt. Die wichtige Frage lautet: Müssen wir das bei unseren Haltungssystemen berücksichtigen und wenn ja, wie?


Wer treibt die gesellschaftliche Debatte über den Tierschutz voran?


Birner: Vor allem die organisierten Tierschützer. Extreme Tierrechtler erzeugen immer wieder eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Aber auch der Deutsche Tierschutzbund mit über 800 000 Mitgliedern ist meinungsprägend. Er lehnt die Nutztierhaltung nicht grundsätzlich ab, hat aber mit seinem Tierschutzlabel deutlich gemacht, dass er zu mehr Tierwohl beitragen möchte.


Krüsken: Die Kritiker der modernen Tierhaltung sind in der öffentlichen Wahrnehmung überrepräsentiert. Im Kaufverhalten findet sich diese Kritik nicht wieder. Uns fehlen eine systematische Bestandsaufnahme und Gewichtung des vermeintlichen gesellschaftlichen Wertewandels. Solange Sie diese nicht vorlegen, dürfen Sie nicht behaupten, die Mitte der Gesellschaft liege bei den Tierrechtlern.


Birner: Das tun wir doch gar nicht. Wir sagen nur, dass sich die Einstellung zur Tierhaltung verändert und die Landwirtschaft sich darauf einstellen muss.


Wie kann die Landwirtschaft mit Otto Normalverbrauchern ins Gespräch kommen?


Birner: Über offene Diskussionsprozesse zwischen Bauern und Bürgern. Viele Verbraucher kommen vielleicht zu einer realistischeren Bewertung ihrer Forderungen, wenn sie sich intensiv mit den jetzigen Haltungsbedingungen auseinandersetzen, wissen, was die Landwirte verdienen und wie sich der Umbau der Tierhaltung auf die Lebensmittelpreise niederschlägt.


Krüsken: Den Vorschlag finden wir gut. Bei der von Ilse Aigner organisierten „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“ hat es allerdings eine starke Frontenbildung gegeben.


Birner: Man darf keine organisierten Interessengruppen aufeinander loslassen, sondern muss an der Basis ansetzen und am besten beginnen, bevor die Fronten verhärtet sind. Aus der Umweltplanung wissen wir, dass solche Prozesse gut funktionieren können.


Werden die Tiere zunehmend vermenschlicht?


Krüsken: Eindeutig ja.


Gelten deshalb für die Hobbytierhaltung andere Wertmaßstäbe?


Krüsken: Nein, der Tierschutz ist nicht teilbar. Die Politik muss klare gesetzliche Standards definieren – für alle Bereiche gleich. Dabei muss sie praktikabel und sachorientiert vorgehen und darf sich nicht von den Wertmaßstäben leiten lassen, die ein Heimtierhalter für seinen geliebten Lebensgefährten anlegt. Wer mehr als den gesetzlichen Standard will, kann das für sich definieren. Es ist dann aber nicht mehr Auftrag des Gesetzgebers, diese Wünsche umzusetzen. Das kann z.B. über den Markt laufen und ist dann auch für die Bauern eine Chance, zusätzliche Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Diesen Weg haben wir mit der Initiative Tierwohl zusammen mit dem Lebensmittelhandel und der Fleischwirtschaft beschritten und sind erfolgreich gestartet.


Birner: Im Prinzip sehen wir das auch so. Wir halten die Brancheninitiative für einen sehr guten Ansatz.


Aber für zu klein und zu schlecht finanziert?


Krüsken: Sagen wir unterfinanziert.


Birner: Das lässt sich sicher noch ausbauen. Was die Branche selber in Angriff nimmt, ist auf jeden Fall staatlichen Regelungen vorzuziehen. Diese sind oft politisch schwer durchsetzbar, führen zu zusätzlicher Bürokratie und werfen bei nationalen Alleingängen immer auch Wettbewerbsfragen auf. Aber: Die Initiative Tierwohl wird allein nicht reichen, die Nutztierhaltung von der Kritik zu befreien. Deshalb wollen wir auch die Tierschutz-Standards verschärfen, den Landwirten die dafür entstehenden Kosten aber gegenfinanzieren. Das soll verhindern, dass die Tierhaltung aus Deutschland abwandert. Das müsste auch im Sinne des Berufsstands sein. Wer will schon ständig öffentlich kritisiert werden?


Sieht der Berufsstand die Chance?


Birner: Leider nicht. Statt das Thema offensiv anzugehen und das Gutachten als Perspektive zu sehen, wie man zu mehr Tierschutz kommt, ohne den Landwirten die Kosten allein aufzubürden, kritisiert der Bauernverband unsere Arbeit in sehr pauschaler Weise. An der Basis wird das Gutachten dagegen differenzierter bewertet. Dass zeigt auch das Ergebnis einer Umfrage bei top agrar online. Dass Sie sich gegen Kritik wehren, ist völlig in Ordnung, aber bitte auf Basis der konkreten Inhalte und Empfehlungen des Gutachtens und nicht auf Grundlage falscher Zuspitzungen.


Krüsken: Wir haben das Gutachten nicht pauschal abgelehnt. Die Langfassung ist eine gute Bestandsaufnahme mit vielen Argumenten, die wir teilen. Auf manche Dinge haben wir aber eine andere Sicht. Dazu gehört die Bewertung der gesellschaftlichen Diskussion. Deshalb sind wir doch nicht gleich ein defensiver Bremser. Was wir vor allem vermissen, ist die Würdigung, dass wir den Tier- und Umweltschutz bei Haltung, Fütterung, Tiergesundheit und Zucht kontinuierlich verbessert haben und das auch in Zukunft tun wollen.


Birner: Das erkennen wir ausdrücklich an. Ressourcen-Effizienz und Wirtschaftlichkeit haben sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert. Beim Tierschutz gibt es aber positive und negative Beispiele. Der Laufstall für Milchkühe ist eine echte Verbesserung, der strohlose Vollspaltenboden für Schweine spart zwar Arbeit, hat aber auch mit dazu beigetragen, dass den Schweinen die Schwänze kupiert werden müssen. Deshalb bleibt die Frage: Wie können wir noch effizienter werden und gleichzeitig die gesellschaftliche Akzeptanz erreichen? Hier muss sich auch die Wissenschaft selbstkritisch fragen: Welche Lösungen haben wir geliefert? Offenbar zu wenige. Jedenfalls gibt es viele Fragen, die wir längst hätten beantworten sollen.


Krüsken: Wir haben weniger Verluste, weniger Erkrankungen, weniger Seuchen und bessere Leistungen als früher. Das kann man doch nicht einfach unter den Teppich kehren.


Trotzdem sind noch nicht alle Probleme gelöst. Ist die Landwirtschaft sensibel und selbstkritisch genug?


Krüsken: Sie werden immer irgendwo einen Missstand finden, der abgestellt werden muss. Dafür sind wir selbstkritisch und veränderungsbereit. Allerdings wird die Kritik immer schärfer und zugespitzter. Wir wehren uns gegen pauschale Vorwürfe, in der Tierhaltung sei alles schlechter geworden.


Wie bringt man die Bauern und ihre Kritiker zusammen?


Birner: Bauernverbände, Tierschutzorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen oder politische Parteien könnten sich vor Ort einbringen, Gespräche und runde Tische organisieren.


Bei wem müssten die Fäden zusammenlaufen?


Krüsken: Da muss niemand den Hut aufhaben. Wir müssen aber vier Gruppen zusammenbringen: Verbraucher, Erzeuger, Politik und Wissenschaft.


Birner: Ja, das ist ein dezentraler Prozess. Natürlich sollte das Thema auch im Bundestag diskutiert werden, am besten jenseits der parteipolitischen Grabenkriege. Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zum Tierschutz einsetzen soll. In einem solchen Gremium erarbeiten Abgeordnete und externe Sachverständige jenseits der politischen Lager zu grundsätzlichen Fragestellungen eine gemeinsame Position, die von der überwiegenden Mehrheit der Bürger parteiübergreifend mitgetragen werden kann.


Krüsken: Im Grundsatz ist die Idee richtig. Sie stellt aber hohe Anforderungen an eine solche Kommission. Auch in einer Enquete-Kommission kann es parteipolitischen Zwist geben, vor allem in Wahlkampfzeiten.


Die Deutschen sind – was den Tierschutz angeht – viel sensibler als zum Beispiel die Amerikaner oder die Süd­europäer. Gehen wir einen nationalen Sonderweg bei der Tierhaltung?


Birner: Die gesellschaftliche Forderung nach mehr Tierschutz ist ein langfristiger globaler Trend, der sich mit zunehmendem Wohlstand verstärkt. Die Volkswirtschaften, die ihre Tierhaltung frühzeitig darauf ausrichten und bei höchster Produktivität mehr Tierschutz bieten, werden Wettbewerbsvorteile haben. So war es auch beim Umweltschutz. Da musste die deutsche Industrie schon früh strenge Umweltziele einhalten, weil die Umweltbewegung Druck gemacht hat. Die Anpassung war schwierig, hat aber dazu geführt, dass wir bei vielen umweltfreundlichen Technologien Weltmarktführer geworden sind. Das heißt, gesellschaftlicher Druck kann sich am Ende als Wettbewerbsvorteil herausstellen. Diese Chance gibt es auch beim Tierschutz.


Krüsken: Es wird in der Tat einen globalen Wandel zu mehr Tierschutz geben. Der wird aber sehr langsam ablaufen. Die chinesischen Verbraucher sind vielleicht in 20 bis 40 Jahren auf dem Niveau der deutschen Verbraucher. Solange werden wir die von Ihnen skizzierten Wettbewerbsvorteile auf den meisten internationalen Märkten gar nicht realisieren können, weil mehr Tierschutz schlicht nicht nachgefragt und bezahlt wird. Dann bleiben die deutschen Bauern auf den Kosten hängen und verlieren den Anschluss.


Birner: Das darf nicht passieren. Wenn die Tierhaltung in die Regionen abwandert, wo der Tierschutz keine Rolle spielt, haben wir unser Ziel verfehlt. Deshalb wollen wir den Tierschutz umfassender im EU- und WTO-Recht verankern.


Und wenn EU und WTO nicht mitspielen?


Birner: Dann wird es auf jeden Fall ein Stück schwieriger. Wir können aber den technischen Fortschritt auch beim Tierschutz nutzen und Kostenvorteile durch Innovationen realisieren.


Profitieren davon nicht vor allem die größeren Betriebe?


Krüsken: Das zeigt die ganze Widersprüchlichkeit der sogenannten gesellschaftlichen Erwartungen. Man verlangt von den Betrieben größere Innovationen und Investments, ungeachtet der wirtschaftlichen Perspektiven und verursacht einen verstärkten Strukturwandel. Die daraus hervorgehenden größeren Betriebe verursachen dann neue Proteste. Ein Teufelskreis. Da darf man sich doch nicht wundern, dass wir skeptisch sind.


Beim Verbot der Käfighaltung und beim Start Gruppenhaltung bei Sauen war das in der Tat so. Ist das der Preis für mehr Tierwohl?


Birner: Strukturwandel findet immer statt. Wenn es Zielkonflikte gibt, muss man Prioritäten setzen. Für uns ist es im Zweifel wichtiger, den Tier- und Umweltschutz zu verbessern, als den Strukturwandel zu begrenzen. Im Gutachten schlagen wir viele Maßnahmen vor, die die Kosten für mehr Tierschutz kompensieren und damit den Strukturwandel dämpfen.


Wie soll es jetzt weitergehen?


Birner: Wir wünschen uns eine intensive Diskussion und würden uns freuen, wenn viele Punkte des Gutachtens aufgenommen und umgesetzt würden.


Werden Sie das tun?


Krüsken: Wir werden das Gutachten nicht in den Giftschrank sperren, sondern intensiv mit allen beraten. Für uns gibt es noch einiges zu klären.

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