Die Bioland-Bauern Gabi und Willi Bolten halten die neue EU-Ökoverordnung für eine Bio-Verhinderungs-Verordnung. Sie fürchten um die Zukunft ihres Betriebes.
Willi Bolten aus dem niederrheinischen Niederkrüchten hat eine lange Nacht hinter sich. Am Tag vor unserem Gespräch legte die EU-Kommission ihren 132-seitigen Entwurf für eine Reform der Ökoverordnung vor. An diesem Morgen hat er ihn schon fast durchgelesen.
Nach dieser Lektüre bangen seine Frau Gabi und er um die Zukunft ihres Betriebes. Geht es nach dem Willen der Kommission, so dürfen Bio-Produkte künftig keine Rückstände von Pflanzenschutzmitteln mehr enthalten und ab 2021 soll nur noch öko-zertifiziertes Saatgut verwendet werden dürfen.
Dass die beiden dafür haften sollten, wenn Pflanzenschutzmittel von den konventionellen Nachbarn herüberdriften, ist den Boltens vollkommen unverständlich. Willi Bolten hält dabei das Verursacherprinzip für auf den Kopf gestellt. Denn die Bio-Landwirte müssten dann die finanzielle Verantwortung für Rückstände übernehmen, die sie selber gar nicht verursacht haben. Gleichzeitig will er seinen konventionellen Nachbarn nicht alle Schuld in die Schuhe schieben. Er weiß, dass sie nur gemäß guter fachlicher Praxis spritzen.
Bolten hat denselben Wunsch wie viele Verbraucher, weniger Pestizide im Essen zu haben. Die Nulltoleranz hält er aber für unrealistisch und übertrieben. Denn bereits jetzt würde Bio-Gemüse 180-mal weniger Rückstände aufweisen als konventionelles. „Was wir nicht drauf tun, das kann auch nicht drin sein!“, so Bolten.
Entschädigungsregel nutzlos:
Laut aktuellem Entwurf soll der Staat Biobauern, deren Produkte aufgrund von Abdrift nicht mehr als „Bio“ verkauft werden dürfen, je nach Kassenlage entschädigen können. Dann würde der Steuerzahler für die Abdrift haften. Ob Deutschland davon Gebrauch machen würde, ist völlig offen. Finanzielle Sicherheit für die Bauern sieht anders aus.Doch selbst wenn es eine hieb- und stichfeste Entschädigungsregel gäbe, wäre den Boltens damit nicht geholfen. Es sei wichtig, jedes Jahr konstante Mengen abzuliefern, um langfristige Geschäftsbeziehungen mit Verarbeitern aufbauen zu können. „Wenn der Spinat-Verarbeiter jedes Jahr zittern muss, ob der Hälfte meines Spinats das Bio-Label entzogen wird, dann will er bald gar kein Geschäft mehr mit mir machen“, erklärt Willi Bolten sein Dilemma. Wie er in einer vom konventionellen Anbau dominierten Landwirtschaft seine Produkte von Rückständen gänzlich freihalten soll, die mittlerweile sogar am Nord- und Südpol nachweisbar seien, ist ihm nicht ganz klar. „Wir können uns keinen neuen Planeten suchen“, so sein einfaches Argument.
Angst und bange wird den Boltens beim Ausblick darauf, ab 2021 nur noch öko-zertifiziertes Saatgut verwenden zu dürfen. Steht das nicht zur Verfügung, dürfen Bio-Bauern aktuell noch auf ungebeiztes konventionelles zurückgreifen. Sieben Jahre sind es noch bis 2021 - zu kurz, als dass sich genügend Öko-Pflanzenzüchter entwickeln könnten.
Grundsätzlich wäre es dafür aber höchste Zeit, findet Gabi Bolten. Denn konventionelles Saatgut sei nie optimal auf Öko-Bedürfnisse abgestimmt. Derzeit gebe es vor allem für Gemüse einfach kein Bio-Saatgut, dass den speziellen Anforderungen im Ökolandbau gerecht wird - beim Spinat ist das vor allem Schnellwüchsigkeit zur Unkrautunterdrückung. Deswegen müssen die Bio-Bauern notgedrungen auch weiterhin auf konventionelles Saatgut zurückgreifen.
In nur sieben Jahren ein breites Angebot an Öko-Saatgut zu schaffen, hält Gabi Bolten für utopisch. „Wenn diese Regel greift, können wir unseren Betrieb dichtmachen“, so ihre düstere Prognose.
Ihr Mann hält derweil eine Verschärfung der Kontrollen für viel dringlicher als eine Verschärfung der Regeln. Als Bio-Möhrenanbauer sieht er sich der Konkurrenz durch mafiöse, süditalienische Anbauer ausgesetzt. Es sei klar, dass in Süditalien die bestehenden Bio-Regeln weder eingehalten noch kontrolliert werden. „Mehr Kontrolleure, bessere Kontrolleure, alles, aber doch bitte keine vorschnellen neuen Regeln!“, macht er seinem Unmut Luft.