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Wie Behörden die Mäuseplage fördern

Lesezeit: 7 Minuten

Im fränkischen Itzgrund haben Mäuse rund 1 000 ha Gründland verwüstet. Lange Zeit haben die Behörden den Bauern die Bekämpfung verwehrt. Lenken sie jetzt ein?


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Das kann doch nicht wahr sein: Die Mäuse machen unsere Wiesen kaputt und wir dürfen nichts dagegen tun“, schimpft Kerstin Brunner. Ihr Ärger ist verständlich: Die Milchviehhalterin aus Poppendorf im nördlichen Landkreis Bamberg muss tatenlos zusehen, wie Feldmäuse ihr Grünland im Itzgrund nach und nach zerstören. „Dort befinden sich die meisten unserer Wiesen und wir sind auf das Futter von diesen Flächen existenziell angewiesen“, so die Landwirtin, die 100 Milchkühe plus Jungvieh zu versorgen hat.


Weil der letzte Winter mild und trocken war, hielt sich die Mäusepopulation vergleichsweise stabil. So konnten die Nager bereits zu Beginn der Vegetation die ersten Schäden anrichten. „Im Frühjahr waren schon 15 ha Grünland so stark vom Mäusefraß betroffen, dass eine Einzelloch-Bekämpfung arbeitswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll war“, berichtet Kerstin Brunner. Sie versuchte deshalb die Mäuse auf diesen Flächen mit Kalkstickstoff zu bekämpfen und säte dann eine Grünlandmischung nach.


3. Schnitt war Totalausfall.

Doch der Aufwand von 7 500 € war umsonst. „Wenig später war der neue Aufwuchs wieder weggefressen“, sagt die Milchviehhalterin. Der 3. Schnitt sei wegen der Mäuseschäden total ausgefallen.


Die Nager hatten sich wegen der heißen Temperaturen im Sommer weiter ausgebreitet. Zudem fehlte der Stark-regen, der zu den sonst üblichen Überschwemmungen im Itzgrund und damit zur Eindämmung der Mäusepopulation führt.


Inzwischen ist das gesamte Grünland, das die Milchviehhalterin im Itzgrund bewirtschaftet, stark geschädigt. Um das fehlende Futter zumindest teilweise zu ersetzen, hat sie Ackerflächen, auf denen sie sonst Marktfrüchte anbaut, mit Kleegras eingesät.


Die Mäuseplage macht mittlerweile fast allen Landwirten an der Itz und ihren Nebenflüssen schwer zu schaffen. „Insgesamt sind über 1 000 ha Grünland stark geschädigt“, schätzt Dieter Reisenweber, der selbst 67 ha im betroffenen Gebiet bewirtschaftet. Der Milchviehhalter aus Untermerzbach ist Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Itz-, Rodach- und Baunachgrund und kämpft seit Monaten an vorderster Front für eine breitflächige Bekämpfung der Feldmäuse.


Notfallzulassung für 120 Tage:

Normalerweise ist das Ausbringen der dafür vorgesehenen Ratron-Feldmausköder mit dem Wirkstoff Chlorphacinon nicht mehr zulässig. Aber das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat auf Antrag der Landesanstalt für Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt wegen des extremen Mäusebefalls in diesem Jahr eine Notfallzulassung erteilt.


Die Zulassung ist jedoch auf 120 Tage begrenzt und gilt nur vom 1. September bis 29. Dezember 2015. Zudem ist sie an strenge Auflagen gekoppelt. Dazu zählen unter anderem folgende Punkte:


  • Die Bekämpfung muss beim zuständigen Pflanzenschutzdienst beantragt werden, der dann den Einsatz zur Abwendung erheblicher Schäden anordnen kann.
  • Für jedes Flurstück, auf dem eine Bekämpfung stattfinden soll, muss deren Notwendigkeit durch Probefänge oder ein anderes Prognoseverfahren belegt werden. Eine anerkannte Methode ist die Lochtret-Methode, bei der auf jedem Flurstück auf jeweils 250 m2 alle Mäuselöcher zugetreten oder andersweitig aufgefüllt werden. Nur wenn sich auf dieser Fläche nach 24 Stunden wieder 20 Löcher geöffnet haben, ist der Befall so stark, dass der Bewirtschafter den Antrag stellen kann.
  • Der Pflanzenschutzdienst muss sich bei seiner Entscheidung im Hinblick auf die Folgen für geschützte Wirbeltierarten mit der zuständigen Naturschutzbehörde abstimmen.


Flächen im Schutzgebiet.

Und hier liegt für die Bauern im Itzgrund das Problem. Die meisten der geschädigten Flächen liegen in einem 1 450 ha großen FFH-Gebiet, das von einem knapp 1 900 ha großen Vogelschutzgebiet überlagert wird. In solchen Fällen geht die für die Zulassung zuständige Einrichtung, die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), offenbar besonders restriktiv vor.


Betroffene Landwirte haben das bereits zu spüren bekommen. Anträge auf breitflächige Bekämpfung der Feldmäuse hat die LfL praktisch nur auf Flächen außerhalb des Itzgrundes genehmigt. Die Ablehnung begründete die LfL mit der Stellungnahme der höheren Naturschutzbehörde. Diese argumentierte, der Itzgrund zähle zu den bekanntesten Rast- und Nistplätzen für viele bedrohte Durchzügler. Zudem sei in den Monaten September bis Dezember mit durchziehenden Schwärmen von Singvögeln zu rechnen. Eine Gefährdung der Vogelarten durch Giftköder bzw. durch vergiftete Mäuse könne nicht ausgeschlossen werden.


Gerhard Ehrlich, Kreisobmann des Bauernverbands in Coburg, hat für diese Argumentation kein Verständnis und verweist auf eine Langzeitstudie des BVL. Danach gab es seit 1988 nur zwei Fälle von Vergiftungen von Wirbeltieren durch Chlorphacinon, wobei in einem Fall eine gezielte Vergiftung nachgewiesen wurde. „Wenn wir bei bis zu 200 000 Mäuselöchern pro Hektar nicht mehr breitflächig bekämpfen dürfen, wird es keine Artenvielfalt und vor allem kein Grundfutter auf diesen Wiesen mehr geben“, macht der Landwirt deutlich.


Landwirte laufen Sturm.

Die Landwirte laufen deshalb gegen ein generelles Verbot Sturm. Denn die Schäden durch den Ertragsausfall und die Kosten für die Wiederherstellung des Grünlands sind riesig. „Bei einigen Betrieben erreichen wir bereits jetzt mittlere bis hohe fünfstellige Summen“, bestätigt Klaus Pieroth, Geschäftsführer der IG Itz-Rodach-Baunach-Grund. Das geht an die Existenz der Betriebe, die bereits durch die Ertragsausfälle wegen der Trockenheit schwer gebeutelt sind.


Die betroffenen Landwirte haben deshalb mehrfach die Vertreter der Landwirtschafts- und Naturschutzbehörden zu Vor-Ort-Terminen eingeladen, um diese mit dem Ausmaß der Schäden und die Folgen für ihre Betriebe zu kon-frontieren.


Doch das Ergebnis war ernüchternd. „Egal ob von der Naturschutz- oder der Landwirtschaftsverwaltung – jeder, der kam und die verwüsteten Flächen sah, sagte, es muss gehandelt werden, aber anordnen wollte die Bekämpfung niemand“, ärgert sich Pieroth.


Zudem verweist das bayerische Landwirtschaftsministerium auf Anfrage daraufhin, dass eine Ansaat aus fachlicher Sicht erst im Frühjahr 2016 erfolgversprechend sei, „dann aber so früh wie möglich“. Und das bayerische Umweltministerium setzt offenbar ganz auf die Selbstheilungskräfte der Natur. „Die Grünlandvegetation wird sich nach Abklingen der aktuellen Mäusevermehrung langfristig bei weiterhin konstantem Nutzungsregime in der Regel wieder regenerieren können“, heißt es in einer Stellungnahme des Ministerium wörtlich.


Doch damit wollen sich die Bauern nicht abspeisen lassen, zumal sich die Mäuse bis Mitte November wegen der milden Witterung weiter ausbreiteten. „Die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer“, so Milchviehhalter Edgar Böhmer aus Medlitz, der knapp 70 ha Wiesen im FFH-Gebiet bewirtschaftet. Der Landwirt versuchte, die Mäuse mit der Einzelloch-Bekämpfung in Schach zu halten. Doch der Aufwand war mit 30 bis 50 Stunden pro Hektar enorm.


Praxisfernes Verhalten:

Was den Landwirt am meisten ärgert, ist das praxisferne Verhalten von Politik und Verwaltung. „Wir Bauern haben durch unsere Bewirtschaftung die ökologisch wertvollen Flächen im Itzgrund geschaffen – und jetzt, wo von oben eingegriffen wird, gehen diese Flächen zuerst kaputt“, kritisiert Böhmer.


Böhmer und seine Mitstreiter haben sich deshalb über die IG und den Bayerischen Bauernverband (BBV) direkt an die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf und den bayerischen Landwirtschaftsminister Helmut Brunner gewandt. „Wir wollen von der Politik und der Verwaltung jetzt eine praxisgerechte Lösung für die Sanierung unserer verwüsteten Flächen erhalten“, so Kreisobmann Ehrlich.


Offenbar mit Erfolg. Die Bauern haben jetzt eine Zusage für einen gemeinsamen Vor-Ort-Termin (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) mit Vertretern des Landwirtschafts- und Umweltministeriums sowie des BBVs erhalten. Zudem erteilte die LfL Anfang November die ersten Genehmigungen für die breitflächige Bekämpfung im FFH-Gebiet, darunter auch für den Betrieb von Kerstin Brunner. Begründung des Naturschutzes: Der Rotmilan und Weißstorch sind weggezogen.Klaus Dorsch

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