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Zweifel an der Wirksamkeit

Können Hagelflieger Unwetter verhindern?

Der Einsatz sogenannter Hagelflieger in Baden-Württemberg ist umstritten. Bringt das wirklich etwas oder ist das nur enorme Steuergeldverschwendung?

Lesezeit: 5 Minuten

2022 sind allein in Baden-Württemberg Hagelschäden in Höhe von 117 Mio. € entstanden. Und durch den Klimawandel werden derartige Extremwetterereignisse wohl noch häufiger. Aus diesem Grund setzen die Versicherungen und Behörden in Hagelflieger große Hoffnungen.

Die Flugzeuge steigen bei Gewitter auf und sollen die Wolken gegen große Hagelkörner "impfen". Dazu versprühen sie ein Silberjodid-Aceton-Gemisch. Dieses soll verhindern, dass sich in einer Gewitterzelle große Hagelkörner bilden und dafür sorgen, dass sich die Wolke stattdessen abregnet. So soll das Risiko für schwere Hagelschäden beispielsweise im Obst- und Weinbau oder an Immobilien reduziert werden. Finanziert werden sie auch durch Steuergelder - an ihrer Wirkung gibt es jedoch Zweifel, berichtet SWR4.

Wein- und Obstanbaugebiete leisten sich Hagelflieger

In einigen Regionen werden Hagelflieger aber schon seit mehr als 40 Jahren eingesetzt. Im vergangenen Jahr sind laut Württembergischer Gemeinde-Versicherung (WGV) im Großraum Stuttgart und in Württemberg zum Beispiel über 70-mal Hagelflieger unterwegs gewesen.

Aber auch der Rems-Murr-Kreis, die Ortenau, Reutlingen und der Schwarzwald-Baar-Kreis setzen auf die Flieger. Finanziert werden die Einsätze unter anderem von Landkreisen, Städten, Gemeinden und Versicherungen - also von Steuergeld, wie der SWR feststellt. Es würden sich aber auch Weingenossenschaften und Winzer an der Finanzierung beteiligen.

Zweifel an der Wirksamkeit

Laut dem Sender bestehen jedoch nach wie vor Zweifel, ob das Impfen von Wolken überhaupt seinen Zweck erfüllt. So gebe es bis heute keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass die Methode wirklich funktioniert. Das ist auch der Grund dafür, dass Hagelflieger nicht weltweit unterwegs sind, sondern nur in einigen Regionen.

Nach intensiver Auswertung zahlreicher Daten steht zumindest für Prof. Dr. Michael Kunz, Hagelforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das Resultat fest: Hagelflieger haben „leider überhaupt keinen Effekt in den Regionen“.

Sowohl in der Landwirtschaft als auch bei Gebäudedaten könne der Leiter der Arbeitsgruppe Atmosphärische Risiken nicht beobachten, dass die Hagelschäden in den Regionen geringer ausfallen, wo Hagelflieger im Einsatz waren, berichtet der SWR weiter. Auch Computermodelle hätten keinen Beweis erbracht. Es gibt laut Kunz keinen linearen Zusammenhang zwischen dem eingesetzten Gemisch und der Hagelgröße.

Außerdem sei die Struktur in Gewitterwolken so komplex, dass durch den Einsatz des Silberjodid-Aceton-Gemischs verschiedene Effekte eintreten können, d.h. die Hagelkörner könnten sogar größer werden. Und weg sei der Hagel dann auch nicht, sondern würde sich ggf. in Starkregen verwandeln und Sturzfluten verursachen, so der Forscher.

Hagelabwehr ist von Erfolg überzeugt

Anders sieht das die Hagelabwehr im Rems-Murr-Kreis: "Hagelabwehr, wie sie in unserer Region schon seit vielen Jahren betrieben wird, trägt dazu bei, die Folgen von schwerem Hagelschlag zu vermindern. Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen, Immobilien und Kraftfahrzeugen können durch den Einsatz der Hagelflieger reduziert werden." Dass es keine wissenschaftliche Nachweisbarkeit gebe liege schlicht daran, dass man – anders als im Labor -  in der Natur keine Wiederholbarkeit erbringen könne. Es bleibe nur der Vergleich einzelner Statistiken wie Versicherungsfälle oder Radarbilder.

Ein kleines Flugzeug kann nicht gegen eine große Gewitterwolke ankommen

Hagelforscher Kunz kann das nicht verstehen. "Ich kann es nicht nachvollziehen, dass Wettermodifikation einfach erlaubt ist, ohne dass wissenschaftliche Klarheit hinsichtlich der möglichen Folgen für die Bevölkerung besteht", sagt er dem SWR.

Als Beispiel nennt er das Gewitter im Juni 2021, bei dem die Gewitterzelle auch von den Hagelfliegern "geimpft" worden sei. Das Gewitter war dennoch von Hagel, aber auch von massiven Sturzfluten mit verwüsteten Häusern und vollgelaufenen Kellern geprägt. "Bei manchen vergangenen Ereignissen stellt man sich schon die Frage: Hätte es vielleicht die Schäden durch Sturzfluten nicht gegeben, wenn die Wolke nicht 'geimpft' worden wäre?"

Seiner Überzeugung nach lohnt sich der Einsatz von Hagelfliegern ganz klar nicht. Hagelgewitter bilden sich oftmals extrem schnell. Um einen Effekt zu erreichen, müssten die Wolken aber möglichst früh geimpft werden. Das sei ein großes Problem, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Gleichzeitig könne ein einzelnes Flugzeug mit dem Silberjodid-Aceton-Gemisch kaum gegen eine große Gewitterwolke ankommen.

Hohe Kosten

Versicherungen, Kommunen und auch Winzer halten jedoch an der Wirksamkeit von Hagelfliegern fest. Fast 140.000 € zahlten die Kommunen und Landkreise im vergangenen Jahr für die Hagelabwehr im Rems-Murr-Kreis bei einem Gesamtaufwand von rund 360.00 €.

Die Württembergische Gemeinde-Versicherung finanziert eigene Hagelflieger und gab im Jahr 2023 für zwei Flieger inklusive Betriebsmittel 450.000 € aus. Im Kontext von durchschnittlich 8.000 Kfz-Hagelschäden pro Jahr und somit Schadenaufwendungen von 24 Mio. € sind die Kosten der Hagelabwehr verhältnismäßig, schreibt die Versicherung auf SWR-Anfrage. Sie sei von den Vorteilen der Hagelabwehr überzeugt und würde eine Ausweitung der Beteiligung weiterer Landkreise, Vereine oder Versicherungen sehr begrüßen.

Auch der Rems-Murr-Kreis zeigt sich auf SWR-Anfrage dankbar für alle Finanzierungspartner. Trotz Kritik halte das Landratsamt an den Hagelfliegern und der finanziellen Unterstützung fest. "Aufgrund der enormen Schadenshöhen, die ein Hagelereignis in kurzer Zeit verursachen kann, gehen wir davon aus, dass die Kosten für die Hagelabwehr bereits durch die Verhinderung oder Minimierung weniger Hagelereignisse schnell kompensiert werden."

Hagel bald präzise vorhersagbar

Einig sind sich dagegen alle Seiten, dass Hagelschäden in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben. Daher sei es dringend notwendig, die Forschung auf diesem Gebiet erheblich zu intensivieren, mahnt Kunz. Immerhin habe sich die Hagelvorhersage in den letzten Jahren schon "massiv verbessert".

"Ich erwarte in den nächsten Jahren einen Durchbruch bei der Vorhersage von Hagel in Deutschland. Die neueste Generation der Wettervorhersagemodelle des Deutschen Wetterdienstes ist mittlerweile in der Lage, Hagel und andere Gefahren relativ gut für einen Zeitraum von wenigen Stunden vorherzusagen", so der Forscher. Dann brauche es nur noch ein entsprechend gutes Warnsystem, sodass die Informationen an die Bürger kommen.

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