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„Auch die Bürger wollen von der Anlage profitieren“

Lesezeit: 7 Minuten

In Anhausen (Rheinland-Pfalz) ist Deutschlands erste Biogas-Genossenschaft mit Bürgerbeteiligung entstanden. Dank vorbildlicher Öffentlichkeitsarbeit steht die Bevölkerung trotz anfänglicher Skepsis voll dahinter.


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Ein großer Solarpark? Nicht genügend Fläche! Mehrere Windkraftanlagen? Zuviel Gegenwind aus der Bevölkerung! Geothermie? Zu teuer! Auf der Suche nach einer alternativen Energieerzeugung landete die Gemeinde Anhausen (Rheinland-Pfalz) immer wieder in einer Sackgasse. „Als Alternative blieb uns nur noch Biogas. Aber auch dabei gab es Bedenken“, blickt Jörg Wagenknecht, Aufsichtsratsvorsitzender der Energiegenossenschaft Kirchspiel Anhausen eG, zurück. Grund: Im Nachbarort steht eine Anlage, die in der Bevölkerung nicht sehr beliebt ist und schon häufiger in der Presse für negative Schlagzeilen gesorgt hat. Das liegt unter anderem an ihrem unglücklichen Standort, denn der gesamte Verkehr zu und von der Anlage geht mitten durch den Ort.


Die negativen Erfahrungen haben Gerd Krämer, den einzigen Landwirt in Anhausen, davon abgehalten, selbst in die Biogasproduktion einzusteigen: „Ich wollte hier nicht als alleiniger Nutznießer und gleichzeitig als Gestanksverursacher dastehen. Nur wenn eine starke Truppe hinter mir steht, wollte ich mitmachen.“ Das war die Geburtsstunde für das innovative Biogasprojekt.


Bürger immer informiert:

Bei der folgenden Planung legten die Akteure viel Wert auf Transparenz. „Wir informierten die Bevölkerung von Anfang an über unser Vorhaben“, nennt Wagenknecht einen wichtigen Erfolgsfaktor.


Und nicht nur das: Der Verein organisierte Besichtigungsfahrten zu gut laufenden Anlagen und konnte so zeigen, dass Biogasanlagen nicht per se stinken. Oder sie veranstalteten Info-Abende für Bürger und Kommunalpolitiker. Als sehr hilfreich hat sich dabei erwiesen, dass die Vereinsmitglieder im Ort gut vernetzt waren und so viele Informationen in die Breite tragen konnten. Das verhinderte auch, dass sich eine Gruppe von rund 100 Skeptikern aus umliegenden Dörfern zu einer Bürgerinitiative gegen die Biogasanlage zusammenschließen konnte. Trotz aktiver Pressearbeit der Gegner ließen sich mehr und mehr von ihnen für das Projekt begeistern.


Einstieg eines Versorgers:

Als erste richtige Hürde erwies sich jedoch die Finanzierung. „Wir gingen von 4 bis 6 Mio. € aus, die wir allein mit ein paar Bürgern nicht stemmen konnten und wollten“, berichtet Wagenknecht. Ein Vereinsmitglied brachte daraufhin das regionale Unternehmen Süwag aus Ludwigsburg ins Spiel.


Der Energieversorger zeigte großes Interesse und brachte auch Fachwissen mit ein. „Unsere Strategie lautet: Wir wollen grüner und kommunaler werden. Daher war die Biogasanlage in Anhausen ein interessantes Projekt für uns, um damit vor Ort Strom und günstige Grundlastwärme mit hohem Effizienzgrad zu erzeugen“, erklärt Andreas Föll, Leiter Projektierung bei der Süwag Erneuerbare Energien GmbH.


Die weitere Planung und das Genehmigungsverfahren kamen nach dem Süwag-Einstieg gleich viel schneller voran. Ein wichtiger Grund dabei war, dass Bürger, Verwaltung und politische Gremien dem Unternehmen Vertrauen entgegenbrachten.


Bürger werden Genossen:

Am Ende präsentierten die Beteiligten ein für alle Seiten tragbares Konzept:


Die Biogasanlage wird von der Bioenergie Kirchspiel Anhausen GmbH & Co. KG betrieben. An der Gesellschaft sind zu 51 % die Süwag und zu 14 % Landwirt Gerd Krämer beteiligt, der die Anlage auch betreibt.


Die restlichen 35 % gehören der Energiegenossenschaft Anhausen, zu der sich im März 2011 insgesamt 122 Bürger sowie die Kommunen Anhausen und Meinborn zusammengeschlossen haben. Jeder Bürger konnte beliebig viele Geschäftsanteile à 500 € erwerben.


Die Bürger waren von dem Konzept so überzeugt, dass die Genossenschaft innerhalb von vier Wochen die nötigen 30 % Eigenkapital für die 4,9 Mio. € teure Investition eingesammelt hatte. Die Genossenschaft hatte sogar noch so viel Geld übrig, um damit eine Photovoltaikanlage mit 50 kW Leistung auf dem Betriebsgebäude der Biogasanlage zu finanzieren. „Die Leute wollen einen Vorteil von der Anlage haben, dann sind sie auch bereit, zu investieren“, zieht Vorstandsvorsitzender Clemens Pryss das Fazit daraus.


Die Genossenschaft wurde daraufhin Kommanditist in der Biogas-Gesellschaft, so dass jetzt 122 Bürger und zwei Kommunen an der Anlage beteiligt sind. Die Überschüsse werden anteilig an die Kommanditisten ausgeschüttet.


Keine Fahrt durchs Dorf:

Der Standort am Rande eines vorhandenen Gewerbegebietes wurde so gewählt, dass die Anlage kaum sichtbar hinter einem Hügel am Ortsausgang von Anhausen liegt. Dazu kommt, dass Fermenter und Nachgärer in den Boden eingelassen und mit Betondecke ausgestattet sind. Dadurch sind die Behälter kaum zu sehen. Das mit Tragluftfoliendach bestückte Endlager dagegen trägt eine graue Folie, die auch nicht weit sichtbar ist. Und der Transportverkehr geht ausschließlich über eine vielbefahrene Landstraße und muss nicht durch den Ort. Die Biogasanlage wird über eine eigene Zufahrt erreicht.


Die Biogasanlage hat eine Leistung von 635 Kilowatt (kW) elektrischer Leistung. Die Größe wurde bewusst über 500 kW gewählt, um eine BImSch-Genehmigung zu erhalten. „Damit sind wir auch für die Zukunft gerüstet“, begründet Pryss diesen Schritt.


Wärme trocknet Klärschlamm:

Die Abwärme wird zur Klärschlammtrocknung genutzt. Den Klärschlamm liefert die Süwag Wasser GmbH und holt die getrocknete Ware auch wieder ab.


Die Anhauser hatten lange über ein Nahwärmenetz oder eine Mikrogasleitung mit Satelliten-BHKW nachgedacht. Aber die Wärmenutzung wäre wegen der langen Leitung und der verstreut liegenden Einfamilienhäuser sehr teuer geworden. Für interessierte Gewerbekunden wie eine Gärtnerei dagegen reichte die Wärme im Winter nicht aus, im Sommer wäre ein Teil ungenutzt geblieben. „Jetzt haben wir eine ganzjährige Wärmenutzung, die auch noch sinnvoll ist“, beschreibt Wagenknecht. Denn der getrocknete Klärschlamm wird als Ersatzbrennstoff in Zementwerken verwendet und ersetzt dabei fossile Brennstoffe.


Um übermäßigen Maisanbau in der Region zu vermeiden, einigten sich die Beteiligten auf einen Substratmix. Nur 35 % der eingesetzten Rohstoffe sind Energiepflanzen, der Rest sind Reststoffe wie Gülle oder Rindermist sowie Pferdemist von umliegenden Reiterhöfen.


Neue Energiepflanzen:

Für mehr Akzeptanz setzt Landwirt Krämer auch auf Alternativen zu Mais. So hat er beispielsweise einige Flächen mit dem mehrjährigen, ungarischen Energiegras Szarvarsi bestellt. Auch hat er Mischungen von Mais und Sonnenblumen ausgesät, um die Vielfalt auf dem Acker zu erhöhen. Gleichzeitig setzt er Grasuntersaaten sowie Ganzpflanzensilage als Zwischenfrucht an, um möglichst alle Flächen doppelt nutzen zu können.


Gerade in diesem Jahr ist das Angebot von Mais hoch, viele Landwirte fragen dazu bei der Biogasanlage an. Denn etliche Getreideflächen sind ausgewintert, wurden umgebrochen und mit Mais bestellt.


Angst vor Pachtpreisanstieg hat in der Region niemand: Die Biogas-Gemeinschaft hat keine Flächen gepachtet, sondern vergibt nur Substratlieferverträge. „Wir stehen auch in Kontakt mit drei weiteren Anlagen, um bei Bedarf Substrate austauschen zu können“, erklärt Krämer.


Die Rohstoffe werden mit einer innovativen Aufbereitungstechnik per Wasserstrahldruck vor dem Einbringen zerkleinert. Dazu wird das gesamte Oberflächenwasser, das auf dem Gelände anfällt, gesammelt. Es wird auch zum Waschen der Fahrzeuge sowie zum Spülen von Rohrleitungen verwendet. Anschließend gelangt es in den Fermenter.


Die Substratlieferanten, die teilweise auch in der Genossenschaft beteiligt sind, stellen ihre Gülle kostenlos zur Verfügung und erhalten dafür den Gärrest als Dünger auch kostenlos bis an den Feldrand geliefert. „Die meisten sind Milchviehhalter, die zeitlich stark ausgelastet sind. Sie sind froh, wenn sie mit dem Gülletransport nichts zu tun haben“, erklärt Betriebsleiter Krämer.


Seit Juni am Start:

Die Anlage ist im Juni das erste Mal befüllt worden und fährt zurzeit hoch. Auch wenn sie gerade erst an den Start geht, blickt Anhausen auf fünf Jahre Energiewende zurück: Der Verein zur Förderung der erneuerbaren Energien besteht weiterhin und trifft sich regelmäßig einmal im Monat. Mit dabei sind auch Naturschützer und Jäger. Auf diese Weise werden alle Probleme rund um die erneuerbaren Energien im kleinen Kreis diskutiert und ausgeräumt.


Im Frühsommer hat der Ortsverein auf der Biogasanlage ein „Sonnenfest“ gefeiert und dabei die Anlage einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. „Wir bleiben weiter aktiv und suchen jetzt nach neuen Möglichkeiten für unsere Energiegenossenschaft wie z. B. die Windkraft. Die gemeinsame Biogasanlage war nur der erste Schritt“, stellt Wagenknecht in Aussicht.Hinrich Neumann

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