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Der Biogas-Boom und seine Schattenseiten

Lesezeit: 7 Minuten

Ich habe eine unheimliche Wut im Bauch, schimpft ein Biogasbetreiber aus Niedersachsen, der wegen eines laufenden Gerichtsverfahrens gegen den Hersteller seinen Namen nicht nennen will. Dass technische Probleme auftreten, ist in einer jungen Branche ja normal. Aber wenn sich der Hersteller sechs Monate nicht rührt und dann die Schuld nur auf den Landwirt schiebt, kann man das nicht mehr hinnehmen! Zu viele Mängel Die Beschwerden über technische Probleme oder mangelnde Kundenbetreuung häufen sich. Manche Landwirte verkehren jetzt nur noch per Anwalt mit dem Hersteller. Die Kritikpunkte sind bei den meisten Betreibern identisch: Mängel beim Bau, die sich oft erst nach der Inbetriebnahme zeigen, mangelhafter Kundendienst, lange Bearbeitungszeiten, keine Betreuung beim Anfahren und während des Betriebs der Anlage. Was sich häufig erst nach ein paar Monaten herausstellt: Oft hat der Werksvertreter oder Planer Versprechungen über die Anlage gemacht, die später nie eingetroffen sind. Im Kampf um Aufträge oder aus Unerfahrenheit wird schon einmal zu knapp dimensioniert, um den Angebotspreis zu drücken. Oder es werden wichtige Komponenten nicht angesprochen, um schnell zum Abschluss zu kommen, berichtet Markus Ott, stellvertretender Geschäftsführer beim Fachverband Biogas. Häufig werden auch Parameter der Wirtschaftlichkeit wie Abbaurate, Gasausbeute, Wirkungsgrad oder Prozessstrom zu positiv angesetzt, ohne ein Konzept anzubieten, wie dies im Betrieb abgesichert werden kann, führt er weiter aus. Seine Befürchtung: Biogasanlagen könnten in den nächsten Monaten vermehrt durch Misserfolg Schlagzeilen machen. Leidtragender ist dabei immer der Landwirt. Es gibt Anlagen, die seit über einem Jahr nicht auf die versprochene Leistung kommen. Dabei geht es um viel Geld: Eine Biogasanlage mit 500 kW Anschlussleistung kostet ca. 1,5 bis 2 Mio. E. Läuft die Anlage unter Volllast, bringt sie am Tag etwa 2 000 E an Stromerlös. Jeder Tag Ausfall oder auch Mindererträge können Liquidität und Wirtschaftlichkeit schnell ins Wanken bringen, da der Kapitaldienst unerbittlich weiterläuft. Ein besonders krasser Fall: Ackerbauer Rolf Stiebing aus dem hessischen Oberaula hatte eine 500-kW-Anlage geplant. Nach einem schweren Gewitter zeigte sich schon im Bau, dass eine Dachrinne am Getreidehochsilo defekt war und das Wasser in den Pumpenraum lief. Die Monteure hatten die Baustelle verlassen, weil angeblich ein dringender Fall in Süddeutschland vorlag. Erst drei Wochen, nachdem Stiebing den Schaden gemeldet hatte, rief die Firma zurück und reparierte den Schaden. Inzwischen zeigte sich auch, dass der Silobehälter unten an einer Stelle undicht war. Die Ernte stand an und wir mussten den Behälter füllen, beschreibt Stiebing die Zeitnot, in der er steckte. Ein Fachunternehmen kam ihm zur Hilfe und deckte das Leck auf seine Kosten ab. Wir wollten nichts selbst machen, um hinsichtlich der Gewährleistung nicht angreifbar zu sein, erläutert Stiebing. Aber die Anlage steht seit September im Rohbau, das Gärrestelager ist noch nicht gebaut und Stiebing hat keine Freigabe zum Anfahren. Täglich entgehen uns mehrere tausend Euro an Einspeisevergütung, während die halbfertige Anlage als totes Kapital herumsteht, macht der frustrierte Landwirt seinem Ärger Luft. Fast 400 000 E hat er an die Firma überwiesen, der Kapitaldienst läuft. Obwohl die Baustelle noch nicht abgeschlossen ist, hören wir seit September nichts mehr von der Firma, ärgert sich der Betreiber. Unregelmäßigkeiten bei der Bezahlung hätten zu Störungen bei der Terminkoordination und der Projektabwicklung geführt, teilt die Firma auf Anfrage von top agrar mit. Inzwischen hat sich der Hersteller aber bei dem Landwirt gemeldet und will den Bau fortsetzen. Ärger auch bei anderen Berufskollegen: In einem weiteren Fall pfuschten Subunternehmer beim Behälterbau. Sie hantierten mit alten und oft defekten Geräten, was die Arbeitszeit und damit die Kosten erhöhte. Wir haben dazu keine Unterlagen zu Behältern oder Komponenten erhalten, führt der Landwirt aus. Die Liste der festgestellten Mängel ist lang: Nicht funktionierende Steuerungen, undichte Gaslager, defekte Rührwerke und so weiter. Betroffen sind davon Komponenten verschiedener Hersteller. Mindestens 20 Fälle sind allein top agrar bekannt. Viele Betreiber fühlen sich mit ihren Problemen allein gelassen. Anrufe laufen ins Leere oder die Entscheidungsträger sind ständig in einer Sitzung. Dann dauert es oft mehrere Monate, bis ein Monteur zur Anlage kommt, schildert Volker Basedow aus dem niedersächsischen Hitzacker seine Erfahrungen. Er hat seit 1998 verschiedene technische Probleme mit seiner Anlage. Ein weiteres Manko: Nach der Übergabe der Anlage stehen die Betreiber mit ihren Problemen allein da. Wir hatten anfangs erhebliche Probleme mit der Biologie. Denn die geplante Dosierung der Feststoffe über die Pumpenlaufzeit war viel zu ungenau, musste ein norddeutscher Landwirt erfahren. Die Pumpe hatte ein Fördervolumen von zwei bis elf Kubikmeter, was er erst nach dem Absturz des Fermenters festgestellt hat. Unreife Konzepte Mit der wachsenden Anlagenzahl kommen auch neue Verfahren auf den Markt, mit denen sich die Hersteller von der Konkurrenz absetzen wollen. Dazu zählt unter anderem die Vergärung von gemahlenem und nass einsiliertem Getreide. Der Vorteil soll dabei in der geringen Arbeitszeit liegen, da das Substrat zusammen mit Gülle automatisch gepumpt werden kann und nicht wie bei Mais mechanisch in den Dosierbehälter befördert werden muss. Der Getreidebrei könne bis zu 50 % des Substratmixes ausmachen, erfuhren die Landwirte. Doch bislang war die Getreidevergärung in dieser Größenordnung in Praxis und Forschung wenig vertreten. Trotzdem sollen bis zu 60 Anlagen davon nach Aussagen eines Herstellers entstanden sein. Und während sie nach Angabe des Herstellers angeblich in Süddeutschland funktionieren sollen, gibt es im Norden verstärkt Probleme. Der Grund: Die Anlagen wurden mit zu geringem Fermentervolumen und ungenauen Dosiereinrichtungen geplant. Mit diesen Anlagen ist der Betreiber immer auf Messers Schneide. Jedes zu viel gefütterte Kilogramm Getreide kann den Prozess zum Kippen bringen, analysiert ein Insider. Ein häufiges Problem: Das Auftreten von Propionsäure. Sie entsteht im Biogasprozess und wird zu Methan weiterverarbeitet. Wenn die Methanbakterien bei Fehlentwicklungen nicht nachkommen, werden die entstehenden Säuren nicht verarbeitet, erläutert Sebastian Eschenbacher, zuständig bei der westfälischen WLV Service GmbH für die Biogas-optimierung und Prozessüberwachung. Steigen die Säuregehalte an, herrschen Bedingungen wie im Sauerkrautfass: Die Biologie stellt ihre Tätigkeit ein. Dieser Absturz des Fermenters ist nur mit Entleerung und erneutem Anfahren zu beheben. Das kann Monate dauern und bringt erhebliche Einbußen beim Stromverkauf. Besonders in der Kritik steht dabei ein ehemaliger westfälischer Werksvertreter eines süddeutschen Herstellers, der mit zu optimistischen Zahlen operiert haben soll. Die Landwirte sind mit einem einfachen Verfahren und geringen Arbeitszeiten gelockt worden, kritisiert ein Insider. Wenn dazu noch eine mangelhafte Kundenbetreuung kommt, wird die Anlage schnell zu einem Millionengrab! Der Hersteller hat sich zwar inzwischen von seinem Vertreter getrennt, aber die betroffenen Bauern bleiben auf ihrem Schaden sitzen. Was die Betreiber jetzt retten soll, ist eine biologische Betreuung über ein mobiles Labor, das die WLV Service GmbH aus Borken anbietet. Substratanalysen und Fütterungsempfehlungen sowie Beratungen zu notwendigen Nachrüstungen haben bereits kurzfristig geholfen, Fermenterabstürze zu vermeiden (siehe nebenstehende Reportage). Betreiber schulen Für eine bessere Qualifizierung der Betreiber entwickelt der Fachverband Biogas jetzt zusammen mit dem KTBL ein mehrtägiges, bundeseinheitliches Biogasgrundseminar zu wichtigen Bereichen wie Biologie, Technik, Recht und Ökonomie. Nach der erfolgreichen Teilnahme wird ein bundesweit gültiges Zertifikat vergeben. Damit sollen die Betreiber Anlagenkonzepte, Anlagenbau und Betrieb besser einschätzen und bewerten können. Hinrich Neuman

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