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Die Stromrebellen aus Lichtenau

Lesezeit: 8 Minuten

Wozu Windstrom an der Börse handeln, wenn die Kunden vor Ort wohnen? Das haben sich auch die Betreiber eines Windparks in NRW gefragt. Mittlerweile beziehen 160 Haushalte den Windstrom. Das Projekt könnte Schule machen.


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Es ist bereits sechs Jahr her, dass Johannes Lackmann sein Amt als Präsident des Bundesverbandes Erneuerbarer Energien niedergelegt hat – Schlagzeilen macht der heute 61-Jährige aber immer noch. Mittlerweile weniger auf der politischen Bühne in Berlin, dafür mehr als Stromrebell in Paderborn. Denn der Elektroingenieur vermarktet Strom aus einem Bürgerwindpark, an dem er selber beteiligt ist, direkt an die Kunden vor Ort. Anders ausgedrückt: Die Asselner Windkraft, so der Name der Gesellschaft, macht den Stromversorgern Konkurrenz.


Das kann jeder.

Wenn man Lackmann zuhört, stellt sich einem automatisch die Frage: Warum sind andere Windmüller nicht schon viel früher auf diese Idee gekommen? Schließlich ist ein Grundgedanke der Energiewende: Strom dort erzeugen, wo er auch verbraucht wird. „Viele haben Bedenken, dass der Aufwand für die Direktvermarktung zu groß ist oder die Materie zu kompliziert“, so der Westfale. Aber das sei sie nicht. Das könne theoretisch jeder.


Lackmann will uns das Konzept erklären und hat dazu in sein Büro eingeladen. Von außen erinnert das aber eher an ein typisch westfälisches Bauernhaus: Fachwerk, weiß verputzte Wände, tiefrote Ziegel und davor ein großer Garten. Dass in dieser Idylle bereits der Bundesverband Erneuerbare Energien seinen Sitz hatte, können sich Ortsfremde kaum vorstellen. Drinnen dagegen zeugen unzählige Aktenordner in den Holzregalen, große Stapel Papier auf den Schreibtischen und permanent klingelnde Telefone vom üblichen Bürostress. Aus der Ruhe bringt Lackmann das offensichtlich nicht. Zurückgelehnt in seinem Sessel erklärt er uns das Vermarktungs-Modell: „Wir beliefern Kunden in unmittelbarer Nähe unserer Anlagen. Es gibt keine eigene Stromleitung zwischen den Windmühlen und den Abnehmern, wir nutzen das öffentliche Netz für den Transport, aber rein bilanziell beziehen unsere Kunden reinen Ökostrom.“ Damit alles seine Richtigkeit hat, werden die Lichtenauer von der Bundesnetzagentur und dem zuständigen Hauptzollamt kon-trolliert.


Da die Anlagen nur dann Strom erzeugen, wenn auch Wind weht, kann die Asselner Windkraft keine Vollversorgung garantieren. Daher haben sie zusätzlich einen Stromhändler ins Boot geholt (Clean Energy Sourcing aus Leipzig). Dieser sorgt dafür, dass den Verbrauchern reiner Ökostrom geliefert wird. Das Unternehmen aus Sachsen erzeugt selbst keine Energie, kauft diese aber aus unterschiedlichen Quellen (Sonne, Wind, Biomasse, Wasser) zu, sodass sie in windschwachen Zeiten beispielsweise auf Strom aus Wasserkraft oder Biogas zurückgreifen können. Allerdings – und darauf sind die Lichtenauer stolz – stammen nur 12 % des verkauften Stromes aus anderen Quellen und 88 % aus der heimischen Windkraft!


Zehn Jahre Preisgarantie.

Die Kunden bekommen von dem komplizierten Verfahren nichts mit. Im Gegenteil: Der Strom steht rund um die Uhr zur Verfügung. Das bestätigt auch Dr. Wolfgang Daum aus Lichtenau. Der Bildhauer ist einer der ersten Kunden, den die Asselner Windkraft für ihr Projekt gewinnen konnte. In seiner Wohnung und seinem Garten zeugen zahlreiche Skulpturen von seinem Beruf.


In seinem Atelier bearbeitet er die Steinblöcke oft erst mit einem Winkelschleifer, bevor mit Hammer und Meißel die Feinarbeit beginnt. Das macht sich im Stromverbrauch bemerkbar. Fast 4 000 Kilowattstunden pro Jahr weist die Abrechnung aus. Für einen Zwei-Personen-Haushalt ist das viel.


Das Angebot der Windkraftbetreiber kommt Daum daher entgegen. Denn diese bieten ihm für die kommenden zehn Jahre einen festen Preis an (23,14 ct/kWh, 77 € Grundgebühr). „Allerdings gilt die Festpreisgarantie nur für die Energiekosten in Höhe von 13,06 ct“, sagt Lackmann und zieht ein Papier aus einem Stapel. Darauf ist ein Diagramm zu sehen, das die einzelnen Bestandteile des Strompreises darstellt (Übersicht). Grün eingefärbt sind die Bestandteile, auf die Lackmann und seine Partner Einfluss haben, rot-braun die Abgaben und Steuern, die vom Staat festgelegt werden.


Derzeit liegt der Strompreis der Asselner Windkraft mit 23,14 ct/kWh (ohne MwSt.) rund 1,2 ct unter dem Tarif des örtlichen Grundversorgers. Wenn die Abgaben und Steuern steigen, wird es für die Kunden teurer. Aber davon wäre auch der Energieversorger vor Ort betroffen und müsste seine Preise erhöhen. Die Differenz würde sich dadurch nicht verändern.


Dass die Lichtenauer ihren Kunden einen günstigen und vor allem langfristig stabilen Tarif anbieten können, liegt nicht nur daran, dass die Stromproduktion aus Windkraft mit 9,1 ct/kWh im Mix der neuen Energien relativ günstig ist. Zusätzlich profitieren sie von einer Steuerbefreiung. Dazu muss man wissen: Wer Ökostrom aus Anlagen mit maximal zwei Megawatt Leistung erzeugt und diesen in unmittelbarer Nähe vor Ort an die Verbraucher liefert, muss keine Stromsteuer zahlen (Stromsteuergesetz § 9 Abs. 1 Nr. 3b). Und das macht sich auf der Ausgabenseite bemerkbar. So beträgt die Abgabe derzeit 2,05 ct/kWh.


Die Asselner Windkraft musste sich allerdings zunächst mit dem zuständigen Hauptzollamt auseinandersetzen, um in diesen Genuss zu kommen. Denn eigentlich ist mit „im räumlichen Zusammenhang“ ein Radius von etwa vier Kilometern um die Windräder herum gemeint. Doch das Umland von Paderborn ist nicht so stark besiedelt. Viele Kunden wohnen deutlich weiter entfernt. Lackmann konnte die Behörde dennoch überzeugen. Sein Argument, dass nicht nur eine starre Kilometerangabe, sondern auch die Einwohnerdichte ausschlaggebend ist, stieß auf Verständnis. Der Radius wurde auf acht Kilometer ausgedehnt.


Der Gesetzgeber kommt den Lichtenauern auch bei der Erneuerbaren-Energien-Umlage entgegen. Über diese rechnet der Staat die Kosten für den Ausbau der Energiewende ab. Weil die Westfalen aber Ökostrom selber vermarkten, erlässt der Staat ihnen zwei Cent je Kilowattstunde (Grünstromprivileg). Sie zahlen somit nicht die volle Höhe (5,27 ct/kWh), sondern nur 3,27 ct. Das entlastet die Ausgabenseite nochmals deutlich.


Aus der Region, für die Region.

Der Strompreis ist aber nicht immer das entscheidende Argument für den vor Ort erzeugten Strom. Viele Kunden in den rund 160 Haushalten denken wie Daum. „Die Vorstellung, Windstrom aus Anlagen vor der eigenen Haustür zu beziehen, hat uns gefallen“, sagt der ehemalige Dozent an der Uni in Dortmund. Am liebsten würde er auch das öffentliche Stromnetz zusammen mit anderen Bürgern kaufen. „Dann wäre die Energieversorgung komplett in Bürgerhand“, so der Künstler.


Der Wechsel von seinem alten Anbieter zur Asselner Windkraft war für Daum leicht. Er musste lediglich ein zweiseitiges Formular ausfüllen. Darin bekundet der künftige Kunde seinen Wechsel, gibt seinen bisherigen Verbrauch und seine Adresse und Bankverbindung an, den Rest erledigt dann Lackmanns Assistentin, Rabea Klüter. „Wir kündigen für die Kunden den Vertrag beim bisherigen Anbieter und regeln alles Weitere“, sagt sie. Ein Zähleraustausch, wie viele Kunden zuerst vermuten, muss nicht erfolgen. Die eingebauten Geräte werden vom zuständigen Verteilnetzbetreiber verwaltet und auch weiterhin jährlich abgelesen. Die dafür fälligen Zähler- und Messgebühren sind im Grundpreis der Asselner Windkraft enthalten und werden entsprechend an den Verteilnetzbetreiber weitergeleitet.


Lackmann geht davon aus, dass sich die Direktvermarktung für Windparks – gleich welcher Größe – auszahlt. Man verdiene dadurch nicht mehr als bei einer reinen Einspeisung des Stromes ins Netz. Der entscheidende Vorteil sei: Die Akzeptanz der Windkraft in der Bevölkerung steige.


Lackmann beschäftigt in seinem Büro zwei Angestellte und eine Auszubildende. Etwa eine Drittelstelle davon entfällt auf die Stromvermarktung. Rund 2 Cent je Kilowattstunde veranschlagt er hierfür. Darin enthalten sind auch die Ausgaben für den Dienstleister Clean Energy Sourcing.


Das Interesse an Strom aus der Region ist groß. Lackmann brauchte nicht einmal für seine Sache werben. Kunden aus dem ganzen Bundesgebiet hatten sich gemeldet. Theoretisch könne man auch diese mit dem Windstrom beliefern. Aber man habe sich dagegen entschieden. „Das ist wie bei der Direktvermarktung in der Landwirtschaft: Aus der Region, für die Region“, so Lackmann.


Den Vertrag genau prüfen.

Wer ebenfalls den Strom direkt vermarkten wolle, muss aber ein paar Dinge berücksichtigen. Beispielsweise solle man den Kundenvertrag von einem Anwalt erstellen lassen. „Wer dort Fehler macht, steht womöglich nachher vor dem finanziellen Ruin“, warnt er. Außerdem müsse man sehr genau seine eigenen Kosten kalkulieren und dürfe sich „nichts in die Tasche lügen“.


Bereut haben die Paderborner ihr Projekt nicht. Im Gegenteil: Sie haben die Hoffnung, dass ihr Konzept deutschlandweit kopiert wird. „Dann haben wir die Energiewende ein ganzes Stück weiter nach vorne gebracht“, sagt Lackmann und lehnt sich zufrieden in seinem Sessel zurück. Diethard Rolink

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