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Mehr als ein bürokratisches Monster

Lesezeit: 8 Minuten

Biogaserzeuger sehen in der Störfall-Verordnung viel Papierkram und hohe Kosten auf sich zukommen. Dabei bietet die Verordnung auch Chancen im Betrieb – wenn die Behörden mit Augenmaß vorgehen.


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Der Monteur ist erstaunt: „Unterschreiben? Das musste ich doch noch nie!“ Doch Landwirt Johannes Müller (Name geändert) bleibt hartnäckig. „Sie werden beim Anschluss der Gasfackel Schweißarbeiten in der Ex-Zone durchführen und Sie unterschreiben hier bitte, dass ich Sie auf die Gefahren hingewiesen habe“, sagt der Biogaserzeuger aus der Nähe von Augsburg. Szenen wie diese erlebt er seit einem halben Jahr immer wieder: Denn seit Mitte 2013 hat Müller mit seiner Frau auf dem Betrieb die Störfall-Verordnung (StörfallVO) umgesetzt. Und die verlangt einiges an ungewohnter Dokumentation.


Auslöser Gärrestlager:

Bei der Erweiterung seiner Anlage kamen zwei gasdicht verschlossene Behälter mit jeweils 25 m Durchmesser und 8 m Höhe als Gärrestlager dazu. Damit überschritt er mit dem Gasspeichervolumen die Grenze von 10 000 kg Biogas Lagerkapazität. Und die Anlage fiel unter die StörfallVO (s. Kasten).


Der Betrieb Müller ist kein Einzelfall. Wegen der zunehmenden Pflicht, Gärrestlager gasdicht abzudecken oder beim Einstieg in die bedarfsgerechte Stromerzeugung, bei der größere Gasspeicher erforderlich sind, fallen immer mehr Anlagen unter die Verordnung. „Das kann schon Anlagen ab einer Leistung von 250 kW treffen“, weiß Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer des Fachverbandes Biogas.


Dabei ist die Verordnung eigentlich für große Konzerne gemacht. „Sie ist als zusätzliche Überwachung für Betriebe gedacht, die ein erhebliches Gefährdungspotenzial gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt haben“, fasst Josef Ziegler die Ziele zusammen. Ziegler ist Sprecher des Arbeitskreises Sicherheit im Fachverband Biogas, Berater und selbst Betreiber einer Biogasanlage.


Unnötige Mehrbelastung:

Für Biogasanlagen bedeutet das aus seiner Sicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Wenn, dann entstehen bei einer Bio-gasanlage Gefahren für die Umwelt durch den Austritt von Gärsubstrat oder Gärrest in Oberflächengewässer. Aber das wird über das Wasserrecht bereits geregelt. „Wenn die Betreiber das bestehende Regelwerk konsequent umsetzen und die Behörden das auch regelmäßig kontrollieren würden, wäre das für die Sicherheit auf allen Anlagen ausreichend“, meint er. Zwar müssen die Betreiber angesichts einiger Unfälle in den letzten Jahren ein stärkeres Gefahrenbewusstsein entwickeln. Dafür sei aber die StörfallVO das ungeeignete Mittel, mit ihr kämen unverhältnismäßig viel Schreibarbeit und Investitionen auf die Betriebe zu.


Das hat auch Landwirt Müller feststellen müssen. Zunächst hat ein Ingenieurbüro für ihn das Störfallkonzept erarbeitet. Es enthält die Ziele und die Vorgehensweise, mit denen der Landwirt Gefahren und Störfälle vermeiden soll. Außerdem sind die Organisationsstruktur, Verantwortungsbereiche und Handlungsanweisungen einschließlich der nötigen Verfahren oder Mittel enthalten. „Das Konzept allein hat uns schon 2 000 € gekostet“, schildert er.


Die weitaus größere Aufgabe war es aber, ein sogenanntes Sicherheitsmanagement-System (kurz: SMS) einzuführen. Auf Anraten seines Umweltgutachters hat er sich nicht nur mit Landwirten ausgetauscht, die die StörfallVO schon umgesetzt haben, sondern er hat auch die Hilfe der selbstständigen Beraterin Angelika Gutmann aus Bertoldsheim (Bayern) in Anspruch genommen, die Betreibern bei der Umsetzung der StörfallVO zur Seite steht.


Jedes Bauteil durchleuchtet:

Am Anfang hat sich Müller noch einmal ganz neu mit der Anlage auseinandergesetzt. Denn er musste sich überlegen, an welcher Stelle der Anlage Gefahren oder Störfälle entstehen können – z. B. beim Rührwerkswechsel oder beim Siloabdecken. Wo könnten Biogas oder Gülle austreten? Was ist bei besonderen Ereignissen wie Hochwasser, Sturm, Stromausfall oder Starkregen? Wie läuft die Alarmierungskette ab, wer wird wann und bei welchem Ereignis alarmiert?


Hierfür musste er auch einige Pläne ergänzen bzw. neu zeichnen lassen, z. B. einen Plan mit den Ex-Zonen oder einen Feuerwehrplan. „Wir haben auch etliche Dokumente erstellt, z. B. einen Gefahrenabwehrplan, auf dem alle wichtigen Schalter, Schieber, Flucht- und Rettungswege oder Feuerlöscher eingezeichnet sind. Oder einen Alarmplan mit den Handynummern unserer Mitarbeiter und anderer Ansprechpartner, der vor dem Eingang des Büros und des Pumpenhauses hängt“, beschreibt Müller.


Außerdem musste er zahlreiche Arbeitsanweisungen für seine zwei Mitarbeiter erstellen, z. B. wie die Biogasanlage ordnungsgemäß angefahren oder außer Betrieb genommen wird, ohne dass ein explosionsfähiges Gas entsteht. Oder was bei Netzstromausfall zu tun ist. Dazu kamen Tages-, Wochen-, Monats- und Jahrespläne für die regelmäßigen Wartungsarbeiten und Kontrollen.


Auf den Plänen müssen die Mitarbeiter oder er selbst unterschreiben und damit dokumentieren, wann sie welche Arbeit durchgeführt haben. „Das war ein einmaliger Kraftakt, der uns rund vier Wochen Arbeit, viel auch am Abend oder am Wochenende, gekostet hat“, ergänzt Müllers Frau Irene, die die Büroorganisation übernommen hat.


Abnahme mit 12 Beamten:

Im Frühsommer 2013 prüften insgesamt zwölf Behördenvertreter Müllers Sicherheitsmanagementsystem vor Ort. Vertreten waren die Bezirksregierung, das Gewerbeaufsichtsamt, das Bauamt, das Was-serwirtschaftsamt, der Immissionsschutz, der Kreisbrandrat, der örtliche Feuerwehrkommandant und die Berufsgenossenschaft.


Sie hatten viele Fragen, aus denen hervorging: Der Landwirt soll die StörfallVO nicht nur auf dem Papier, sondern vor allem im Kopf, also im Sicherheitsdenken umsetzen. Auch die Begehung der Anlage verlief problemlos. Am Ende erhielt er eine Mängelliste, die er jetzt abarbeiten muss. Die größte Anforderung darin war eine Umzäu-nung der Anlage, um Unbefugten den Zutritt zu verwehren. „Die Zusammenarbeit mit den Behörden war sehr gut“, fasst er zusammen. Eine Abnahme mit allen Behördenvertretern an einem Tisch ist eine gute Lösung, lautet die Erfahrung von Anton Baumann aus Wangen im Allgäu. Der Sicherheitsexperte und Sachverständige berät viele Anlagen bundesweit.


Augenmaß fehlt oft:

Dass ist leider nicht immer der Fall. „Vielen Behörden fehlt leider das Augenmaß, sie fordern alles, was denkbar ist“, meint Ziegler. In diesem Fall kann der dokumentarische Aufwand unverhältnismäßig sein.


Dazu kommen teilweise immense Investitionen, die die Betreiber vorher in keiner Wirtschaftlichkeitsberechnung einkalkuliert hatten: Notstromkonzept, Zaun, Umwallung oder ausfallsichere Prozessleittechnik sind nur einige von zusätzlichen Ausgaben, die die Behörden den Betreibern auferlegen können. Weitere Kosten verursachen Sicherheitsschulungen für den Betreiber und seine Mitarbeiter „Bereits ohne Investitionen kommen schnell Kosten zwischen 3 000 und 15 000 € zusammen“, weiß Fachverbandsgeschäftsführer Maciejczyk. Je älter die Anlage ist, desto schwieriger wird es, ergänzt Gutmann: „Eine Anlage aus dem Jahr 2004 hat noch keine Konduktivsonden für die Füllstandsmessung, keine Gaswarn- oder Brandmeldeanlage, da wird es sehr teuer, das nachzurüsten.“


Der Fachverband Biogas arbeitet daran, dass die Verordnung möglichst bundeseinheitlich umgesetzt wird und dass sich die Behörden an die Anforderungen einer Biogasanlage halten.


Neue Routine bringt Vorteile:

Bei der täglichen Arbeit hat sich auf dem Betrieb Müller die neue Routine schnell eingespielt. Das Führen der Listen usw. kostet ihn zwar pro Woche im Schnitt zwei Stunden mehr Arbeit. Doch mittlerweile ist er froh, dass ihn das Einrichten des SMS gezwungen hat, seine ganze Anlage einmal auf den Kopf zu stellen. An viele Aufgaben, an die er sonst gar nicht gedacht hätte, wird er jetzt dank der Arbeitspläne rechtzeitig erinnert – z. B. an die rechtzeitige Wartung des Feuerlöschers.


Jetzt hat er auch Nachweise für die Versicherung oder bei Garantiefällen, z. B. beim BHKW. Denn das Wartungsintervall hält er penibel genau ein und schreibt die Ölverbräuche auf. Auch für das jährliche Umweltgutachten ist es hilfreich, dass er bestimmte Daten gleich griffbereit hat. Dank der StörfallVO ist ihm auch richtig bewusst geworden, welche Verantwortung er für die Mitarbeiter hat. Sie bekommen jetzt regelmäßig Schulungen.


Wenn jetzt Besucher oder Monteure kommen, müssen sie erst einen Blick auf die Ex-Zonen und die Gefahrenstellen in der Anlage werfen. „Die Auflagen sind nicht nur Schikane“, hat er festgestellt. Denn er hatte häufiger erlebt, dass Handwerker in Ex-Zonen rauchen oder selbst Gutachter dort mit Blitz fotografieren. „Für viele ist es sinnvoll, sie noch einmal auf die Gefahren hinzuweisen“, meint Müller heute. „Das ist die Erfahrung vieler Betreiber: Erst finden sie die StörfallVO und den Aufwand beängstigend, stellen dann aber fest, dass er zu bewältigen ist und vielleicht sogar Vorteile bringt“, lautet die Erfahrung von Beraterin Gutmann.


Vier Wochen für die Umsetzung hält sie allerdings für die Mindestzeit. Und das auch nur, wenn die Betreiber vorgefertigte Listen, Arbeitsanweisungen usw. erhalten, die sie dann nur noch auf ihren Betrieb anpassen müssen. Denn nicht immer muss man das Rad neu erfinden. Hinrich Neumann

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