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Neue Technik fürs Binnenland

Lesezeit: 10 Minuten

Immer mehr Windparks entstehen fernab der windreichen Küstenstandorte. Um auch hier wirtschaftlich Windstrom produzieren zu können, arbeiten die Hersteller an höheren Türmen, größeren Flügeln und an Schwachwind angepasste Generatoren.


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Windland Rheinland-Pfalz? Windboom in Bayern? Noch vor zwei Jahren wären diese Bezeichnungen in der Branche als Wunschtraum müde belächelt worden. Doch heute ist die Windenergie kein Thema mehr nur für den windstarken Norden oder das bevölkerungsarme Ostdeutschland.


Inzwischen belegt Rheinland-Pfalz den dritten Platz bei den neuinstallierten Anlagen, 258 Megawatt (MW) wurden hier im vergangenen Jahr neu errichtet (Übersicht 1). Nur in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden 2011 mehr Windräder errichtet. Aber auch Bayern tauchte erstmals unter den Top 5 der Länder mit dem höchsten Zubau auf.


Anlagen werden höher.

Zu dieser Entwicklung haben nicht nur die ehrgeizigen Ausbauziele der Bundesländer beigetragen, die fast alle mindestens 2 % ihrer Landesfläche für die Windkraft bereitstellen wollen. Auch die Hersteller von Windrädern haben den Boom beflügelt. Die Anlagen werden immer höher. Denn eine wichtige Faustzahl sagt: Ein um einen Meter höherer Turm bringt einen Prozent mehr Ertrag. Damit liefern die Anlagen auch im Binnenland mehr Strom. Auch können sie auf bewaldeten Hügelkuppen gebaut werden, da sich die Rotoren bei Nabenhöhen über 100 Metern über den Baumwipfeln drehen.


Nach Angaben des Fraunhofer Instituts IWES aus Kassel erreichte die maximale Nabenhöhe 2011 bei Anlagen mit 2 Megawatt (MW) 138 Meter. Entsprechend wuchs auch der Rotordurchmesser: Lag dieser im Jahr 1985 noch bei 12 Metern, hat er sich bis heute nahezu verzehnfacht (Übersicht 2). 2014 könnten Anlagen mit über 150 Meter Rotordurchmesser auf den Markt kommen.


Im Jahr 2011 lag die installierte Leistung je Meter Höhe bei 32 kW an der Küste und bei 19 kW im Binnenland. Das heißt umgerechnet auf eine Anlage mit 2 MW: Anlagen an der Küste haben durchschnittlich 63 Meter Nabenhöhe, Anlagen im Binnenland kommen dagegen auf 105 Meter. Binnenland-Anlagen sind bei gleicher Leistung also deutlich höher.


Hybridtürme sind Standard.

Bei diesen Höhen stehen die Hersteller vor neuen Herausforderungen. Herkömmliche Türme aus Beton oder Stahl stoßen an ihre Grenzen. Denn Türme aus Ortbeton, bei denen der Beton erst auf der Baustelle gegossen wird und bei denen die Verschalung beim Bau nach oben wandert, sind bei Höhen über 100 Metern kaum noch zu bezahlen.


Über 100 Meter Höhe sind aber auch die Schwingungen bei reinen Stahlrohrtürmen zu hoch, der Stahl müsste dicker werden, was auch die Investitionskosten für die Anlagen in die Höhe treiben würde.


Da zunehmend Anlagen in hügeligem Gelände oder im Wald errichtet werden, ist auch die Anlieferung mit Schwerlastfahrzeugen in vielen Regionen problematisch. Daher sind Konzepte gefragt, die Türme in Einzelteilen ohne großen Aufwand in diese Regionen transportieren zu können.


Aus diesem Grund setzen immer mehr Hersteller auf Hybridtürme, bei denen Betonfertigteile und Stahlsegmente kombiniert werden. Sie bestehen bis zu 80 % aus Beton, der Rest sind Stahlteile, die oben aufgesetzt werden.


Ein Beispiel dafür sind die Hybridtürme von REpower Systems bei der Binnenlandanlage 3.2M114 mit einer Turmhöhe von 143 Metern. Die unteren 83 Meter bestehen aus Beton, der darüber liegende Teil ist aus Stahl.


Der Betonteil besteht aus 15 einzelnen Ringsegmenten. Jeweils zwei bis drei Fertigbetonteile werden vor Ort zu einem Ring zusammengesetzt. „Damit gibt es nur wenige Fugen, die vergossen werden müssen“, begründet dieses Michael Baranowski, Produktmanager bei REpower Systems. Die Ringe werden übereinandergesteckt, ohne dass sie vergossen werden müssen. Sie werden im Turm durch Spannseile verbunden. Das soll nicht nur die Bauzeit verkürzen, sondern auch den späteren Rückbau erleichtern. „Außerdem können wir so auch im Winter bei Kälte oder bei schlechtem Wetter montieren“, nennt Baranowski ein weiteres Argument. Denn müssten die Fugen erst aushärten, wäre eine Montage bei schlechtem Wetter nicht möglich.


Kran braucht wenig Platz.

Die Segmente werden mit einem Turmdrehkran zur Montage auf die entsprechende Höhe angehoben. Der Kran benötigt weniger Stellfläche als ein sonst üblicher Auslegerkran. Der Kran selbst wird in Einzelteilen angeliefert, die vor Ort montiert werden. Daher ist – anders als bei sonst üblichen Schwerlastkränen – keine Polizei-Eskorte für den Schwertransport nötig. „Und gerade bei Windparks im Wald ist die geringe Standfläche von Vorteil, da weniger Bäume abgeholzt werden müssen“, erklärt Baranowski. Der Turmdrehkran benötigt nur etwa 1 000 m2 Fläche, ein Auslegerkran dagegen meist bis zu 1 500 m2. Auch ist der Turmdrehkran mit 300 t deutlich leichter als Standardkräne, die bis zu 1 000 t wiegen können.


Auch Enercon arbeitet bei Anlagenhöhen über 85 Metern mit einer Kombination aus Fertigteilbetontürmen und Stahlteilen. Auf der Windpark-Baustelle werden mehrere vorgefertigte Halb- und Vollkreissegmente aufeinander gesetzt und dann verspannt. Der obere Teil sind Stahlsektionen, auf denen das Maschinenhaus mit Generator und Rotor montiert wird.


„Der Trend nach höheren Nabenhöhen ist ungebrochen“, bestätigt auch ­Jonas Stenzel, Projektleiter Zertifizierung bei Siemens Wind Power. Siemens baut Windenergieanlagen üblicherweise mit konisch zulaufenden Stahlrohrtürmen.


„Aber bei Nabenhöhen über 100 Metern muss eine höhere Wanddicke verwendet werden, was die Türme sehr teuer macht“, berichtet er. Daher hat Siemens mit dem „BSS-Turm“ (Bolted Steel Shell Tower) eine Alternative entwickelt, die aus verschraubten Segmenten besteht. Ein Turm mit 115 Meter Höhe besteht aus neun Segmenten. Insgesamt sind rund 15 000 Schrauben im Turm angebracht.


Der Turmfuß hat einen Durchmesser von ca. acht Metern. Siemens hat dazu in Dänemark bereits im Frühjahr 2011 einen Prototyp errichtet. In diesem Jahr soll noch eine erste Anlage in Süddeutschland aufgestellt werden.


Einfache Reparatur.

Bei den wachsenden Turmhöhen stehen auch Serviceteams vor neuen Herausforderungen. Muss beispielsweise eine Großkomponente wie der Generator, der Transformator oder das Getriebe getauscht werden, ist üblicherweise ein Schwerlastkran nötig. „Hier beginnt schon das erste Problem: Nicht immer ist ein Mobilkran genau dann verfügbar, wenn der Tausch ansteht“, berichtet Lorenz-Theo Feddersen vom Servicedienstleister Availon aus Hamburg. Auch sind die Zuwegungen zu der Anlage nicht immer geeignet und müssen unter Umständen verstärkt werden. „Dazu kommt, dass viele Störungen häufig im Winter auftreten, weil zu der Zeit die Anlagen meist auf Nennleistung laufen“, berichtet Feddersen. Wenn dann schlechtes Wetter herrscht, kann sich der Austausch längere Zeit verzögern und dem Anlagenbetreiber hohe Verluste bescheren. Denn in der Regel werden die Anlagenkomponenten von oben durch das Dach der Gondel herausgehoben. „Bei Regen geht das nicht“, erläutert er.


Aus diesem Grund hat Availon einen internen Kran entwickelt. Dabei werden die Komponenten durch den Boden der Gondel an einer Winde herabgelassen. Hierzu nutzen die Servicetechniker eine Tragekonstruktion, die serienmäßig in einigen Anlagen schon vorhanden ist. An der Konstruktion wird eine Winde befestigt, die mit einer Traverse an die jeweilige zu tauschende Großkomponente zu befestigen ist. Die Winde kann Komponenten bis 8 t bewegen. Das reicht in der Regel aus, meint Feddersen: „Ein Generator wiegt zwischen fünf und sechs Tonnen und ist das schwerste Bauteil in der Gondel.“


Die Winde und die Traverse zum Befestigen der Bauteile bringen die Servicetechniker auf einem PKW-Anhänger mit. Weil das Bauteil durch den geöffneten Boden herabgelassen wird und das Gondeldach also geschlossen bleibt, kann der Tausch auch bei Regen erfolgen.


Größere Rotoren.

Eine weitere Lösung für mehr Windertrag im Binnenland sind größere Rotoren.


Früher nahm der Rotordurchmesser mit steigender Leistung und der Höhe des Turmes ebenfalls zu. Doch heute gilt diese Gleichung nicht mehr. Wie das Fraunhofer IWES ermittelt hat, variiert der Rotordurchmesser bei einer 2 MW-Anlage heute zwischen 66 bis 92,5 Metern. Entsprechend liegt das Verhältnis von Rotorfläche zur installierten Leistung zwischen 1,71 bis 3,36 m2 pro Kilowatt (kW).


Je größer das Verhältnis von Rotorfläche zur installierten Leistung ist, desto eher erreicht die Anlage schon bei niedrigen Windgeschwindigkeiten ihre Nennleistung – eine Eigenschaft, die gerade im Binnenland mit Windgeschwindigkeiten ab 6,3 m/s entscheidend ist. Diese Windgeschwindigkeit wird in der Windzone 1 auf 100 Metern über dem Grund erreicht (siehe Übersicht 3 auf Seite 36).


In dieser Zone liegen u.a. weite Teile von Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.


Anlagen an der Küste haben laut Fraunhofer IWES im Schnitt ein Rotorflächen/Nennleistungsverhältnis von 2,47 m2/kW, Anlagen im Mittelgebirge dagegen von 2,65 m2/kW.


Eine typische Binnenlandanlage ist die neue Nordex N117 /2 400 mit 2,4 MW Leistung, 91 m Nabenhöhe und 117 m Rotordurchmesser. Das Verhältnis von Rotorfläche zu Nennleistung ist mit 4,46 m2/kW laut Fraunhofer IWES das größte der derzeit auf dem Markt befindlichen Anlagen.


Die Anlage N117, die seit Sommer 2012 in Serie produziert wird, ist bewusst für Standorte ab 6,5 m/s Windgeschwindigkeit konzipiert. „Wir haben bei dieser Anlage im Vergleich zu Anlagen an windreichen Standorten den Turm um 17 Meter erhöht und die Rotorblätter um jeweils 8,5 Meter auf 58,5 Meter verlängert“, erklärt hierzu Nordex-Produktmanager Günter Steininger.


Die Rotorblätter sind erstmals aus Carbonfasern hergestellt. Dieses Material ist laut Nordex leichter, aber trotzdem steifer als die sonst üblichen Glasfaserverbundstoffe. Mit diesen Anpassungen soll die Anlage auf Standorten der Windzone 2 (7,2 m/s auf 100 Metern) rund 3500 Volllaststunden liefern und damit rund 20 % mehr als herkömmliche Anlagen mit gleicher Leistung.


Mit diesen Anlagen wird der bislang größte Windpark in Bayern in Zöschingen (bei Dillingen) ausgerüstet, wo bis Ende des Jahres zehn N117-Turbinen errichtet werden sollen.


Auch der Marktführer Enercon (siehe hierzu Übersicht 4) hat eine neue Anlage speziell für windschwächere Stand-orte entwickelt. Die E-92 basiert auf der seit langem eingeführten E-82, was Kosten bei Fertigung, Transport und Aufbau sparen soll.


Neu bei der E-92 sind vor allem die Rotorblätter. Sie sind fünf Meter länger gegenüber denen der E-82, wodurch sich ein Rotordurchmesser von 92 Metern ergibt. Auch sind sie gegenüber den früheren Blättern aerodynamisch geformt, womit der Ertrag steigen, die Belastungen für die Maschine dagegen sinken sollen. Gleichzeitig wird damit das Gewicht der Flügel aus dem Verbundstoff GFK verringert.


Schäden früher erkennen.

Größere Anlagen sind deutlich größeren Belastungen ausgesetzt – nicht nur auf dem Meer, sondern auch im Binnenland. So zählen die schnelle Änderung hoher Windlasten und Unwuchten zu den häufigsten Schadensursachen. „Aber auch Servicemängel, Montagefehler, Verschleiß oder konstruktive Mängel gehören dazu“, zählt Holger Fritsch auf. Fritsch ist Geschäftsführer der Bachmann Monitoring GmbH, die Überwachungssysteme für Windenergieanlagen entwickelt. Jede zehnte Windenergieanlage mit Getriebe fällt nach einer internen Statistik von Bachmann jährlich aufgrund eines Schadens im Antriebsstrang aus.


Um Schäden früher zu erkennen, gibt es seit längerem die zustandsorientierte Überwachung (Condition Monitoring System, kurz: CMS). Hierzu werden Sensoren am Antriebsstrang der Anlage installiert, die online Schwingungen aufzeichnen und auf diese Weise Unwuchten oder andere Störungen entdecken.


Weitere Kontrollmöglichkeiten sind die Untersuchung von Getriebeöl auf Temperatur und Größe der Partikel, die Rotorblattüberwachung oder die Überwachung des Fundaments.


Diese Funktionen und Messwerte reichen jedoch nicht aus, um die Restlebensdauer eines Stahlrohrturms zu bestimmen. Dieses ist wichtig, um ohne aufwändige Untersuchung feststellen zu können, ob die Anlage nach 20 Jahren ohne technisches Risiko weiterbetrieben werden kann.


Hierfür hat Bachmann das Lifetime Counting (LTC)-Modul entwickelt. Es ist im dritten Turmsegment installiert und misst online die Schwingung im Turmkopf.


„Wichtig ist, dass die Messung schon im Bau der Anlage erfolgt. Denn der Turm ist schon großen Belastungen ausgesetzt, bevor das Maschinenhaus überhaupt montiert ist“, erklärt Fritsch.


Die Messwerte werden 20 Jahre lang erfasst. Je nach Bedarf können sie vor Ablauf der üblichen Lebenszeit periodisch oder permanent ausgewertet werden. Damit könnte man frühzeitig feststellen, wie hoch die Belastung der Anlage war und Wartungshäufigkeit, Ersatzteilversorgung usw. rechtzeitig anpassen. „Auch für die bedarfsgerechte Stromerzeugung wäre das interessant, weil man zuerst die Anlagen außer Betrieb nehmen könnte, die den höchsten Belastungen ausgesetzt sind und damit die kürzeste Lebenserwartung haben“, nennt Fritsch ein weiteres Argument.


Hinrich Neumann

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