Sie greifen schwungvoll zum Telefon, doch dann zögern Sie. Soll ich wirklich direkt anrufen? Vielleicht lieber erst mal texten? Kurz fragen, wann es gut passt? Besser gleich das ganze Anliegen per Nachricht schicken? Ist doch viel einfacher. Oder?
Sollten Ihnen solche Gedanken fremd sein: Den meisten Jugendlichen, ach was, eigentlich allen Unter-30-Jährigen, sind sie ziemlich vertraut. Denn: Anrufen bzw. einen (unerwarteten) Anruf entgegenzunehmen kostet viele Menschen zunehmend Überwindung. Für Jugendliche ist es ungefähr so exotisch wie ein Fax Ende der 1980er-Jahre. Sollte man heute also doch „einfach mal so“ angerufen werden, ist es an der Zeit, sich Sorgen zu machen, berichten Eltern augenzwinkernd.
Das zeigt: Auch beim Kommunizieren wollen wir immer individualistischer und selbstbestimmter sein. Die Technik macht’s möglich.
Sicherlich: Gerade Betriebsleiter stöhnen über „heiße Ohren“ und die Menge an Anrufen, die nötig sind, um die Betriebsabläufe zu organisieren. Viele sind dankbar, dass sie betrieblich mal eben auf WhatsApp zurückgreifen können – auch wenn das seit einigen Wochen zur rechtlichen Grauzone avanciert ist. Keine Frage: Für kurze Mitteilungen à la „Bin gleich da“ oder um ein Foto vom Ersatzteil an die Werkstatt zu schicken, ist das Texten superpraktisch. Im Falle einzelner Chatverläufe und Gruppendiskussionen darf man sich allerdings schon fragen: Warum acht Stunden Nachrichten schreiben, wenn man das alles auch in einem 3-Minuten-Telefonat klären könnte? Im Netz kursiert folgende Unterhaltung zwischen zwei Kids im Bus: „Alter! Voll krass, wenn man die Sprachnachricht direkt hören könnte, während der andere spricht.“ „Ja Mann, dann könnte man sofort antworten…“ Kommt Ihnen bekannt vor? Ja, hatten wir schon. Und damals gab es auch Bücher, in denen Namen, Adressen und Telefonnummern standen. Heute ist’s anders. Kathrin Hingst, 38, Fachjournalistin, Rostock