Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
"Als ich auf den Hof gezogen bin, habe ich mich als Fremdkörper gefühlt – diesen Satz schrieb mir eine junge Frau über Instagram“, erzählt Annemarie Paulsen. Über ihr Instagram-Profil meldeten sich weitere Frauen: „Egal, was ich mache. Es ist nie genug“, teilten sie ihre Erfahrungen mit. Um dieses Thema ging es vor einigen Wochen auf Annemarie Paulsens Instagram-Profil @biohof_paulsen. Die 32-jährige Bäuerin und Agrarinfluencerin aus der Uckermark ist selbst vor vier Jahren zu ihrem Mann Martin (27) und seinen Eltern auf den landwirtschaftlichen Betrieb gezogen. Seit drei Jahren nimmt sie ihre Follower auf Instagram und TikTok mit in den Stall und zeigt das Leben auf einem Bauernhof von seiner „echten Seite“. Sie berichtet von ihren Erfahrungen und wie sie ihre eigene Rolle auf dem Hof fand.
Eltern-Sohn-Team wackelt
„Für Eltern kann es schmerzhaft sein, wenn eine Frau zu ihrem Sohn zieht“, fühlt Annemarie Paulsen mit. Schließlich waren der Sohn und seine Eltern über Jahre ein eingespieltes Team. Kommt dann eine Frau dazu, verändere sich der Sohn manchmal. „Das würde mir als Mutter auch wehtun, wenngleich es bei uns noch etwas dauern wird“, gibt Annemarie Paulsen zu. Sie und ihr Mann haben vier Kinder unter fünf Jahren. Das fünfte Kind wird in ein paar Wochen zur Welt kommen.
„Oft wird den Schwiegertöchtern die Schuld zugeschoben, weil sich wegen ihr der Sohn verändert hat“, beobachtet die Influencerin. Und auch für den Sohn sei es schwierig, weil er jetzt zwischen den Stühlen sitzt.
„Oft wird den Schwiegertöchtern die Schuld zugeschoben, weil sich wegen ihr der Sohn verändert hat.“
Viele junge Frauen auf den Höfen hätten das Gefühl, sich ständig behaupten zu müssen, und dass sie dennoch nie genügen würden. Das belaste die Partnerschaft. Manchmal so stark, dass die Frau keinen anderen Ausweg sehe, als den Hof zu verlassen. Viele von Paulsens überwiegend weiblichen Followern berichteten demnach, dass sich das Leben auf dem Hof für sie wie ein jahrelanger Machtkampf anfühle.
„Martin stand hinter mir“
Die jungen Frauen fragen sich dann, was sie anders machen sollen oder können. Annemarie Paulsen nimmt hier die Männer in die Pflicht. Sie sollten voll und ganz hinter ihrer Partnerin stehen.
„Bei uns war es zum Beispiel so“, erzählte sie seinerzeit auf ihrem Kanal in den sozialen Medien, „Martin hat nie einen Zweifel daran gelassen, was seine Priorität ist. Er stand mit jedem Satz und mit jeder Faser hinter mir.“
Wie tief die Verbindung von Annemarie und Martin Paulsen ist, beschreibt die Influencerin unter anderem in einem Reel, einem kurzen Film, über eine gemeinsame große Reise. Als Martin Paulsen im Jahr 2017 mit seiner landwirtschaftlichen Ausbildung fertig ist und Annemarie ihren Bachelor in Agrarwissenschaften in der Tasche hat, arbeiten die beiden fünf Monate auf einem Milchviehbetrieb in Südaustralien. Anschließend „verprassten“ die beiden das verdiente Geld in Neuseeland, Vietnam, Kambodscha, Thailand und Israel. Diese gemeinsame Zeit verbindet die beiden. Für Martin Paulsen stand von Anfang an fest: Wenn Annemarie vom Hof gehen würde, würde er mitgehen.
„Martin hat nie einen Zweifel daran gelassen, was seine Priorität ist. Er stand mit jedem Satz und mit jeder Faser hinter mir.“
Miteinander im Gespräch
Doch bevor die beiden den Hof übernahmen, studierte er Agrarwissenschaften. Annemarie machte parallel ihren Master. Während dieser Zeit wohnte das Paar ganz in der Nähe von Annemaries Eltern in Schleswig-Holstein. In dieser Zeit wurden auch ihre ersten beiden Kinder geboren. Als Annemarie Paulsen mit dem dritten Kind schwanger war, zog sie mit ihm zu seiner Familie auf den Hof in die Uckermark.
Nun war Annemarie also „die Neue“ auf dem Hof. Auch sie brauchte eine Zeit lang, bis sie „ihre“ Rolle fand. „Wir haben von Beginn an sehr viel mit meinen Schwiegereltern gesprochen“, erinnert sich Annemarie Paulsen. „Ich weiß, dass meine Schwiegereltern nur das Beste für uns und den Hof wollen“, sagt sie. Und gleichzeitig war es für alle Beteiligten ein Lernprozess, dass jede Generation andere Prioritäten setzt.
Biohof Paulsen
Annemarie und Martin Paulsen leben mit ihren Kindern auf einem Biohof in der Uckermark im Nordosten Deutschlands. Martins Eltern, die ursprünglich aus Schleswig-Holstein stammen, kauften 1992 eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) in den neuen Bundesländern. Im Jahr 2017 stellten sie auf Bio um. Heute bewirtschaften Martin und Annemarie Paulsen den Betrieb mit 450 ha Ackerland und 320 Milchkühen. Neben Martins Eltern Hans-Jürgen und Viola arbeiten acht Angestellte und drei Auszubildende auf dem Betrieb.
„Früher stand immer der Hof im Mittelpunkt. Schließlich war er die Lebensgrundlage für die Familie. Der Hof muss wirtschaftlich sein“, bringt es die junge Bäuerin auf den Punkt. „Für Martin ist es aber auch wichtig, genug Zeit mit seiner Familie zu verbringen.“ Deshalb teilt sich das Paar die Care-Arbeit, also die Fürsorge rund um Kinder und Haushalt auf. Morgens, bevor die Kinder in die Kita gehen, geht Annemarie für ein bis zwei Stunden in den Stall. Dann bleibt Martin bei den Kindern. „Wenn er auf den Hof geht, übernehme ich die Betreuung“, sagt Annemarie Paulsen. Nachmittags wechseln sie sich ebenfalls ab. An einem Nachmittag in der Woche übernehmen Martins Eltern, die ganz in der Nähe wohnen, die Betreuung.
Auf ihrem Instagram-Profil macht Annemarie keinen Hehl daraus, dass ihr Herz für Kühe schlägt. Gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter Viola sei sie für die Herde zuständig. Ihr Mann dagegen sei „multiinteressiert“. Er kümmert sich zusammen mit Hans-Jürgen, seinem Vater, um das Betriebswirtschaftliche und ums Futter.
Anfangs gab es noch keine Melkroboter auf dem Hof. Deshalb melkte Annemarie gemeinsam mit der Schwiegermutter und den Mitarbeitern die über 300 Kühe. „Das war ein wilder Ritt“, lacht sie. „Schließlich habe ich mal Aufgaben übernommen, dann wieder abgegeben, weil ich hochschwanger oder stillend war.“
Natürlich hat es bei ihrer Schwiegermutter und ihr das ein oder andere Mal gekracht. „Aber wir gehen immer ins Gespräch“, freut sich Annemarie Paulsen über das gute Verhältnis. „Ich habe sie zum Beispiel darum gebeten, uns zu vertrauen, dass wir Bescheid sagen, wenn wir mal Unterstützung brauchen“, nennt sie ein Beispiel. „So muss sie nicht ständig fragen, ob sie uns helfen soll. Das fühlt sich für beide Seiten besser an.“
Erwartungen an Annemarie
Als Annemarie und Martin Paulsen mit ihren Kindern auf den Hof zogen, wollte die Schwiegermutter gerne einmal am Tag mit allen zusammen essen. Das war die einzige Erwartung der Schwiegermutter an das Paar. „Ich fand die Idee gut und habe mich direkt dazu bereit erklärt, für alle mittags zu kochen“, erzählt Annemarie Paulsen. Da sich die Gespräche am Essenstisch aber immer nur um den Betrieb drehten, entschieden sie sich nach einer Weile gegen das gemeinsame Essen. „Meine Schwiegermutter verstand es, dass wir mittags lieber alleine mit unserer kleinen Familie essen wollten. Schließlich hatte sie auch mal vier kleine Kinder am Tisch sitzen.“
Die eigene Rolle auf dem Hof finden? Für Annemarie Paulsen war da zum einen die Rolle als Familienmanagerin, an die sie sich „ganz schön gewöhnen musste“, wie sie zugibt. Zum anderen waren da die Kühe. Am liebsten wäre sie selbst die Herdenmanagerin gewesen. „Ich bin sehr dominant und kann mich nur schlecht unterordnen“, sagt sie ganz offen. Doch während der Familienplanung ist das gerade nicht umsetzbar. Außerdem ist Viola Paulsen seit 30 Jahren für die Herde zuständig.
Im Gespräch erzählt Annemarie Paulsen, dass es für sie schon ein kleiner Kulturschock war, vom Westen in die neuen Bundesländer zu ziehen. Sie hatte anfangs weder Freunde noch eine eigene Aufgabe auf dem Betrieb. „Ich musste irgendwas machen, was nur mir gehört“, erinnert sie sich. Sie widmete sich den sozialen Medien und fand ihre Nische: Bauernhof- und Landleben humorvoll und authentisch rüberbringen. Und der Erfolg gibt ihr recht. Bei TikTok folgen ihr mittlerweile über 80.000 Menschen, bei Instagram knapp 200.000.
Tiefe Verbundenheit
In ihrer neuen Heimat, der Uckermark, hat sie mittlerweile eine gute Freundin gefunden. Doch die Kontakte sind rar. Daher schätzt Annemarie Paulsen umso mehr den Austausch über die sozialen Medien. „Da ist eine ganz tiefe Verbundenheit unter den Ladys in den sozialen Medien“, freut sie sich. Ihre Followerinnen schrieben immer sehr nett und anerkennend.
Auch hier steht Martin Paulsen hinter seiner Frau. „Ihm ist es wichtig, dass ich glücklich bin. Und wenn mich die Arbeit mit den sozialen Medien glücklich mache, dann unterstützt er mich dabei“, beschreibt sie seine Reaktion. Ihre Schwiegereltern waren anfangs etwas skeptisch. Doch Annemarie Paulsen zeigt ihre Familie fast gar nicht im Internet.
Stattdessen nimmt sie ihre Follower mit in den Hühnerstall, erläutert, wie man bei Kühen Blut abnimmt oder wie ein Melkroboter funktioniert. In lustigen Reels, also kurzen Filmen, nimmt sie als „Bauer Helmut“ das Landleben auf die Schüppe. Auch stellt sie auf sympathische und liebevolle Weise typische Situationen aus dem Dorfleben nach.
Ihre Arbeit als Influencerin brachte ihr zwei Auszeichnungen und zahlreiche Fernseh- und Bühnenauftritte. Auch schrieb sie ein Buch mit dem Titel „Alles büddn wild“. „Durch meine Arbeit als Influencerin und durch das Buch bekomme ich Anerkennung und Respekt. Das freut mich sehr“, sagt die junge Bäuerin. Und auch ihre Schwiegereltern „sind fein“ mit dem, was sie macht.
Tipps für mehr Miteinander in Familien
Wie können Familien einen guten gemeinsamen Weg finden, wenn beispielsweise eine Schwiegertochter oder ein Schwiegersohn auf den Hof zieht? Annemarie Paulsen hat dazu ein paar Denkanstöße:
Für Eltern kann es schmerzhaft sein, wenn die Partnerin des Sohnes zu ihnen auf den Hof zieht. Schließlich waren die drei über Jahre ein eingespieltes Team.
Die Partnerin sollte die Gefühle der Schwiegereltern sehen und anerkennen. Und gleichzeitig darf sie sich bewusst machen, dass es die Gefühle der Schwiegereltern sind, die lernen dürfen, damit umzugehen.
Auch dürfen die Schwiegereltern lernen, loszulassen und zu vertrauen. Darauf vertrauen, dass die Kinder schon kommen werden, wenn sie Unterstützung benötigen oder Fragen haben.
Der Sohn und die Schwiegertochter haben vielleicht andere Werte als sie selbst. Das sollten Schwiegereltern dem Paar zugestehen und nicht die eigenen Werte überstülpen.
Der Mann sollte voll und ganz hinter seiner Partnerin stehen und sich nicht zwischen die Stühle setzen. Das bedeutet auch, dass er seine Grenzen oder die seiner kleinen Familie wahren sollte.