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Beharrliche Schweizer – russische Bürokraten

Lesezeit: 5 Minuten

Mit schweizerischem Zungenschlag begrüßt uns Hans-Peter Michel in seinem Gästehaus. Es regnet in Strömen und wir sind im Dorf Grobjonki im Kaluga-Oblast, 180 km von Moskau. Hier gibt es ein deftiges Abendessen, danach steht die Betriebsbesichtigung an. Die Holzverkleidung des Hauses erinnert an die Schweiz – warum steht es in Russland – warum ist Michel hier gelandet?


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Angefangen hatte alles 2003 mit einer Leserreise einer Fachzeitschrift. Michel hat zu Hause einen kleinen Betrieb – bis heute, als „Notanker“– und wollte es noch einmal wissen, wie er sagt. Auf der Reise lernte er zwei weitere Bauern kennen, die ähnlich wie er gestrickt waren. Nach zwei weiteren, selbst organisierten Touren, fanden die Praktiker die Hofstelle. Das Abenteuer Russland konnte beginnen.


Wenn auch zunächst ziemlich blauäugig, wie Hans-Peter Michel zugibt. Unterwegs ist so auch einer der drei Landwirte ausgestiegen. Aber Jacob Banninger ist als Gründungsmitglied weiter aktiv, er ist 65 und pendelt zwischen Schweiz und Russland. Zum Leitungsteam gehören zwei weitere junge Leute, die als Praktikanten „hier hängengeblieben sind“, wie Michel sagt. Florian Reichling ist Mechaniker und kümmert sich vor allem um die betagten Maschinen. Marcel Bucher ist eigentlich Käser. Heute ist er aber für die Milchviehherde verantwortlich.


Der Laufstall wurde wie das Gästehaus 2005 gebaut. Auch er besteht nach schweizerischem Vorbild aus Holz. Die restlichen Gebäude wurden übernommen. Man sieht der Bausubstanz an, dass der Betrieb kapitalschonend und extensiv wirtschaftet. Auch neue Maschinen sucht man vergeblich: Die Schweizer setzen auf gut gebrauchte Technik aus dem Westen, teils über 30 Jahre alt.


Wir sehen ein paar gute alte IHC 1455 und einen Mengele Häcksler, den Florian Reichling mit einem Deutz-Motor hochgerüstet hat. Einfache Technik, keine Elektronik, damit man alles selbst reparieren kann. Besondere Teile bringen dann schon mal die Besucher aus der Schweiz mit.


Zum Betrieb gehören 800 ha Land, zumeist gepachtet. Auf 120 ha wächst Mais, auf 70 ha Getreide wie Sommerweizen, Winterweizen und Triticale. Der Rest ist Grünland. Die Böden sind unterschiedlich, Schwarzerde gibt es kaum. Im letzten Jahr haben die mageren Böden rund 4 t Weizen pro ha gebracht – was im russischen Schnitt gar nicht schlecht ist.


Der Betrieb kann weiter wachsen. 500 ha Brache liegen direkt nebenan – man muss das Land nur kultivieren. „Wir haben es schon ausprobiert, wenn man die Birken vor dem Schlepper umschiebt, kann man bis zu 3 m hohe Bäume auch unterpflügen.“ Wer hat’s erfunden? Die Schweizer! Hans-Peter Michel ist Optimist. Dass die Birken bei der Saatbettbereitung dann doch Probleme machen, gibt er zu, aber aus der Ruhe bringt ihn das nicht. „Es geht eben jeden Tag einen Schritt vorwärts – und einen halben zurück“, meint Marcel Bucher.


Robust im Stall:

Auch im Stall gehen die Schweizer den robusten Weg. Sie setzen auf 254 russische Schwarzbunte mit kanadischem und amerikanischem Einschlag. Die Tiere geben 5 500 kg Milch im Jahr, und Weidegang gehört dazu. Nächstes Ziel ist der Ausbau der Herde auf 300 Tiere, dann ist der Stall ausgelastet. Gemolken wird unter spartanischen Bedingungen: 2 x 6er-Stand mit Eimermelkanlage. Hier dauert eine Melkzeit 5 Stunden. Ein modernerer Melkstand mit 2 x 12 Plätzen steht deshalb auf der Wunschliste ziemlich weit oben.


Einen Großteil der Mich füllen sie in eigene Kartons ab und vermarkten sie an Geschäfte. Da ist die Wertschöpfung höher. Die geplante Käseproduktion, die Marcel in Gang bringen sollte, hat sich nicht bewährt. Der russische Markt ist gesättigt mit Billigkäse, wie der Schweizer leicht angewidert erzählt, und teure Qualitätsprodukte lassen sich kaum absetzen.


Die Lage der Betriebe in der Nachbarschaft ist angespannt. In der Region gibt es 80 000 ha Ackerfläche, die Hälfte davon liegt brach. Von den sieben großen Milchviehbetrieben im Rajon sind vier nicht mehr oder kaum noch tätig. Der Preis schwankt stark, die Finanzkrise hat Spuren hinterlassen. Förderprogramme sind ausgelaufen. Die Abnehmerseite ist schwierig: „Entweder verkauft man 20 l an der Straße oder 20 t auf einen Schlag. Dazwischen gibt es nichts.“ Vielleicht doch keine schlechte Idee, den Betrieb kostenoptimiert zu führen und die Milch in eigenen Kartons zu verkaufen. Außerdem ist das Gästehaus bei russischen Familien und Besuchern aus Westeuropa gefragt (www.schweizer-milch.ru). Man muss sich halt seine Nischen suchen, hier in Russland.


„Wo seht Ihr die größten Probleme?“ Die Mitarbeiter und die Bürokratie! Rund 40 Angestellte arbeiten auf dem Hof, und es dauert lange, bis sie das eigenverantwortlich tun. Die Schweizer versuchen das möglichst behutsam: „Wir können hier keine Schweizer Landwirtschaft im Maßstab 100:1 betreiben.“ Nerven kostet der Umgang mit den Behörden. Die Kontrolleure haben riesigen Ermessensspielraum. Und die Kriminalität? Hans-Peter Michel grinst: „Das ist hier kein Problem – die Mafia zieht sich keine Gummistiefel an.“ Und die würde sie brauchen, im Regen auf dem Schweizer Betrieb in der Nähe von Kaluga. j

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