Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Wolf Maisernte Gülle und Wirtschaftsdünger

Aus dem Heft

Die Agrarwende: Was kann Frau Künast tun?

Lesezeit: 10 Minuten

B undesministerin Renate Künast lässt keinen Zweifel daran, dass sie eine grundlegende Neuorientierung der Agrar-politik anstrebt und die landwirtschaftli-che Produktion stärker auf die in der Be-völkerung verbreiteten Zielvorstellungen ausrichten möchte. Zwar kann niemand genau sagen, was das im Einzelfall genau heißt. Meinungs-umfragen und Medienberichte zeigen je-doch nicht erst seit November 2000: Die moderne Landwirtschaft findet so, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten ent-wickelt hat, in der öffentlichen Meinung in Deutschland oft kein gutes Urteil. Wäh-rend Modernität und Strukturwandel in vielen anderen Branchen der Wirtschaft von der Bevölkerung ausdrücklich begrüßt und politisch eingefordert werden, fällt das Urteil der Kommentatoren für den Agrar-bereich ganz anders aus. Es ist müßig, über die Ursachen für das besondere Verhältnis zwischen Landwirt-schaft und öffentlicher Meinung zu speku-lieren. Tatsache ist, dass die von der Mi-nisterin zum Ausdruck gebrachten Ziel-vorstellungen in der Bevölkerung breite Unterstützung finden. Frau Künast ist des-wegen zurzeit sehr populär, auf ihr lastet aber auch ein erheblicher öffentlicher Er-wartungsdruck. Bei vielen Landwirten stößt die nun angekündigte Politikwende aber auf Skepsis. Sie wissen, dass die zahlreichen, in der Vergangenheit erlassenen Auflagen zum Tier- und zum Umweltschutz die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft bereits empfindlich beeinträchtigt haben. Sie wissen auch, dass sich der unternehmerische An-passungsdruck für die deutschen Land-wirte schon in naher Zukunft abermals erhöhen wird: Der Vollzug der Agenda 2000, der verbesserte Marktzugang für zahlreiche Entwicklungsländer, die Fol-gen der bevorstehenden Osterweiterung der EU, die Ergebnisse der kommenden WTO-Runde und das zu erwartende Frei-handelsabkommen mit Südamerika wer-fen ihre Schatten voraus. Die Kernfrage lautet daher: Wie ver-trägt sich eine heimische Agrarpolitik, die noch mehr Tierschutz, Umweltschutz so-wie vorsorgenden Verbraucherschutz ein-fordert, mit den übergeordneten politi-schen Rahmenbedingungen, die eher in Richtung einer stärkeren Weltmarkt-orientierung weisen? Lebensmittelsicherheit hat Vorrang Das zur Zeit wichtigste Anliegen der Verbraucher ist die Gewährleistung eines hohen Sicherheitsstandards für die Le-bensmittel. Schlagzeilen wie Was kön-nen wir noch essen? in der Boulevard-presse bringen dies zum Ausdruck. Politik und Wirtschaft haben auf diese Sorgen in den vergangenen Monaten mit vielen Aktivitäten reagiert. Vom multinational agierenden Lebensmittelkonzern bis zur kleinen Metzgerei haben viele Unterneh-men Einzelaktivitäten gestartet, um Qua-litätssicherung von der Ladentheke her rückwärts besser als bisher zu organisie-ren und die gewünschten Standards über die Stufen der Lebensmittelkette hinweg vertraglich abzusichern. In der Agrarwirtschaft tätige Verbände haben sich das Ziel gesetzt, diesen Prozess im gesamten Agrarsektor Deutschlands umfassend zu verankern. Wenn dies gelän-ge, könnte vor allem das Problem der schwarzen Schafe gelöst werden. Voraus-setzung hierfür ist allerdings, dass alle Unternehmen der Land- und Ernährungs-wirtschaft, d. h. auch die vielen Kleinbetrie-be, alle wesentlichen Elemente ihrer Pro-duktionsprozesse (z. B. Futtermittelkäufe, Arzneimitteleinsatz, Schlachttierbefund) dokumentieren. Alle Betriebe des Agribu-siness müssten sich dann verpflichten, von der jeweils vorgelagerten Stufe nur Erzeug-nisse aus zertifizierter Produktion zu über-nehmen, und der Staat hätte die Endkon-trolle über diesen Prozess zu gewährleisten. Da die Durchsetzbarkeit eines umfas-senden Qualitätssicherungssystems für den gesamten Agrarsektor aber noch mit etlichen Fragezeichen verbunden ist, sind die Landwirte gut beraten, zur Sicherung ihrer Absatzmöglichkeiten privatwirt-schaftliche Lösungen im Rahmen vertikal integrierter Verbünde zu suchen. Lebensmittel sollen nach den Vorstel-lungen der Ministerin aber nicht nur ge-sundheitlich unbedenklich sein. Sie sollen auch in puncto Produkt (z. B. Gehalt wert-voller Inhaltsstoffe) und Prozessqualität (z. B. umwelt- und tiergerechte Haltungs-verfahren) überzeugen. Klasse statt Mas-se heißt die Devise. Die Kritik richtet sich dabei insbesondere gegen die intensi-ven Produktionsverfahren in der Tierpro-duktion, gegen europa- und weltweite Tiertransporte, gegen immer mehr inter-nationalen Handel sowie gegen übermä-ßigen Einsatz von Mineraldünger und chemischen Pflanzenschutz. Politische Forderungen gehen darüber hinaus Bei dieser Ausgangslage besteht die nahe liegende Reaktion der Politik darin, zunächst einmal über ein Verbot der von der Gesellschaft am wenigsten gewünsch-ten Produktionssysteme nachzudenken. Durch solche Verbote könnte sie die Landwirte dazu zwingen, auf andere Pro-duktionssysteme umzustellen (z. B. Ver-zicht auf Käfighaltung von Geflügel; Ver-zicht auf Vollspaltenböden; Verbot be-stimmter Futterkomponenten). In einer geschlossenen Volkswirtschaft könnte dieser Ansatz auch durchaus ziel-führend sein: Alle Produzenten hätten hö-here Produktionskosten, und auf den Nah-rungsmittelmärkten würden sich höhere Preise bilden, weil keine preiswerteren Al-ternativen zur Verfügung stünden. Die Verbraucher würden also über die erhöh-ten Nahrungsmittelpreise die Zusatzkosten der Produktion abdecken, d.h. die Konse-quenzen der von ihnen gewünschten Poli-tikentscheidungen letztlich selbst tragen. Auflagen verschärfen Abwanderungsdruck Die deutsche Landwirtschaft agiert aber nicht in einer geschlossenen Volkswirt-schaft, sondern in einem schärfer werden-den internationalen Wettbewerb. Hieran wird eine deutsche Bundesministerin im Grundsatz nichts ändern können. Im inter-nationalen Wettbewerb gilt: Eine einseiti-ge Verschärfung der Auflagen im Inland führt zur Abwanderung eines mehr oder weniger großen Teiles der Produktion an kostengünstigere Standorte im Ausland. Unternehmen investieren dann ver-stärkt im Ausland, weil sie dort kosten-günstiger produzieren können. Verarbei-tung und Handel sorgen dafür, dass die dort erzeugten Produkte mit den hier gel-tenden Lebensmittelvorschriften im Ein-klang stehen und für den EU-Verbrau-cher ansprechend beworben werden. Die Erfahrung des Wirtschaftslebens lehrt, dass diese Strategie erfolgreich ist: Die Verbraucher greifen zu. Diese einfache Argumentation wird bisweilen als abgedroschen bezeichnet. Sie wird dadurch aber nicht falsch. Wenn Investoren zur Zeit neue Geflügelfarmen und Eiproduktenwerke, die in den kom-menden Jahrzehnten den europäischen Markt beliefern sollen, in Asien und nicht in Europa bauen, dann ist dies nicht zu-letzt auf die Verschärfung der Tierschutz-bestimmungen in der Europäischen Union zurückzuführen. Wie kann die Politik Abwanderung verhindern? Die drohende Abwanderung der Tier-produktion stellt keineswegs nur ein Pro-blem für die deutschen Landwirte dar, die Einkommenseinbußen erleiden oder gar ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Abwan-derung wird möglicherweise auch ein Problem für die Politik selbst, weil sie nämlich ihre Ziele nicht erreicht. Jenseits der Landesgrenzen wird die abgewanderte Produktion (für den deut-schen Markt) zu Bedingungen fortge-führt, die nicht vom deutschen Gesetzge-ber geregelt werden können. Nun kann man gewiss nicht sagen, die Haltungsbedingungen im Ausland seien grundsätzlich schlechter als in Deutsch-land. Die irische Milchviehhaltung oder die argentinische Rindermast würden leicht das Gegenteil beweisen. In der intensiven Schweine- und Ge-flügelhaltung ist aber in vielen Fällen tatsächlich davon auszugehen, dass die Haltungsbedingungen in den ausländi-schen Zuwanderungsgebieten zum Teil wesentlich ungünstiger sind als je-ne, die man in Deutschland gerade ver-bieten möchte. In solch einem Fall kann die Auflagenpolitik für das Tierschutz-ziel kontraproduktiv wirken: Alte Anla-gen genießen in Deutschland noch Be-standsschutz über viele Jahre hinweg, so dass sich dabei kaum etwas in die ge-sellschaftlich gewünschte Richtung be-wegt. Neue Anlagen werden aber nicht im Inland gebaut, sondern im Ausland zu den dortigen Bedingungen. Diese Zusammenhänge gelten nicht nur für die Tierschutzpolitik, sondern teilweise auch für die Umweltpolitik. Auch hier kann die Abwanderung der Produktion kontraproduktiv sein, wenn mit dem Pro-duktionszuwachs im Ausland eine zuneh-mende Umweltbelastung verbunden ist, die die Umweltentlastung im Inland überkom-pensiert. Die Agrarpolitik steckt deshalb, wenn sie allein auf eine Verschärfung der Aufla-gen abzielt, in einem Dilemma: Einerseits möchte sie sich nicht dem Vorwurf der Scheinheiligkeit aussetzen (Hauptsache, bei uns ists sauber, alles andere interes-siert uns nicht), andererseits möchte sie aber auch nicht vor der Kapitalflucht-War-nung kapitulieren und auf jegliche eigen-ständige Tierschutz- und Umweltpolitik verzichten. Daher wird sie nach Möglich-keiten suchen müssen, die Produktion trotz auflagenbedingt steigender Produktions-kosten im Inland zu halten. Drei mögliche Strategien werden im folgenden diskutiert. Strategie I: j Verbraucher aktivieren Dies ist der Weg, der in den Verlaut-barungen der Bundesregierung bisher am stärksten propagiert wird. Die Verbrau-cher sollten künftig bei ihren Kaufent-scheidungen die Qualität der Produkte einschließlich der so genannten Prozess-qualität (tiergerechte Haltungsverfah-ren, umweltschonende Produktion) stär-ker berücksichtigen. Dann seien sie auch bereit, den durch Auflagen verteuerten einheimischen Produkten trotz des Preis-nachteils gegenüber den billigeren Im-portwaren den Vorzug zu geben. Die Po-litik hätte dann in erster Linie die Aufga-be, für eine präzise Kennzeichnung der Lebensmittel zu sorgen und die Verbrau-cher ausreichend über die verschiedenen Herkunftsbezeichnungen aufzuklären. Sie kann aber auch darüber hinaus ge-hen: Einige Mitgliedstaaten der EU haben zum Beispiel gezeigt, dass der Marktanteil für Produkte aus ökologischem Landbau beträchtlich ausgeweitet werden kann, wenn Politik und Wirtschaft strategisch zusammenarbeiten. Vorreiter ist hier Dänemark, wo im Rahmen von Aktions-plänen erfolgreiche Expansionsstrategien ausgearbeitet und umgesetzt worden sind. Der Grundstein für einen deutschen Ak-tionsplan wurde im April 2001 auf einer Tagung in der FAL in Braunschweig ge-legt. In dieser Tagung wurde aber auch deutlich, dass aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik Hindernisse erwach-sen, die nicht leicht aus dem Weg zu räu-men sind. Bei aller Aufbruchstimmung sollte aber nicht übersehen werden, dass überzogene Hoffnungen auf einen durchschlagenden Erfolg dieser Strategie nicht gerechtfertigt sind. Zwar kann das obere Segment in der Qualitätsskala gewiss noch beträcht-lich ausgeweitet werden, doch lehrt die ökonomische Erfahrung, dass sich in aller Regel immer nur der kleinere Teil der Ge-samtproduktion eines Wirtschaftszweiges als teure Markenware verkaufen lässt, während der größere Teil nach wie vor über den Preis verkauft werden muss. Beim Einkauf von Rohstoffen für das un-tere Qualitätssegment werden sich Ver-arbeitungsunternehmen und Lebensmit-teleinzelhandel schwer tun, höhere Preise für Inlandsprodukte zu zahlen, wenn ge-sundheitlich unbedenkliche Importpro-dukte zu deutlich niedrigeren Einstands-preisen zur Verfügung stehen. Der Wett-bewerb bleibt schließlich knallhart. Die Lebensmittelbranche wird sich wahrscheinlich auch nicht der Hoffnung hingeben, dass den deutschen Verbrau-chern der Appetit auf Produkte ausländi-scher Herkunft mit dem Verweis auf mög-liche gesundheitliche Risiken verdorben werden könnte. Sie weiß: Die wichtigste Aufgabe von Verbraucherschutzmi-nisterin Künast wird es sein, für die Unbedenklichkeit aller Lebensmittel zu sorgen, die in Deutschland auf den Markt kommen. Je besser sie diese Aufgabe erfüllen wird, desto eher wer-den sich die Verbraucher dankbar wie-der in Sicherheit wiegen und in ihre früheren Konsummuster zurückfallen. Aus diesen Gründen sind die Chan-cen der Bundesregierung gering, den proklamierten Umbau der deut-schen Landwirtschaft allein über eine politische Beeinflussung des Verbrau-cherverhaltens herbeiführen zu kön-nen. Strategie II: j Grenzen dicht machen Die Möglichkeiten des Staates, Er-zeugnisse ausländischer Anbieter mit dem Verweis auf unzureichende Qua-litäten außer Landes zu halten, sind eng begrenzt. Sie ergeben sich im wesent-lichen nur dann, wenn Gesundheitsgefah-ren für die Verbraucher zu befürchten sind und hierüber ein wissenschaftlich ak-zeptierter Nachweis geführt werden kann. Es ist nicht möglich, Importe mit dem Hinweis auf eine minderwertige Prozess-qualität (d.h. Mängel bezüglich Tier-schutz, Umweltschutz etc.) abzuwehren. Bei verschiedenen Agrarprodukten verschaffen die im GATT vereinbarten Zölle den EU-Produzenten zur Zeit noch einen gewissen Schutz gegenüber Dritt-landsanbietern. Dieser Außenschutz dürf-te als Resultat der kommenden WTO-Runden aber tendenziell reduziert wer-den. Ein Wiederaufbau von Zollschran-ken infolge zunehmender Auflagen ein-zelner Mitgliedstaaten der EU steht über-haupt nicht zur Diskussion. Es ist nicht zu-letzt die deutsche Wirtschaft, die in Über-

Die Redaktion empfiehlt

top + In wenigen Minuten wissen, was wirklich zählt

Zugang zu allen digitalen Inhalten, aktuellen Nachrichten, Preis- und Marktdaten | 1 Jahr für 1̶2̶9̶,̶6̶0̶ ̶€̶ 99 €

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.