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Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

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Die Ethanol-Supermacht

Lesezeit: 9 Minuten

Wie Brasiliens Bioenergie-Boom das Gesicht der Landwirtschaft verändert, erlebte top agrar-Redakteur Guido Höner bei einer Reise auf den Spuren des Zuckerrohrs.


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Es dauert nur wenige Minuten, bis uns der Vorarbeiter am Feldrand mit unseren Kameras entdeckt. Es verirren sich nur selten Menschen in die Zuckerrohrfelder Brasiliens, die nichts mit der Ernte zu tun haben.


Wir sind in der Nähe von Araçatuba. Die 200 000 Einwohner-Stadt liegt rund 500 km westlich von der Großstadt Saõ Paulo. Hier im Bundesstaat Saõ Paulo schlägt das Herz der brasilianischen Zuckerindustrie. Rund 90 % der rund 400 brasilianischen Zuckerrohrmühlen konzentrieren sich in einem Umkreis von 400 km um Araçatuba, bis in die angrenzenden Bundesstaaten Mato Grosso, Goiás, Minas-Gerais und Paraná.


Die Dimensionen sind gigantisch: Einer der Anbauerverbände, die UDOP, schätzt die derzeitige Zuckerrohr-Anbaufläche auf weit über 8 Mio. ha. Tendenz rasant steigend. Der Verband rechnet in den nächsten zehn Jahren mit einer Ausweitung auf mindestens 12 Mio. ha. Nur zum Vergleich: Die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche in Deutschland beträgt rund 17 Mio. ha.


Dabei ist Land auch in Brasilien gefragt und nicht zum Spottpreis zu haben: Ein Hektar Acker in der Zuckerregion kostet umgerechnet immerhin zwischen 6 000 und 7 500 € – je nach Entfernung zur Zuckerfabrik. Und der Pachtpreis bewegt sich bei bis zu 600 €/ ha!


Der Vorarbeiter kommt rüber zu uns. Er trägt einen Cowboyhut und sieht damit aus wie der junge Harry Belafonte. Offen, interessiert und freundlich wie viele seiner Landsleute zeigt er uns seine Kolonne. Hier wird das Zuckerrohr noch von Hand geerntet – ein mühsames Geschäft. Am Abend vor der Ernte setzen die Arbeiter die Zuckerrohrfelder in Flammen. Das Feuer vertreibt die Schlangen und zerstört die rasiermesserscharfen Blätter der Pflanzen. Erst dann können die Arbeiter die Rohre mit Macheten schlagen und auf Haufen werfen. Ein Ladefahrzeug schiebt die Haufen zusammen und lädt das Zuckerrohr per Kran auf Hochkippanhänger. Am Feldrand kippen die Anhänger ihre Fracht dann auf große Lkw. Die Ernte von Hand ist extrem aufwändig. Und nicht selten wurden die Landarbeiter von den Zuckerfürsten ausgebeutet. Doch seit 2002 regiert Luíz Inácio Lula da Silva das Land. Der Präsident – von allen Lula genannt – hat seine politische Kariere als Arbeiterführer Ende der 70er-Jahre begonnen. Die Verbesserung der sozialen Standards ist ein wichtiger Teil seiner Politik. Die Auswirkungen sieht man auch auf unserem Zuckerfeld. Der Vorarbeiter zeigt uns stolz den Verpflegungswagen. Auch Toiletten gibt es. Die Erntearbeiter verdienen zwischen 300 und 500 € im Monat – je nach Leistung.


Der Ethanolboom macht arbeitslos


Doch über die Verbesserung ihrer Situation können sich die Landarbeiter nur bedingt freuen. Denn durch die höheren Standards steigen die Kosten für die Ernte, und der Einsatz der teuren Vollernter rechnet sich für die Zuckermanager. Und weil die Bevölkerung in den Zuckeranbaugebieten die ewige Dunstglocke durch die brennenden Felder leid ist, soll auch das bis 2014 verboten werden – selbst in Brasilien steigen die Umweltauflagen.


Vollernter arbeiten schon heute auf über 50 % der Anbaufläche. Zurzeit sollen 4 000 bis 6 000 der knapp 400 000 € teuren Maschinen unterwegs sein. Vor allem John Deere, Case-IH und der lokale Hersteller Santal teilen sich den Markt. Valtra entwickelt zurzeit unter Hochdruck einen Vollernter mit Halbkettenlaufwerk, der 2012 auf den Markt kommen soll. Die Nachfrage boomt: Pro Jahr rechnet man mit 1 000 bis 1 200 neuen Maschinen, so dass der Bestand 2020 auf rund 20 000 Vollernter ansteigen soll.


Jeder Zuckerrohr-Ernter ersetzt mindestens 80 Arbeiter. Der Präsident des Anbauerverbandes UDOP, Antonio Cesar Salibe, glaubt, dass etwa 2015 keine Machete mehr das Rohr schneiden wird. Die Folgen des Mechanisierungsschubs sind gigantisch – vor allem die sozialen. In den nächsten Jahren verlieren mehrere 100 000 Landarbeiter ihren Job.


Auf der anderen Seite fehlt auf dem Land überall geschultes Personal, um Vollernter und andere Maschinen zu fahren. Mehrere Anbauerverbände wollen jetzt massiv in die Ausbildung der Landarbeiter investieren. Eine langfristige Perspektive gibt es aber nur für wenige.


Wie in vielen Schwellenländern setzt die Landflucht ein. Die Menschen suchen ihr Glück in den großen Städten. Allein in Saõ Paulo leben über 18 Mio. Menschen. Die Stadtfläche ist 1 500 km2 groß und hat 130 000 Straßen. Jede Woche kommen mehrere Tausend Menschen neu nach Saõ Paulo auf der Suche nach Arbeit. An vielen Stellen der Mega-Stadt wachsen riesige Favelas – so nennt man die Slums in Brasilien.


Hochleistungspflanze Zuckerrohr


Der Zuckerrohr-Anbau in Brasilien ist fest in der Hand von Großunternehmen. Verbandschef Salibe schätzt, dass nur 35 % der Zuckerrohr-Anbaufläche noch von Farmern bewirtschaftet werden. Den Großteil der Felder managen die Fabriken in eigener Regie – Gewinnmaximierung auf höchstem Niveau.


Zuckerrohr ist eine Hochleistungspflanze – bei gleichzeitig recht geringem Aufwand. Die Pflanze wird im herbstlichen März – wir sind auf der Südhalbkugel – über Setzlinge vermehrt. Etwa 80 000 Pflanzen wachsen auf einem Hektar. Rund 2 200 € kostet die Anlage der Kultur pro Hektar. Dazu kommen ca. 1000 € pro Jahr für Düngung und Pflanzenschutz. Auch beim Pflanzen lösen immer mehr Maschinen die Landarbeiter ab. Moderne Maschinen erreichen Flächenleistungen von rund 1,5 ha pro Stunde. Mit den traditionellen Pflanzverfahren bräuchte man dafür über 20 Leute.


Nach einem Jahr kann das Zuckerrohr geerntet werden. Beerntete Pflanzen schlagen wieder aus. Bis zu fünf aufeinander folgende Ernten sind üblich. Dann folgt ein Jahr mit Soja, Erdnüssen, Mais oder Reis im Trockenanbau. Danach geht es wieder mit fünf Jahren Zuckerrohr weiter. Mit jeder Ernte nimmt der Ertrag von zuerst 120 t auf etwa 75 t/ha zum Schluss ab. Eine Tonne Zuckerrohr bringt etwa 138 kg Zucker oder rund 82 l Ethanol.


Zucker oder Sprit? Die Fabriken sind flexibel


Wir fahren weiter zwischen den Zuckerrohrfeldern in Richtung Fabrik. Die Landschaft ist übrigens nicht ausgeräumt und monoton. Ab und zu unterbrechen Bäume oder Hecken die Felder. Für diese Jahreszeit – Haupterntezeit ist April bis Dezember – steht noch ungewöhnlich viel Zuckerrohr. Seit Mitte Juli hat es fast ununterbrochen geregnet, allein im Januar angeblich 600 mm – normal sind 250 mm. Auf den abgeernteten Feldern sieht man überall tiefe Spuren im roten, schweren Ackerboden.


Am Fabriktor von Equipav begrüßt uns Ricardo Aquino. Der smarte Manager spricht fließend englisch und ist für die Weiterentwicklung der Fabrik zuständig. Die Zuckermühle liegt in Promissao, etwa 400 km von Saõ Paulo entfernt. Besitzer sind drei brasilianische Familien. Auch Bau- und Infrastruktur-Unternehmen gehören zu ihrer Gruppe.


Beinahe beiläufig erklärt Aquino, dass sich die Anbaufläche auf rund 100 000 ha erstreckt – 30 % davon sind Eigentumsflächen. Zwischen 10 und 12 Mio. t Zuckerrohr verarbeitet man pro Jahr in den zwei Werken. Damit scheint auch die maximale Größe erreicht. Denn bei mehr als 6 Mio. t pro Fabrik müssten die Lkw das Zuckerrohr über zu weite Strecken zur Fabrik karren – die Transportkosten machen die Sache unwirtschaftlich. Equipav hat 3 500 Mitarbeiter. Nur noch 17 % des Zuckerrohrs erntet man hier per Machete. Mitt­lerweile sind 62 Vollernter im Einsatz.


Wie die meisten Zuckerfabriken in Brasilien kann auch Equipav nach Belieben Kristallzucker oder Ethanol produzieren. Die jeweiligen Produktions-anteile richten sich nach den aktuellen Preisen auf dem Weltmarkt. Normalerweise liegt der Ethanolanteil bei knapp 60 %. Doch zurzeit produzieren die Brasilianer – wegen der guten Zucker- und der gesunkenen Ölpreise – zu etwa gleichen Teilen Kristallzucker und Ethanol.


In der Fabrik zerkleinern große Brecher bis zu 650 t Zuckerrohr pro Stunde. Der dort gewonnene zuckerhaltige Rohsaft wird zunächst gefiltert und konzentriert. Dann teilt sich der Saftstrom. Einen Teil kocht Equipav zu Kristallzucker, der andere Teil wandert in die Fermentation. Mikroorganismen produzieren hier das Ethanol. Nach der Destillation passiert der Bio-Sprit noch hohe Filtertürme, die durch Osmose das letzte Wasser entziehen. Das Resultat ist der Kraftstoff „Anhydro“ mit 99,5 % Ethanol. 130 Mio. Liter kann Equipav davon im Tanklager von nur einer Fabrik unterbringen.


Die Fasern des Rohrs fallen als so genannte Bagasse ab. Mit der Bagasse und den Zuckerrohrblättern befeuert die Fabrik die Kessel des eigenen Kraftwerks und produziert so 700 t Dampf in der Stunde. Techniker Luiz Fabiano erklärt uns gegen den Lärm der brüllenden Turbinen, dass man hier nicht nur die Fabrik versorgt, sondern den größten Teil des Stroms ins Netz einspeist. Die Leistung seiner Turbinen gibt er mit unglaublichen 135 MW an.


Rinderfett zu Biodiesel


Nicht nur Pflanzen, sondern auch tierische „Abfälle“ wandelt Brasilien im großen Stil in Bioenergie um.


Es riecht streng nach Ochsenschwanzsuppe, als wir uns die Fabrik von Produktionsleiter Rogério Barros ansehen. Kein Wunder, denn Barros Fabrik verarbeitet Rinderfett zu Biodiesel. Weil sie die einzige dieser Art in der Region Saõ Paulo ist, bringen Lkw Schlachtabfälle von überall hier hin. Die Fabrik hat einen Einzugsbereich von bis zu 1 000 km.


Bio-Diesel ist neben dem Ethanol die zweite Säule der Bio-Kraftstoff-Strategie Brasiliens. Ein Gesetz von 2008 schreibt vor, dass dem Diesel mindestens 2 % Bio­kraftstoff zugemischt werden müssen, und dieser Anteil soll bis auf 5 % im Jahr 2013 steigen. Rogério Barros schätzt, dass dieses Ziel schon heute erreicht ist. Dabei geht es bei weitem nicht um kleine Mengen: Der Gesamt-Dieselverbrauch des Landes liegt bei 45 Mrd. Liter. Brasiliens Bio-Diesel-Fabriken verarbeiten normalerweise pflanzliche Öle, also Sonnenblumen- und vor allem Soja-Öl.


Die Fabrik von Barros gehört dem großen Fleischproduzenten Bertini, der jüngst vom noch größeren Unternehmen JBS geschluckt wurde. Vor dem Zusammenschluss hat Bertini in Süd-Amerika etwa 13 000 bis 15 000 Rinder pro Tag geschlachtet. Neben Leder, Seife, Waschpulver und reinen Fettsäuren produziert man seit 2007 eben auch Bio-Diesel aus den Schlachtabfällen.


Etwa 18 bis 22 kg Fett fallen pro Rind an. Barros Fabrik kann theoretisch bis zu 100 % tierisches Fett verarbeiten. In der Praxis setzt er aber 80 % Pflanzenöl und 20 % Schlachtabfälle ein. Der Prozess funktioniert genau wie in anderen Bio-Diesel-Fabriken, das Endprodukt ist veresterter Diesel. Im eigenen Labor überprüft eine Chemikerin die Qualität. Barros legt großen Wert darauf. Die brasilianische Zertifizierung lehnt sich an den europäischen und US-amerikanischen Normen an, sagt er. „Der Preis für Diesel war bei uns noch nie so hoch wie heute.“ Trotz des gesunkenen Ölpreises ist Rogério Barros zufrieden. Bei einer Produktions-Kapazität von 200 Mio. l pro Jahr hat er dazu auch allen Grund.

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