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Freiwilliger Lieferverzicht: Genial oder fatal?

Lesezeit: 7 Minuten

Milcherzeuger sollen bei Preiskrisen freiwillig 5 % weniger Milch liefern. Den Lieferverzicht will das EU-Parlament entschädigen und im Gegenzug „Mehr-Melker“ mit Strafabgaben belegen. Das Echo ist unterschiedlich.


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PRO


Brauchen wir nach dem Ende der Quote ein aktives Mengenmanagement?


Reimer: Wenn Sie darunter eine vorausschauende Anpassung an Marktentwicklungen durch die gesamte Milchwirtschaft verstehen, sage ich ja. Die Alternative wäre ein reiner Preiswettbewerb auf dem Rücken der Erzeuger.


Warum braucht es dazu staatliche Leitplanken? Molkereien und Erzeuger könnten das doch selbst regeln?


Reimer: Es geht um ein Sicherheitsnetz in Krisensituationen. Es kann nicht unser Interesse sein, dass gesunde Unternehmen z.B. aufgrund krisenbedingter Liquiditätsengpässe Pleite gehen. Die wichtigen Leistungen der Milchviehbetriebe z.B. für den Erhalt von Grünland und für die benachteiligten Gebiete sind hinlänglich bekannt. Einmal zerstörte bäuerliche Strukturen sind meist unwiederbringlich verloren. Erst staatliche Leitplanken machen den Unterschied zwischen einer sozialen Marktwirtschaft und einer völlig liberalisierten Wirtschaftsordnung aus.


Funktioniert der freiwillige Lieferverzicht auch ohne Außenschutz? Und macht dieser künftig Intervention, private Lagerhaltung und Exporterstattungen entbehrlich?


Reimer: Ich bin mit Ministerin Aigner einig, dass Exporterstattungen kein Instrument der zukünftigen GAP sein dürfen, da sie die Landwirtschaft in Drittstaaten schädigen. Aber ohne Exporterstattungen laufen wir Gefahr, dass die im Krisenfall eingelagerten Mengen später auf den Marktpreis drücken. Und was machen wir dann? Hier sehe ich im freiwilligen Lieferverzicht eine Ergänzung zur Intervention und privaten Lagerhaltung und eine Alternative zu den Erstattungen. Das funktioniert selbstverständlich nur, wenn ein gewisses Schutzniveau gegenüber dem Weltmarkt erhalten bleibt.


Bei welchem Auszahlungspreis haben wir eine Krise? Und wie kann man steigende Futterkosten berücksichtigen?


Reimer: Krise ist dann, wenn gesunde und zukunftsfähige Betriebe so wie 2009 in eine existenzielle Notlage geraten, die allein auf einem drastischen Preisverfall beruht. Unabhängig davon hat sich die Produktion vor allem wegen der Futterkosten dauerhaft verteuert. Daher halte ich auch eine angemessene Anhebung des aktuellen Sicherungs- bzw. Interventionsniveaus von derzeit rund 21 ct/kg für gerechtfertigt.


Wer müsste die Preiskrise feststellen? Und wie lässt sich sicherstellen, dass zeitnah gehandelt wird?


Reimer: Das sollte wie bisher die Kommission tun. Sie hat die notwendigen Daten, kann unabhängig entscheiden und hat bislang immer verantwortlich gehandelt. Klar ist: Krisenmaßnahmen müssen schnell entschieden und flexibel umgesetzt werden.


Die Preis-Kosten-Verhältnisse sind zwischen und auch innerhalb der EU-Staaten sehr unterschiedlich. Wie hoch sollte vor diesem Hintergrund die Entschädigung bzw. die Strafabgabe sein?


Reimer: In den alten EU-Mitgliedstaaten haben sich Milchpreise und Produktionskosten stark angenähert. Daran müsste sich die Kommission orientieren. Alternativ zum einzelbetrieblichen Lieferverzicht mit Entschädigung könnte man die aus dem Markt zu nehmende Milchmenge auch EU-weit ausschreiben. Dann würden sich die Molkereien mit der schlechtesten Verwertung zuerst melden und die Produktionsverzichtsprämie an ihre Milcherzeuger weitergeben.


Wer soll den freiwilligen Lieferverzicht verwalten?


Reimer: Ohne staatliche Kontrolle dürfte es nicht gehen. Letztlich hängt das aber von der Ausgestaltung ab. Es muss das Ziel sein, die Maßnahme über einen Flaschenhals abzuwickeln. Nur dann kann sie schnell und unbürokratisch umgesetzt werden. Deshalb sollten sich die Molkereien zu ihrer Verantwortung für die Milcherzeuger bekennen – vor allem in Krisenzeiten! Wir sollten jetzt die Zeit nutzen und intensiv über die Umsetzung diskutieren.-sp-


Wolfgang Reimer (Grüne), Ministerial­direktor im baden-württem­bergischen Landwirtschafts­ministerium


CONTRA


Brauchen wir nach dem Ende der Quote weiterhin ein aktives Mengenmanagement?


Heuser: Ja. Jeder Landwirt und jede Molkerei braucht das. Das hat aber nichts mit einer staatlichen oder verbandlich gesteuerten Quote zu tun. Das vom französischen EU-Abgeordneten Michel Dantin vorgeschlagene Modell der Krisenintervention lehnen wir ab. Die große Mehrheit der Milcherzeuger möchte ein solches Modell nicht. Die Molkereien lehnen es ab und die Wissenschaft auch. Da kämpfen einige Politiker für unsinnige Maßnahmen, ohne dafür ein Mandat zu haben.


Kann der Weltmarkt zusätzliche Milchmengen aus Europa aufnehmen?


Heuser: Ja, der Exportmarkt wächst. Die Nachfrage nach Milcherzeugnissen steigt schneller als die Produktion, vor allem in Russland, China, aber auch in Afrika. In der EU schrumpft sie dagegen. Wir haben zwei Möglichkeiten: exportstark sein und mitwachsen oder in der EU von Jahr zu Jahr kleiner werden. Ich bin für die erste Variante.


Viele befürchten in Zukunft noch größere Milchpreisschwankungen. Lassen sich die durch einen temporären Lieferverzicht von 5 % dämpfen?


Heuser: Früher konnten wir die Milchpreise über Beihilfen, Erstattungen und Ankäufe durch die Intervention steuern. Bis auf die Intervention wurde alles aufgegeben und die Gelder in die Flächenprämien überführt. Über stärker schwankende Milchpreise darf man sich dann nicht wundern.


Jetzt will das EU-Parlament gegensteuern: „Wenigerlieferer“ sollen belohnt und „Mehrlieferer“ bestraft werden. Wenn nur wenige Mitgliedstaaten mitmachen, wird das wenig bringen. Die Abgeordneten haben auch nicht festgelegt, wann eigentlich eine Krise vorliegt. Bei einem Milchpreis von 20 oder 50 Cent?


Gibt es bessere und einfachere Instrumente gegen extreme Preiseinbrüche?


Heuser: Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner hat in der Milchkrise 2008 rund 700 Mio. € an deutsche Milcherzeuger ausgeschüttet. Das hat geholfen, war aber teuer. Heute müssen wir auf andere Maßnahmen zurückgreifen: Termingeschäfte, Beihilfen zur privaten Lagerhaltung etc. Das kann die Schwankungen aber nur etwas dämpfen. Je mehr sich der Milchmarkt öffnet, umso volatiler wird er. Das heißt aber auch: In guten Zeiten Geld verdienen. Die Forderung des DBV nach einer steuerfreien Rücklage für Landwirte ist deshalb nachvollziehbar.


Die deutschen Molkereien haben noch einen großen Nachholbedarf bei der Erschließung der Auslandsmärkte. Würde ein freiwilliger Lieferverzicht die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Molkereien gegenüber ihren internationalen Konkurrenten verschlechtern?


Heuser: Dem weiteren Ausbau der Auslandsmärkte kommt größte Bedeutung zu. Ein freiwilliger Lieferverzicht nur in Deutschland wäre dafür völlig kontraproduktiv, weil er die Planbarkeit zunichtemacht. Die wenigsten wissen, dass wir der größte Käseexporteur der EU sind. Internationale Wettbewerbsfähigkeit hat natürlich auch etwas mit dem Milchpreis zu tun. Der Export ist aber kein Selbstzweck. Deshalb wird niemand in Deutschland mutwillig den Milchpreis senken, um dann exportieren zu können. Das muss für Molkereien und Milcherzeuger ein Geschäft sein.


Welche Milcherzeuger würden vom Lieferverzicht profitieren, welche benachteiligt? Wie wirkt er auf wachsende oder investitionswillige Betriebe?


Heuser: Betriebe, die investiert haben, wären in der Krise dreifach gekniffen: Niedriger Milchpreis, hohe Finanzierungskosten aus der Erweiterungsinvestition und zusätzliche Abgaben auf die Mehrproduktion. Das würden die Banken bei der Investitionsplanung sofort „einpreisen“ und diese Betriebe entsprechend vorsichtiger beleihen.


Auf der anderen Seite steht der aufgabewillige Milcherzeuger, der nicht mehr investiert und nur noch „abmelkt“. In der Krise dürfte er sich über eine zusätzliche Prämie aus Brüssel freuen. Agrarpolitisch ist das ein Vorschlag aus dem „Tollhaus“.


Lässt sich dieses Instrument EU-einheitlich durchführen oder könnte es zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten kommen?


Heuser: Wer die Geschichte der EU-Milchquote kennt, weiß wie mit dem Instrument in der Vergangenheit umgegangen worden ist. Nehmen Sie Italien. Dort lacht man heute nicht nur über den Euro, sondern auch über die Milchquote, die nie richtig umgesetzt worden ist. Ähnlich würde es sicher auch mit dem freiwilligen Lieferverzicht laufen, nicht nur in Italien.


Deshalb kann es nur heißen: Der Staat sollte von einer Mengensteuerung die Finger lassen. Das kann die Wirtschaft viel besser und vor allem ohne staatlicheWettbewerbsverzerrungen-sp-


Eckhard Heuser,Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes

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