Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Wolf Maisernte Gülle und Wirtschaftsdünger

Aus dem Heft

Freizeitprofis in Gummistiefeln

Lesezeit: 10 Minuten

Zuschauer im Melkkarussel, Lagerfeuer im Indianerzelt, Puppenbühne am Bauernhof: Die Familien Pein, Starmann und Tafferts­hofer haben den Freizeitsektor als Geschäftsfeld entdeckt. Das lohnt sich, für sie und die Landwirtschaft.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Dicht gedrängt stehen die 50 Zuschauer im Kreis um die „Manege“. Die Erwachsenen beobachten konzentriert, die Kinder staunen. So was hat hier noch keiner gesehen: Vor ihren Augen springen nicht etwa Tiger durch einen brennenden Ring. Hier werden in einem modernen 20er-Melk-Karussell schwarzbunte Holstein-Frisian Kühe gemolken. Es sind die Tiere von Jürgen (54) und Maren Pein (52) aus Appen in Schleswig-Holstein, und was sich hier abspielt, ist keine Vorführung an einem Tag der Landwirtschaft, sondern ein tägliches Ritual.


„Bauer Pein, wie viel Liter gibt denn so eine Kuh?“, fragt ein kleines Mädchen und erfährt verblüfft, dass es in der Spitze 60 l am Tag sind – mehr als 12 000 l im Jahr. „Bauer Pein“ erklärt im weiteren Verlauf noch, warum die Kälber nicht bei ihren Müttern stehen und warum eine Kuh erst nach der Geburt eines Kalbes Milch gibt. Dann sind die 120 Kühe des Betriebs gemolken und die Arbeit im Melkstand getan. Nun geht es im Café weiter.


„Wir bieten Landwirtschaft live und hautnah“, erklärt Maren Pein das Betriebskonzept. Sie und ihr Mann haben den 100-ha-Betrieb in den letzten sechs Jahren konsequent zu einem Erlebnisbauernhof ausgebaut. Mehr als 50 000 Besucher kommen inzwischen pro Jahr auf den Betrieb, spielen im Heu, streicheln Tiere und lassen ihr Geld im Hofcafé . Die Besucherpalette reicht heute vom spontanen Familienausflug über den organisierten Kindergeburtstag bis hin zu größeren Firmenfeiern. Geöffnet ist von Donnerstag bis Sonntag jeweils ab 13 Uhr.


Damit liegt die Familie im Trend. Denn abseits des konsequenten Wachstums bei Ställen und größeren Einheiten richten immer mehr Landwirte ihre Betriebe nach den Wünschen erlebnishungriger Städter aus. „Viele Betriebe lassen sich hierzu in letzter Zeit beraten“, sagt Rita Maria Conradt, Beraterin für Familie und Betrieb von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Sie stellt fest, dass bereits etablierte Betriebe ihre Freizeitangebote weiter ausbauen.


Übernachten im Tipi


Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Das beweisen Irmgard (42) und Paul Starmann (45) aus Niedersachsen. Auf ihrem Ferienhof steht eine Behausung, die man aus jedem Karl May-Film kennt, aber nicht auf einem emsländischen Tierhaltungsbetrieb vermuten würde: Ein Indianerzelt.


Das Tipi ist ausgerichtet für Gruppen von bis zu zwölf Personen, die auf Decken und Fellen im Kreis ums Lagerfeuer Platz finden. Die Form des Zeltes garantiert, dass der Rauch bei ausreichender Frischluftzufuhr und ohne Zugluft entweichen kann. Reiter schätzen den direkten Kontakt zu ihren Pferden, die neben dem Zelt grasen können. Besonders für Kinder ist der Abend am Lagerfeuer ein besonderes Erlebnis.


„Zu uns kamen viele Reiter- und Fahrradgruppen, die nur eine Nacht blieben“, begründet Irmgard Starmann, die Investition in das Tipi: „Die Reinigungskosten dafür waren die gleichen wie nach einem mehrwöchigen Aufenthalt. Deshalb kam uns der Gedanke, eine einfache Übernachtungsmöglichkeit anzubieten.“


Viele Gäste bleiben aber auch über einen längeren Zeitraum und nutzen den „Hof zur alten Molkerei“ als Ausgangspunkt für sternförmige Ausritte oder Fahrradtouren. Vor allem ältere Gäste buchen neben dem Tipi häufig auch eine Ferienwohnung.


Jung, gut verdienend, anspruchsvoll


Laut einer Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist der durchschnittliche Bauernhofbesucher jung, verdient überdurchschnittlich gut und reist meist mit Kindern. Am häufigsten ist er zu Gast in Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Vor allem ist er aber auch anspruchsvoll. Einzelne Angebote nutzen sich schnell ab.


Diese Erfahrung haben auch die Peins gemacht, weshalb sie kontinuierlich in ihren Erlebnishof investierten. Sie bauten das Hofcafé , das zunächst nur einen Teilbereich einer Maschinenhalle einnahm, weiter aus. Der 25 mal 19 m große Raum inklusive Sanitär- und Küchenbereich bildet mittlerweile das Herzstück des Betriebes. Er verfügt über gut 100 Sitzplätze. Wenn im Sommer die große Terrasse mitgenutzt wird, finden über 250 Menschen Platz. Allein im Café-Bereich investierten die Hauswirtschaftsmeisterin und ihr Mann rund 300 000 €.


Zusammen mit ihren Kindern Hauke (24) und Svenja (26) entwickelten sie außerdem ein Maislabyrinth mit Kontrollpunkten und Aussichtsturm und begannen Traktor-Touren anzubieten. Die Fahrt auf dem Anhänger durch die Felder dauert 15 Minuten, kostet 1,50 € und erfreut sich bei Kindern größter Beliebtheit. Eine Einstiegsrampe, Sitzbänke und Schutzgitter garantieren den Schutz der kleinen Gäste.


Golfen mit den Kühen


Der aktuelle Besuchermagnet ist allerdings der Bauerngolfplatz. Ihn betreibt die Familie seit April 2009 direkt neben ihrem Boxenlaufstall. Auf dem 2,5 ha großen Areal golfen die Besucher zwischen grasenden Kühen und spielen dabei handballgroße Bälle durch Hindernisse.


Die Lizenzrechte hierfür kauften die Peins für 3 500 € von einem holländischen Anbieter, der für den Preis auch Fahnen, Bälle und 50 Schläger lieferte. Die landwirtschaftlich geprägten Hindernisse an den zehn Löchern entwarf die Familie selbst und griff dabei etwa auf einen ausgedienten Pflug zurück. Einzelne Besucher zahlen für die Partie Bauerngolf 5 €, Familien 13 €. „Im Hinblick auf die geringen Investitionskosten macht das die Sache wirtschaftlich interessant“, sagt Jürgen Pein. Seine Frau ergänzt: „Vor allem zieht es die Leute aber ins Café . Dort wird das Geld verdient.“


Wie in der Gastronomie üblich machen auch die Peins ihr Geld hauptsächlich mit den Getränken, die sie in Kombination mit Eis, Waffeln und Kuchen an den Mann bringen. Die Preise kalkulieren sie seit zwei Jahren mit einer Beraterin der Landwirtschaftskammer. „Das hätten wir schon viel früher machen sollen“, räumt Maren Pein heute ein, „denn so stellen wir sicher, dass wir auch kostendeckend arbeiten.“ Inzwischen sind die gemeinsamen Preiskalkulationen und ein jährlicher Betriebscheck anhand des Buchführungsabschlusses Standard geworden.


Die Idee zu dem Betriebskonzept kam der Familie im Zuge einer Aussiedlung vor zehn Jahren. „Wir wollten die Kühe in Zukunft nicht bei jedem Pachtpreis aufstocken müssen und suchten ein Standbein neben der Milch“, sagt Jürgen Pein. Seine Frau fügt hinzu: „Außerdem waren die Voraussetzungen gut, Hamburg liegt keine 20 Minuten entfernt. Ein vergleichbares Angebot gab es bis dato nicht.“


Gerade bei der aktuellen Milchmisere sind die Einnahmen aus dem Hofcafé für die Peins Gold wert. Bis zu 50 % ihres Einkommens darf die Familie im Café verdienen, das als eigenständiger Gewerbebetrieb läuft. Maislabyrinth und Bauerngolf zählen steuerlich als Landwirtschaft.


Zeichen stehen auf Grün


Die aktuelle Entwicklung bei den Peins zeigt im Kleinen, was deutsche Landwirte immer bitterer zu spüren bekommen: Der Verbraucher spart bei allem - insbesondere bei Lebensmitteln - aber nicht bei seiner Freizeit. Liselotte Raum, Beraterin für Einkommenskombinationen von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen formuliert es positiver: „Clevere Betriebsleiter haben im Freizeitsektor sehr gute Perspektiven. Die Zeichen stehen auf Grün.“


Dies wurde bislang nicht einmal durch die Wirtschaftskrise getrübt – ganz im Gegenteil. Dadurch, dass die Deutschen bei Fernreisen sparen, lassen sie ihr Geld verstärkt in der Heimat. „Dort wo der Service passt, läuft es im Moment sehr gut“, bestätigt Beraterin Raum. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass nicht wenige Betriebsleiter zu optimistisch rechneten: „Nicht wenige planen sehr euphorisch und stellen nach einiger Zeit fest, dass sie die Nachfrage überschätzt haben. Auch der tatsächliche Arbeitsaufwand liegt häufig höher als erwartet.“


70 Stunden-Woche ist Alltag


Letzteres ist auch bei den Peins der Fall. Der Landwirtschaftsmeister und seine Frau räumen ein, seit der Investition in den Erlebnishof rund 70 bis 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. Einen gemeinsamen Urlaub gab es seit Jahren nicht. „Wenn wir an einem guten Sonntag 400 bis 500 Gäste bedienen, dann wird’s stressig“, sagt Maren Pein, die für das Café verantwortlich ist und dafür auf einen Stamm von 400-€-Aushilfen zurückgreift.


„Wir versuchen seitdem, einmal in der Woche mit den Kindern Essen zu gehen“, sagt sie: „Das ist unser Urlaubsersatz.“ Die Landfrau und ihr Mann hoffen in den nächsten Jahren wieder mehr Freiräume zu erhalten, wenn Sohn Hauke voll in den Betrieb einsteigen wird. Der Agrarstudent macht gerade ein Praktikum in den USA und möchte das Erlebnishof-Konzept der Familie weiter ausbauen.


Einig sind sich die Peins: Auch in Zukunft wird der persönliche Kontakt zu den Gästen im Mittelpunkt stehen. „Die merken sofort, wenn Sie nicht willkommen sind“, sagt Jürgen Pein: „Wir sind authentisch, das wollen die Leute sehen.“


Bühne am Blaslhof


Dieser Satz hätte auch von Sepp Taffertshofer rund 1 000 km weiter südlich stammen können. Seit 33 Jahren bietet der 57-jährige Landwirt aus Bayern Urlaub auf dem Bauernhof an. Dabei hat er den ehemaligen Milchviehbetrieb zu einem wahren Kinderparadies geformt. Sein Angebot reicht heute vom Streichelzoo über einen Abenteuerspielplatz mit Kletterbäumen, Seilbahn und Riesenschaukel bis hin zu ausgiebigen Reittouren, Wanderungen und Schlittenfahrten vor einer malerischen Bergkulisse.


Taffertshofers Alleinstellungsmerkmal liegt aber nicht nur in der faszinierenden Hügellandschaft, die den Blaslhof wie ein Mantel umhüllt – es liegt in seiner Person. Der Vater von fünf Kindern ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und ein passionierter Puppenspieler. Seine Erzählleidenschaft ist inzwischen ein fester Bestandteil des Betriebes. Dort haben sich aus Lagerfeuergeschichten mit den Jahren sechs Kinderbücher entwickelt, die er im eigenen Verlag vertreibt. Aus Vorführungen im kleinen Kreis wurden Tourneen durch ganz Süddeutschland, und einer einfachen Bühnenkonstruktion folgten ein Puppentheater mit überdachtem Vorführraum und eine Freilichtbühne.


„Die Bühnen ziehen Urlauber auf den Ferienhof und umgekehrt“, sagt Taffertshofer, der zusammen mit seiner Freundin Claudia und fünf Helferinnen rund 70 Puppentheater-Vorstellungen pro Saison gibt. Allein zwischen März und Oktober 2009 sahen über 8 000 zahlende Gäste seine selbstgeschriebenen Stücke, die „Der Esel Pedro“ oder „Die traurige Milchkuh Zensi“ heißen. Die Vorführungen fanden vor allem auf der Bühne am Hof statt, aber auch bei Gastauftritten in einem eigenen Theaterwagen. Der Eintritt für Kinder beträgt 5 €, Erwachsene zahlen 7 €. Auf der Freilichtbühne treten hauptsächlich Künstler aus der Region auf.


Rund ein Drittel des Familieneinkommens stammt inzwischen aus dem Bücherverkauf und den Theatervorführungen. Beides läuft gewerblich. Die Ferienwohnungen und die Pensionspferde bringen ähnliche Summen. Dort ist zwar der Umsatz höher. Die Gewinnspannen liegen aber deutlich niedriger.


Auch dem Bayerischen Bauernverband blieb Taffertshofers außergewöhnliches Betriebskonzept nicht verborgen: Seit 2003 trägt der Freizeitprofi den Innovationspreis für kreative Ideen. Präsident Gerd Sonnleitner lobte in seiner Laudatio unter anderem Taffertshofers Leistungen für das gute Image der Landwirtschaft.


Der Tierarzt behandelt vor Publikum


Mit Recht, denn eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach belegt: Verbraucher, die einen Landwirt persönlich kennen, beurteilen Landwirtschaft deutlich positiver.


Auch Familie Pein hat an diesem Tag wieder Pionierarbeit geleistet: Nach der abendlichen „Melkvorführung“ gehen die Besucher zufrieden Richtung Hofcafé. Sie haben heute kein Bauernhof-Idyll à la Landliebe-Werbespot gesehen, sondern einen modernen Milchviehbetrieb mit gesunden Kühen. Keine junge Bäuerin mit Kopftuch, Milchkanne und Melkschemel, sondern Hochleistungskühe in einem 120er-Boxen-Laufstall. Wenn ein Tier krank ist, behandelt der Tierarzt auch schon mal vor Publikum. „Die Leute sehen, dass es den Tieren gut geht und sagen das auch“, bringt es Jürgen Pein auf den Punkt.


Das allein bringt schon mehr als manche Hochglanz-Aufklärungsbroschüre.


Matthias Schulze Steinmann


j Wie aus einer guten Idee ein erfolg-reiches Geschäftsmodell werden kann, lesen Sie ab Seite 30.

Die Redaktion empfiehlt

top + In wenigen Minuten wissen, was wirklich zählt

Zugang zu allen digitalen Inhalten, aktuellen Nachrichten, Preis- und Marktdaten | 1 Jahr für 1̶2̶9̶,̶6̶0̶ ̶€̶ 99 €

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.