Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Start der Ernte 2024 Agrarpaket der Bundesregierung Pauschalierung

Aus dem Heft

„Ich habe Angst, meine ganze Herde zu verlieren“

Lesezeit: 6 Minuten

Als der Deich in Fischbeck brach, war auch bei Christian Bleis komplett Land unter. 380 Kühe mussten evakuiert werden und kamen krank zurück. Die Bilanz: 750 000 € Schaden.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

In der Nacht auf den 10. Juni bricht der Elbdeich bei Fischbeck. Die Polizei evakuiert das 6 km entfernt liegende Dorf Schönhausen in Sachsen-Anhalt, in dem Familie Bleis lebt. Frau und Tochter kommen bei Freunden unter. Doch Betriebsleiter Christian Bleis bleibt, mit ihm seine 4 Mitarbeiter. „Wir mussten doch unsere 380 Kühe versorgen“, erinnert sich der Milchviehhalter.


Sie füttern und melken weiter. Und sie errichten einen 200 m langen Damm – 1,50 m hoch, rund um das Betriebsgelände. Sie bauen den ganzen Montag. Dienstagmorgen sind die Wiesen hinter dem Stall bereits 60 cm überflutet. Alle Zufahrtswege sind überschwemmt.


Der Wasserpegel steigt immer schneller. Was der Landwirt zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Die Bundeswehr dichtet die Gräben der ICE-Strecke ab, die hinter dem Betrieb herläuft. Dadurch kann in die Richtung nichts mehr abfließen. Der Pegel am selbst gebauten Deich steigt innerhalb von vier Stunden um einen halben Meter.


Dienstagnachmittag ist die Oberkante des eigenen Dammes fast erreicht. „Sieh zu, dass du die Kühe wegkriegst“, ist alles, was Christian Bleis da noch denken kann. Er findet drei Betriebe in 30 bis 70 km Entfernung, die bereit sind, seine Tiere aufzunehmen.


Die Evakuierung beginnt:

Mit Hilfe von zehn Berufskollegen verlädt er die Kühe auf Hänger und bringt sie mit Schleppern zu entfernt geparkten Lkws. Bald geht aber auch das nicht mehr. Der Milchviehhalter organisiert Panzer von der Bundeswehr, welche die Hänger durchs Wasser ziehen.


Dienstagabend bricht der selbst gebaute Damm. 240 Kühe sind noch da. Das Wasser fließt jetzt ungehindert auf das Betriebsgelände, in die Ställe und den Melkstand. Normalerweise wird ab 15 Uhr gemolken. „Es war wie in einem Albtraum“, erinnert sich Bleis. Alle laufen kopflos durcheinander. Plötzlich sind die Stalltüren offen. 240 Kühe rennen auf dem Gelände herum, laufen in den Stall, ins Wasser und wieder zurück. Sie brüllen – aus Angst und weil sie gemolken werden wollen. Sie versuchen die Tiere in ein noch trockenes Waldstück zu treiben. Vergeblich. Um 2 Uhr nachts geben sie auf.


Als sie am Mittwochmorgen zurückkommen, sind die Kühe auf dem ganzen Betriebsgelände verstreut – bis zum Euter im Wasser. „Man konnte das Gebrüll schon von Weitem hören“, berichtet der Landwirt. Sie treiben die 240 Kühe 1,5 km durch den Wald zu einem höher gelegenen Milchviehbetrieb. Dort können sie auf einer trockenen Weide stehen und endlich wieder gemolken werden: um 22 Uhr, über 30 Stunden nach dem letzten Melken.


Das ganze Ausmaß des Schadens begreift er erst, als das Wasser wieder weg ist. Die komplette Ernte seiner 180 ha Ackerflächen ist zerstört. Von seinen 110 ha Grünland können noch 20 ha geschnitten werden, der Rest ist abgestorben und muss neu angesät werden. Auch seine Futtersilos standen unter Wasser, sodass ein Großteil der Silage vergammelt ist.


In den Ställen hinterlässt das Wasser Schlamm. Nachdem Bleis mit Mitarbeitern und freiwilligen Helfern den Schlamm entfernt und die Ställe gereinigt hat, können am 21. Juni die ersten Kühe zurückkommen. Erst am 12. Juli sind die Ställe wieder ganz voll. Mehr als ein halber Monat Milchgeld fehlt.


Kühe erkranken.

Doch dann fangen die Probleme im Stall erst richtig an. Die Zellzahlen verdreifachen sich, die durchschnittliche Milchleistung sinkt von sonst 29 Liter auf 25 Liter pro Tag ab. Immer mehr Kühen leiden an Euter­entzündungen. Viele Tiere lahmen.


Die Diagnose: Mykoplasmen. Inzwischen mussten bereits 35 Kühe zum Schlachthof. Vor dem Hochwasser und der Evakuierung waren die Kühe vollkommen gesund. Noch hofft Bleis, die Probleme in den Griff zu bekommen. Mykoplasmen-Erkrankungen sind aber schlecht zu therapieren. Der Milchviehhalter bangt: „Im schlimmsten Fall ist meine ganze Herde infiziert und ich verliere nach und nach alle 380 Kühe.“


Eine schlimme Vorstellung für den 47-Jährigen, der die Herde nach der Wende komplett selbst aufgebaut hat. Noch im letzten Jahr stockte er sie von 300 auf 380 Kühe auf. „Jetzt zu sehen, wie immer mehr Kühe erkranken und meine Besten zum Schlachter zu bringen, ist einfach schrecklich“, so Bleis.


750 000 € Schaden:

Selbst wenn er den Großteil der Herde retten kann, rechnet der Landwirt mit einem Gesamtschaden von rund einer dreiviertel Million Euro. Allein die Schäden auf dem Feld bezifferte ein Sachverständiger mit 270 000 €. Zu den Verlusten aufgrund des Lieferausfalls, kommen unter anderem Schäden an den Futtersilos, Maschinen und dem Melkstand. Besonders hart trifft den Landwirt aber die verringerte Milchleistung, mit der er lange Zeit kämpfen wird.


„Wäre der Damm bei Fischbeck besser in Schuss gewesen, wäre der große Schaden wohl nicht entstanden“, gibt Bleis zu Bedenken. Er fragt sich auch, ob der Damm nicht schneller hätte abgedichtet werden können. Kritik übt er ebenso am Krisenmanagement: „Hätte der Krisenstab mich informiert, dass sie die Gräben unter der ICE-Strecke dichtmachen, hätte ich früher begonnen, meine Tiere zu evakuieren und ihnen viel Stress erspart.“


In der Not erfährt der Landwirt aber auch viel Hilfe. Nicht nur, dass er seine Tiere in anderen Ställen unterbringen kann. Beim Evakuieren, Aufräumen und auch jetzt noch helfen ihm Berufskollegen und Dorfbewohner. Besonders die Futter- und Strohspenden helfen über die erste Zeit hinweg. Mit den noch nutzbaren Vorräten kommt er so bis in den Winter. „Dann gucken wir weiter“, meint der Betriebsleiter.


Geld ist knapp:

Jetzt ist wichtig, dass die versprochenen Hilfsgelder schnell ankommen: „Ich muss alle Felder bestellen, das Grünland neu ansäen. Bald stehen Pachtzahlungen an. Die Tierarztkosten sind sehr hoch“, zählt Bleis nur einige seiner Außenposten auf.


Da ihm das halbe Juni-Milchgeld fehlt, wird es eng. Um mit der Bestellung der Felder beginnen zu können, wird Bleis zinsvergünstigte Darlehen der Rentenbank beantragen. Er hat bereits 5 000 € Soforthilfe und 2 500 € von der Schorlemerstiftung des Deutschen Bauernverbandes erhalten.


Wie viel Hilfsgelder er insgesamt bekommen wird, ist noch unklar. Für die Sanierung der Flächen rechnet er mit Hilfen zwischen 100 € und 300 €/ha. Für die Schäden an Feldbeständen, dem Milchgeldausfall und den Tierverlusten während des Hochwassers erwartet er Hilfen von 80 % der Schäden. Inwieweit er für die Tier- und Milchleistungsverluste entschädigt wird, weiß er nicht.


Von seinen Versicherungen gab es bisher nichts. Zwar hat er eine Gebäude- und eine Ertragsschadenversicherung, beide klammern aber Hochwasserschäden aus. Denn im Gebiet rund um die Elbe ist eine Police, die Hochwasserschäden einschließt, kaum zu bekommen.


Um seinen Betrieb vor zukünftigen Verlusten zu schützen, nimmt er das Ganze daher lieber selbst in die Hand. Der Landwirt plant bereits, einen dauerhaften Damm rund um seinen Betrieb zu bauen: „Der provisorische Damm war nicht fest genug. Beim nächsten Hochwasser bin ich besser vorbereitet.“

Die Redaktion empfiehlt

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.