Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Start der Ernte 2024 Agrarpaket der Bundesregierung Pauschalierung

Aus dem Heft

Kartoffeln: Auf Industrie- oder Speiseware setzen?

Lesezeit: 7 Minuten

Ernst und René Stenmans stehen vor einer Weichen­stellung: Lohnt die Investition in ein Kistenlager und aufwendige Kühltechnik? Oder sollen sie in Zukunft für den Verarbeitungsmarkt produzieren? Wir haben nachgerechnet …


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Pommes statt Pellkartoffeln: Schon seit 2002/03 verzehren die Deutschen mehr Kartoffeln in Form von Pommes, Chips und Klößen als mit frischen Knollen. Auch die Anbauanteile verschieben sich. Während die Flächen für Speisekartoffeln in den vergangenen 20 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgingen, blieb der Anbau von Verarbeitungsware recht stabil. Und: Dieser Trend dürfte anhalten, zumal immer mehr Sin­gle- und Doppelverdienerhaushalte beim Einkauf zu Fertigprodukten greifen.


Da fragt sich so mancher Kartoffelanbauer, ob er noch auf das richtige Pferd setzt. Auch Ernst (58) und René (23) Stenmans aus dem Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen stehen vor einer Entscheidung. Die langjährige „Kartoffel GbR“ mit dem Nachbarn wurde einvernehmlich aufgelöst, weil in beiden Betrieben junge Betriebsleiter eingestiegen sind, die Gas geben wollen – aber auf eigene Rechnung. Dadurch verlieren die Stenmans das Kistenlager und Teile der Sortiertechnik. Was bleibt, ist ein Flachlager mit Kühltechnik für 3 000 t und das Kapital aus der GbR-Auflösung. Umfassende Beregnungstechnik ist im Betrieb vorhanden.


„Raus aus den Kartoffeln“ kommt für Hofnachfolger René aber nicht in Frage. Denn die Kartoffeln (80 bis 90 ha Speisekartoffeln, davon 1/3 Frühware) sind neben 1 500 Mastschweineplätzen und 10 ha Rüben bisher das zentrale Standbein des Betriebes.


Investieren? Ja, aber worin?


Vater und Sohn sind sich deshalb einig: „Wir müssen investieren. Die Frage ist nur: Worin?“ Die Antwort fällt nicht leicht, denn die Investition in neuen Lagerraum beinhaltet eine Grundsatzentscheidung: Produzieren für den Speise- oder den Veredlungsmarkt? Beides ist grundsätzlich vorstellbar. Bislang haben die Stenmans auf Speisekartoffeln gesetzt und damit gute Erfahrungen gemacht. Aber die großen niederländischen Kartoffelverarbeiter liegen quasi vor der Haustür. Die Entscheidung will gut überdacht sein.


Wir haben mit drei Experten von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-West­falen vor Ort nachgerechnet.


Die Alternativen im Überblick


Heinz-Günter Gerighausen, Fachmann für Technikfragen, analysiert den Investitionsbedarf der beiden Alternativen. Schnell wird klar, in beiden Varianten müsste eher geklotzt als gekleckert werden. Im Falle der Entscheidung für die Industriekartoffeln schlägt Gerighausen den Bau eines zusätzlichen Flachlagers mit 3 000 t Lagerkapazität vor. Allein für das Gebäude (freitragender Stahlrahmen, Vollspalten) schätzt er inklusive Erschließung rund 500 000 € Investitionskosten (Übersicht 1). Technik, Lüftung und Elektronik schlagen in seiner Berechnung mit ca. 90 000 € zu Buche. Jährlich fallen damit inklusive Abschreibungen, Zinsen und Versicherungen sowie Reparatur- und Wartungsarbeiten Festkosten von rund 45 000 € an. Diese entsprechen, umgelegt auf die Lagerkapazität, rund 1,50 €/dt.


Noch ein paar Nummern größer sind die Planungen für die Speisekartoffeln. Hier empfiehlt der Technikberater den Bau eines Kistenlagers mit aufwendiger Kühltechnik. „Der Verbraucher stellt mitt­lerweile höchste Ansprüche an die Qualität der Knollen“, erklärt Gerighausen, „solche Premiumware lässt sich dauerhaft nur mit Profi-Technik erzeugen.“ Mit dem modernen Lager könnte die Familie ihre Speiskartoffeln bis in den Juni halten. Da sie somit kontinuierlich bis zur neuen Ernte Speisekartoffeln vermarkten könnte, wäre sie ein interessanter Lieferant für die großen Erfasser in der Region.


Das kostet allerdings. Durch die aufwendige Lager- und Kühltechnik übersteigen die Gesamtkosten bei diesem Schritt die Millionengrenze. Unterm Strich schlagen Festkosten von rund 120 000 € pro Jahr zu Buche. Das sind umgerechnet 4,05 €/dt Lagerkapazität.


Das bestehende Lager könnte Familie Stenmans bei beiden Alternativen weiterhin nutzen. Sie würde dieses bei einer Entscheidung zugunsten der Speisekartoffeln im Frühjahr als erstes räumen und dann mit der Vermarktung aus dem Kistenlager beginnen. Ein Mix aus Industrie- und Speisekartoffelanbau erscheint den Beratern nicht empfehlenswert. Die Familie müsste in diesem Fall auf zwei unterschiedliche Vermarktungswege setzen, ohne in einem Bereich eine starke Verhandlungsposition (Marktmacht) zu erlangen.


Um aufbauend auf den Investitions­bedarf die Vollkosten zu ermitteln, stellt Wilfried Beeker, Ökonomieberater Ackerbau bei der Landwirtschaftskammer in Viersen, die Gesamtkosten für beide Alternativen gegenüber (Übersicht 2). Er nimmt dafür die betriebsindividuellen Daten der Stenmans und Werte aus der Beratungspraxis. Für das Industriesegment wählt er die Sorte Fontane und kalkuliert mit einem Ertrag von rund 550 dt/ha Marktware. Für das Verfahren setzt er knapp 2 500 € Direktkosten an, die hauptsächlich auf Pflanzgut, Düngung und Pflanzenschutz entfallen. Hinzu kommen rund 2 600 € Arbeitserledigungskosten und gut 1 700 € Fest- und Faktorkosten. In den Festkosten sind die Werte aus Übersicht 1 enthalten, die Beeker dafür um die Lager- und Sortierverluste bereinigt hat und somit auf die zu vermarktende Ware bezieht (1,74 €/dt Marktware in Übersicht 2 entsprechen 1,51 €/dt Lagerkapazität in Übersicht 1).


Hohe Vollkosten bei Speisekartoffeln


Unterm Strich verbleiben so für den Industriekartoffelanbau Vollkosten von rund 6 800 €, bzw. 12,24 €/dt (beides brutto). Das bedeutet: Zur Vollkosten-Deckung ist, bei den angesetzten Werten, ein durchschnittlicher Erzeugerpreis von 11,05 €/dt netto erforderlich. Ab dieser Preisschwelle hätte Familie Stenmans alle Kosten und die Faktoransprüche für das eingesetzte Kapital, die eigene Arbeit und die eigene Fläche gedeckt.


Bei Speisekartoffeln verläuft die magische Grenze bei 17,50 €/dt Marktware (netto) und liegt damit um knapp 6,50 €/dt höher. Hier hat Beeker den Anbau der Sorte Belana bei einem Bruttoertrag von 560 dt/ha und 112 dt/ha Abzügen für Lagerungsverluste und Sortierabzug angesetzt. Bei dieser Alternative schlagen vor allem die Arbeitserledigungs- und die Festkosten stärker ins Gewicht (Sortierung, Ein- und Auslagerung, höhere Gebäudekosten).


Auf welchen Markt setzen?


Die große Frage ist nun: Sind die berechneten Preise im Schnitt der Jahre zu erzielen? Angesichts der hohen Volatilität des Kartoffelmarktes fällt den Beratern die Antwort schwer. Wilfried Beeker hält die 11,05 €/dt im Industriemarkt für ein ambitioniertes, aber bei guten Leistungen erreichbares Ziel. Auch Heinz-Günter Gerighausen und Harald Beyer, Pflanzenbauberater mit Schwerpunkt Kartoffeln, sind vorsichtig optimistisch. „Wer hier gute Qualitäten hinbekommt, kann auch sein Geld verdienen“, sagt Gerighausen, „und die Stenmans hatten ihre Produktion bei den Speisekartoffeln bisher immer gut im Griff.“ Harald Beyer betont: „Letzten Endes steht und fällt das Ergebnis mit dem erzielten Leistungs- und Qualitätsniveau.“ Einigkeit besteht darin, dass die Ergebnisse über den langen Schnitt der Jahre gesehen werden müssen. Schließlich unterliegt der Kartoffelmarkt mit Preisen von unter 5 bis über 20 €/dt enormen Schwankungen.


Die kalkulierte Preisschwelle bei den Speisekartoffeln erscheint den Beratern indes als die höhere Messlatte. Auch Ernst Stenmans räumt ein, einen Nettopreis von 17,50 €/dt im Schnitt der Jahre bislang nicht erreicht zu haben. Der Charme bei dieser Variante ist zwar, dass auch das vorhandene Lager für die höherwertigen Speisekartoffeln genutzt werden könnte – trotzdem raten die Berater ab. Wilfried Beeker sieht zwar auch in Zukunft Chancen am Speisekartoffelmarkt. Er hält aber auch das Risiko für Familie Stenmans bei dieser Variante für deutlich höher. Auch weil Stenmans aufgrund der hohen Investitionssumme einen erheblich höheren Liquiditätsbedarf hätten.


Und die Fruchtfolge?


Pflanzenbauberater Harald Beyer hebt zudem die starke Konzentration am Speise­kartoffelmarkt hervor und wirft ein weiteres Argument in die Waagschale: Den Standort des Betriebes. „Der Anbau von Premiumware ist mittelfristig nur im 5-jährigen Wechsel zu empfehlen“, sagt er, „da wird es für Stenmans auf Dauer schwer, sich die entsprechenden Flächen am Pachtmarkt zu sichern – zumal durch den Biogas-Boom immer mehr Mais in die Fruchtfolgen kommt.“ Auch Heinz-Günter Gerighausen gibt zu bedenken, dass der Speisekartoffelanbau zunehmend auf die Filet-Standorte zusammenschmilzt.“


Diese Argumente leuchten auch René und Ernst Stenmans ein. Mit den Beratern diskutieren er und sein Vater, welche Fakten für die Verfahren sprechen (siehe Checkliste). Hofnachfolger René ist am Ende verblüfft. Denn bislang waren die Speisekartoffeln sein Favorit. „Die Argumente geben mir schon zu denken“, räumt er am Ende des Gespräches ein. „Da ich es bin, der mit der Investition einmal leben muss, werde ich in den nächsten Wochen Angebote vergleichen und zusätzliche Stimmen hören. Dann fällt die Entscheidung.“ M. Schulze Steinmann

Die Redaktion empfiehlt

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.