Ein Landwirt musste seinen ausgesäten Winterraps umpflügen, mit einem Herbizid nachbehandeln und für mindestens ein Jahr auf die erneute Aussaat von Raps verzichten. Dies hatte das zuständige Regierungspräsidium angeordnet, nachdem ein Labor in einer Saatgut-Probe der gleichen Sorte geringe GVO-Spuren (zwischen 0,03 % und 0,1 %) nachgewiesen hatte, obwohl mehrere vom Saatgut-Hersteller veranlasste Proben als GVO-frei ausgewiesen worden waren.
Die Umbruchverfügung war jedoch rechtswidrig, wie kürzlich der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden hat (Az: 6 A 400/10). Und zwar aus mehreren Gründen:
- Die Aussaat von konventionellem Saatgut, von dessen Spurenbesatz der Landwirt keine Kenntnis hat, stellt keine „Freisetzung“ im Sinne des Gentechnik-Gesetzes dar. Deshalb konnte die Behörde ihre Umbruchverfügung nicht wirksam auf eine fehlende Freisetzungsgenehmigung stützen.
- Ihre Ansicht, bei einem festgestellten Spurenbesatz habe sie praktisch keine andere Wahl, als den sofortigen Umbruch anzuordnen, teilten die Richter ebenfalls nicht.
- Vielmehr müsse die Behörde in jedem Einzelfall die konkrete Gefahr für Mensch und Umwelt durch die verunreinigte Aussaat bewerten und diese u.a. mit den wirtschaftlichen Einbußen eines Zwangsumbruchs abwägen. Dieses vom Gesetz eingeräumte Ermessen habe das Regierungspräsidium nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
- Auch das „Prinzip der Nulltoleranz“ führe nicht dazu, dass das behördliche Ermessen praktisch „auf Null“ reduziert werde.
Die nachgewiesenen GVO-Spuren stammten von einer gentechnisch veränderten Rapssorte, für die es in zurückliegenden Jahren ein legales Freisetzungsverfahren gegeben habe, und für die deshalb bereits behördliche Sicherheitsbewertungen bzw. Umweltverträglichkeitsprüfungen vorlagen. Auch diesen Gesichtspunkt hätte die Behörde bei ihrer Abwägung berücksichtigen müssen.
Fazit: Die behördliche Praxis, die Aussaat von spurenbehaftetem Saatgut als ungenehmigte Freisetzung einzuordnen und ohne Ermessensausübung den Umbruch anzuordnen, ist nach Ansicht Hessischen Verwaltungsgerichtshofes rechtswidrig. Weil Revision gegen die Entscheidung eingelegt wurde, muss jetzt das Bundesverwaltungsgericht entscheiden.
Rechtsanwalt Dr. Hartwig Stiebler, Düsseldorf