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Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

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Milchkrise: Noch knirscht es an allen Ecken

Lesezeit: 11 Minuten

Politik, Verbände, Molkereien und der Handel – alle ringen um Auswege aus der Milchpreiskrise. Was ist bislang dabei herausgekommen? Eine Bilanz in acht Punkten.


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Da gibt es unterschiedliche Signale. In Deutschland ist der Kieler Rohstoffwert im September erstmals seit März dieses Jahres von 22,1 auf 23,0 ct/kg Milch leicht gestiegen. Diese Entwicklung deckt sich mit dem Preisverlauf bei der Global Dairy Trade, der internationalen Handelsplattform für Milchprodukte. Dort sind die Preise bis Anfang Oktober viermal in Folge nach oben gegangen. Mitte Oktober gab es aber wieder einen leichten Dämpfer. Der Durchschnitts- preis gab um 3,1 % nach.


Deshalb könnte der zwischenzeitliche Preisanstieg nur ein Strohfeuer gewesen sein. Nach Einschätzung der Rabobank übertrifft die weltweite Milchproduktion weiterhin die Nachfrage. Dafür waren nach Ansicht der niederländischen Analysten auch die Milchbauern der EU verantwortlich. Die insbesondere seit 2014 zusätzlich auflaufenden Mengen belasteten die Märkte. Zudem werde Russland auch im ersten Halbjahr 2016 sein Embargo aufrechterhalten. Die Importe Chinas werden sich allenfalls stabilisieren, prognostiziert die Rabobank.


Die entsprechend niedrigen Preise würden die Milchproduktion vor allem in Neuseeland und anderen Erzeugungsregionen in den kommenden Monaten drosseln, erwarten die niederländischen Marktexperten. Dazu komme der Wettereffekt „El Niño“, der in diesem Jahr besonders ausgeprägt ist und wegen der Trockenheit auf der Südhalbkugel zu Futterengpässen führe.


Einen Lichtblick sieht die Rabobank allerdings: Die sinkenden Einkaufspreise würden die Nachfrage beleben und so im zweiten Quartal 2016 wieder zu steigenden Erzeugerpreisen führen (siehe auch Brennpunkt Milch im Spezialprogramm Rinderhaltung).


Der EU-Agrarministerrat hat im September ein 500 Mio. € schweres Hilfspaket beschlossen, davon gehen 420 Mio. € über die Mitgliedsstaaten direkt an die Landwirte. 80 Mio. € steckt Brüssel in andere Programme zur Marktentlastung und Absatzförderung.


Die Hilfsgelder sind nicht nur für die Milchviehhalter reserviert, sondern können auch für die Unterstützung der ebenfalls unter extrem niedrigen Preisen leidenden Schweinehalter bzw. für die von der Sommerdürre geschädigten Landwirte genutzt werden. Deutschland erhält dabei mit 69,2 Mio. € den Löwenanteil aus dem Hilfspaket.


Neben den direkten Hilfen für die Landwirte gibt es weitere Maßnahmen:


  • Die Mitgliedsstaaten können bis zu 70 % der Direktzahlungen (1. Säule) und auch einen Teil der Mittel der ländlichen Entwicklung (2. Säule) ab Oktober auszahlen, wenn die vorgeschriebenen Kontrollen bis dahin vollständig durchgeführt wurden.
  • Es gibt eine neue Beihilfe zur privaten Lagerhaltung für Magermilchpulver (unbegrenzt) und für Käse (100 000 t).
  • Noch nicht entschieden ist über die beschlossene Neuauflage der privaten Lagerbeihilfe für Schweinefleisch sowie über die Nahrungsbeihilfe für Flüchtlinge.
  • Die EU-Mittel für die Absatzförderung wurden um 30 Mio. € aufgestockt. Davon sind 70 % für die Bearbeitung von Drittlandmärkten vorgemerkt.


Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will die Hilfsgelder über Liquiditätshilfen und direkte Zuschüsse an die betroffenen Bauern verteilen.


Die zinsverbilligten Liquiditätshilfedarlehen der Landwirtschaftlichen Rentenbank können die Landwirte über ihre Hausbank bekommen und die Zuschüsse dazu bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung beantragen. Die Modalitäten für die Zuschüsse waren bei Redaktionsschluss (21. Oktober) noch nicht abschließend festgelegt. Erste Details finden Sie auf Seite 22.


Parallel arbeitet das Bundeslandwirtschaftsministerium mit Hochdruck an einer Exportstrategie für die deutsche Agrarwirtschaft. Dazu hat es Mitte Oktober ein erstes Spitzengespräch mit den Bundesländern gegeben. „Dabei wurde viel heiße Luft produziert“, so ein Spitzenvertreter der Agrarwirtschaft gegenüber top agrar nach dem Treffen.


Die Unternehmen kritisieren nicht nur die fehlende Unterstützung des Bundes bei der Erschließung neuer Absatzmärkte in Drittländern, sondern auch die völlig unzureichende Hilfestellung der Behörden bei der Abwicklung der bestehenden veterinärrechtlichen und phytosanitären Vorschriften, die häufig zu Schwierigkeiten führten. Hinzu kommt die skeptische Einstellung der Länder mit grün geführten Landwirtschaftsministerien, die eine stärkere Förderung deutscher Exporte grundsätzlich kritisch sehen. Schnelle Fortschritte sind in diesem Bereich daher eher nicht zu erwarten.


Die meisten Bundesländer halten das Hilfsprogramm für nicht ausreichend. Deshalb wollen sie im Hinblick auf ein in Zukunft wirksameres Krisenmanagement weitere Instrumente (Versicherungslösungen, eine flexible Angebotsregulierung, kurzfristige Herauskaufaktionen) intensiv prüfen. Dazu soll es einen „runden Tisch“ mit Bund und Ländern, den Bauernverbänden, den Molkereien und dem Handel geben. Die hessische Landwirtschaftsministerin Priska Hinz (Grüne), Vorsitzende der Agrarministerkonferenz, hat für den 9. November zu einer ersten Sitzung nach Wiesbaden eingeladen.


Bezüglich der vorzeitigen Auszahlung der Direktzahlungen haben die Länder bereits die weiße Fahne gehisst. Die Zahlung von Vorschüssen oder eine vorzeitige Teilauszahlung im November 2015 sei „nicht realisierbar“, weil die vorgeschriebenen Kontrollen bis dahin nicht abgeschlossen sind. Man wolle aber alles tun, die Gelder bis Ende Dezember auszuzahlen, hieß es.


Der DBV macht für die Preiskrise bei Milch und Fleisch die Nachfrageeinbrüche auf den internationalen Märkten und politische Ursachen verantwortlich. Die Folgen des Russland-Embargos dürften nicht auf dem Rücken der europäischen Landwirte ausgetragen werden, so der Bauernverband. Deshalb müssten diese abgefedert werden. Das jüngst beschlossene Hilfspaket reiche dafür bei Weitem nicht aus. Die 500 Mio. € seien eher ein symbolischer Betrag und können nur ein erster Schritt sein, so der DBV.


Dennoch unterstützt der Bauernverband die beschlossenen Liquiditäts-hilfen und die von Bundesminister Schmidt angekündigte Exportoffensive. Zusätzlich fordert er aber weitere Hilfen von der Bundesregierung:


  • Kurzfristig sei ein Bürgschaftsprogramm für in Schwierigkeiten geratene Betriebe und eine Aufstockung der Mittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung notwendig.
  • Mittel- und langfristig müsste endlich die steuerliche Risikoausgleichsrücklage kommen. „Wenn wir dieses von uns schon lange geforderte Instrument heute hätten, könnten viele Betriebe die Krise besser puffern“, heißt es beim DBV.


Ob der Bauernverband seine Forderungen durchsetzen kann, ist offen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sieht für zusätzliche Finanzmittel wenig Spielraum, weil die Bundesregierung am Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes festhält und die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise viel Geld kosten wird. Außerdem lehnt Schäuble die Risikoausgleichsrücklage weiterhin aus grundsätzlichen Überlegungen ab, obwohl sich jetzt auch die Landwirtschaftsminister der Länder geschlossen dafür stark machen.


Die von Brüssel ermöglichte vorgezogene Auszahlung der Direktzahlungen hält der DBV für eine Mogelpackung, weil die Länder die Vorgaben der EU-Kommission nicht erfüllen könnten. Die pünktliche Überweisung sei aber eine Selbstverständlichkeit. „Es ist leider zu befürchten, dass einige verspätet auszahlen werden“, erwartet Generalsekretär Bernhard Krüsken. In der aktuellen Situation sei das völlig inakzeptabel.


Sehr skeptisch ist der Bauernverband bezüglich der von den Ländern beschlossenen Prüfung angebotsregulierender Maßnahmen. Eine solche wiederholte Prüfung sei verschwendete Zeit, heißt es in einem Faktencheck „Mengenregulierung Milch“, den der DBV kürzlich veröffentlichte. „Erstens muss jeder landwirtschaftliche Unternehmer selbst entscheiden können, wie viel Milch und Fleisch er produziert. Das ist nicht Aufgabe von staatlichen Stellen oder Verbänden. Zweitens sind die bisher diskutierten Modelle nicht sinnvoll umsetzbar. Das haben die Wissenschaftler mehrfach nachgewiesen. Und drittens entfaltet eine einseitige deutsche oder europäische Mengenreduzierung in weitgehend offenen internationalen Märkten keine preisstabilisierende Wirkung“, argumentiert DBV- Generalsekretär Bernhard Krüsken.


Das Thema Mengensteuerung sieht der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) völlig anders. Schon im Januar 2014 hat er ein Milchmarkt-Krisenmanagement-Konzept vorgeschlagen (top agrar 3/2015, S. 50). Auch der BDM erwartet eine steigende globale Nachfrage nach Milchprodukten. „Wir müssen die Wachstumsraten allerdings realistisch einschätzen“, warnt Hans Foldenauer, Sprecher des BDM.


Das bisherige Sicherheitsnetz, das auf der Einlagerung überschüssiger Produktionsmengen basiere, sei bei Preiskrisen am Milchmarkt nicht wirksam. Das bewiesen drei Krisen innerhalb der letzten sechs Jahre. Exporterstattungen sieht der BDM ebenfalls kritisch. Sie würden eine weitere Preisspirale nach unten in Gang setzen.


Warenterminbörsen und Margenschutzprogramme wie in den USA könnten zwar Preisabstürze bremsen sowie Preisspitzen nach unten und oben glätten, brächten aber nicht mehr Wertschöpfung, ist Foldenauer sicher.


Ursache der aktuellen Preiskrise sei ein zu hohes Milchangebot. „Dafür ist die EU mit einer zusätzlichen Milch-menge von über 6 Mio. t im vergangenen Jahr und einer weiteren Steigerung in diesem Jahr hauptverantwortlich“, bilanziert der BDM-Sprecher. Deshalb setze das Krisenmanagement-Konzept genau an dieser Stelle an. Im Rahmen des künftigen EU-Sicherheitsnetzes müsse die EU-Milchanlieferung zeitlich begrenzt werden können.


„Daher finden wir es gut und richtig, dass die Agrarministerkonferenz beschlossen hat, alle vorgeschlagenen Instrumente zur Marktentlastung zu prüfen“, freut sich Foldenauer. Dies komme allerdings viele Monate zu spät, weil einige Agrarminister, die Molkereien und der Bauernverband eine solche Diskussion immer wieder blockiert hätten.


Daher hält auch der BDM die beschlossenen Zuschüsse für Liquiditätsdarlehen aktuell für richtig. Damit könne die Krise unter Umständen „überstanden“, aber keinesfalls „bewältigt“ werden. „Ohne Ausbau des Sicherheitsnetzes mit einer zeitlich befristeten Angebotsbegrenzung verpufft die Wirkung“, ist Foldenauer sicher.


Wie die Prüfung Angebot steuernder Instrumente durch den „runden Tisch“ unter Leitung der hessischen Landwirtschaftsministerin ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Die Große Koalition aus Union und SPD hat sich Mitte Oktober in einer Bundestagsdebatte zur Milchkrise klar gegen solche Instrumente ausgesprochen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat immerhin versprochen, die Instrumente zur Verbesserung des Sicherheitsnetzes und der Marktabsicherung in die Beratungen in Brüssel einzubringen. „Bislang habe ich aber noch kein Modell zur Steuerung der Menge gesehen, das mich überzeugt“, knüpfte Schmidt seine Zusage gleich an Bedingungen.


In Brüssel sind sowohl EU-Agrarkommissar Phil Hogan als auch die meisten EU-Agrarminister weiter strikt gegen mengensteuernde Maßnahmen für den Milchmarkt. Beim Schnüren des Hilfs-pakets standen sie deshalb nicht ein-mal auf der Tagesordnung.


Die Molkereien haben sich bislang auffällig zurückgehalten. In Marktphasen wie dieser kommen die Schwachstellen der deutschen Molkereiwirtschaft ans Licht:


  • geringe Wertschöpfung,
  • starke Zersplitterung und ein
  • schwaches Exportgeschäft.


Ein Positiv-Beispiel sind die Milch-werke Berchtesgadener Land. Mit ihren Bergbauern-Produkten können sie auch jetzt noch einen Grundpreis von über 36 ct/kg zahlen. So starke Marken haben aber nur wenige Molkereien etabliert.


Im Kühlregal dominieren Handelsmarken. Diese lassen den Molkereien kaum Spielraum für Preiserhöhungen. Hinzu kommt, dass der Vielzahl von Molkereien als Anbieter ein hoch konzentrierter Handel als Abnehmer gegenübersteht, der einen erheblichen Preis- und Qualitätsdruck ausübt. Und die Molkereien sind sich selten „grün“: Bei fast jeder Preisrunde unterbietet man sich. Damit ist eine neue Welle der Preissenkung fast zwangsläufig.


Denn viele Molkereien haben kaum Absatzalternativen – weder im Inland noch im Export. Die lukrativen Exportmärkte teilen sich europäische Molkereikonzerne wie FrieslandCampina, Arla oder Danone. Die Unternehmensberatung „Dr. Wieselhuber & Partner GmbH“ kommt in einer aktuellen Analyse zu einem ernüchternden Ergebnis: „Die deutschen Molkereien verlieren im internationalen Vergleich weiter an Boden. Ausländische Wettbewerber verfügen über Vorteile in Bezug auf Größe, Markenbasis und Wertschöpfung.“


Ändern dürfte sich daran so schnell nichts. Denn der Aufbau solcher Märkte benötigt viel Zeit, eine hohe Kapitalausstattung und eine klare Strategie. Nur wenige Unternehmen erfüllen diese Kriterien. Insofern hat der Bauernverband recht, wenn er „großen Handlungsbedarf bei den Strukturen des deutschen Molkereisektors“ sieht.


Es gibt zarte Signale für steigende Preise. Mitte September kündigte Lidl überraschend an, die Einkaufspreise für Milch um 5 ct/l zu erhöhen. Ende Oktober endet der laufende Kontrakt ohnehin. Wenige Tage später zogen Aldi Nord und Aldi Süd nach und erhöhten die Verkaufspreise für Milch um 4 ct/l und für Butter um 10 ct/Paket (250 Gramm), allerdings gleich bis Ende April. Inzwischen ist der Handel auf breiter Front dem Vorbild von Aldi gefolgt.


„Ich erwarte, dass in einem nächsten Schritt auch für andere Molkerei-produkte ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein gezeigt wird“, kommentierte DBV-Präsident Joachim Rukwied die Preiserhöhungen für Trinkmilch. Bislang hat sich der Handel noch nicht dazu positioniert, wie sich aus seiner Sicht die Preise für Quark, Sahne und Joghurt entwickeln werden.


Die vom Handel gefeierten Preisanhebungen nur für Trinkmilch sind nicht mehr als ein durchsichtiger PR-Trick. 4 Cent zusätzlich in diesem Bereich bringen weniger als 0,5 Cent mehr an Milchauszahlungspreis. Das liegt daran, dass nur ca. 15 % der bei uns produzierten Rohmilch zu Trinkmilch verarbeitet und davon wiederum nur die Hälfte in Deutschland abgesetzt wird.


Viel stärker würden Preisanhebungen bei Käse durchschlagen. Mit 45 % wird fast die Hälfte der deutschen Rohmilch zu Käse verarbeitet und davon wiederum fast 55 % auch bei uns abgesetzt. Wenn der Handel den Molkereien 50 Cent mehr pro Kilogramm Käse bezahlte, kämen bei den Milchviehhaltern schon 1,2 Cent zusätzlich pro Liter Milch an.


Tatsache ist aber, dass vor allem die besagten Discounter in den Wochen vor der mit großem Tamtam angekündigten Preisanhebung für Trinkmilch die Käsepreise massiv in den Keller geprügelt haben. Da lässt sich aus dem gesparten Geld für den Käseeinkauf leicht eine großherzige Preisanhebung für Trinkmilch verkünden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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