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Molkereien: Das Protokoll einer Pleite

Lesezeit: 9 Minuten

D en 16. Dezember 2004 werden die Milcherzeuger aus Nordhessen so schnell nicht vergessen: Die Nachricht von der Pleite unserer Molkerei war für uns alle ein Schock, so Helmut Schabacker, Milcherzeuger aus Waldkappel-Hetzerode und ehemaliger Lieferant der Privatmolkerei Lindenberg in Kassel. Keiner der 100 Lieferanten hatte mit der Insolvenz des kleinen Traditionsunternehmens kurz vor Weihnachten gerechnet. Zuletzt wurden dort mit 45 Mitarbeitern pro Jahr ca. 37 Mio. kg Milch zu H-Milch, Sahne, Quark und anderen Milchfrischprodukten verarbeitet. Noch heute können die Erzeuger das Geschehen kaum fassen: Das war wie im Krimi, meint Bernd Wentrot aus He-benshausen, Vorsitzender einer der vier betroffenen Liefergemeinschaften. Allerdings ein schlechter Krimi, schließlich warten die Lieferanten heute noch auf Milchgeld inklusive Nachzahlungen für 2003 und 2004 in Höhe von insgesamt 3,5 Mio. E. Einzelnen Betrieben fehlen bis zu 65 000 E! Für viele der betroffenen Bauern war dies die zweite Molkereipleite innerhalb weniger Jahre. Bereits 1999 mussten sie den Verlust ihrer Geschäftsanteile bei der Insolvenz der Kurhessischen Molkereizentrale verkraften. Viele Signale kündigten die Pleite an Ganz so überraschend kam die Pleite aber nicht: Im Nachhinein betrachtet gab es schon Anfang des Jahres 2004 erste Anzeichen für die drohenden Zahlungsschwierigkeiten. j Januar 2004: Die bisher anstandslos gewährte Bankbürgschaft wur- de in den neuen Verträgen mit der Liefergemeinschaft Ringgau-Sontra (20 Mio. kg) nicht mehr ausgestellt. Grund: Die Molkerei hatte beim Rating bei der Bank (Basel II) bereits schlechte Noten eingefahren. Danach haben wir die Ausstellung einer Bankbürgschaft zwar immer wieder angemahnt. Doch dazu ist es nicht mehr gekommen, erklärt Heinrich Achler, Vorsitzender der Liefergemeinschaft. j April 2004: Die im April festgesetzte Nachzahlung für 2003 kam und kam nicht. Zudem ließ sich der Molkereichef Joachim Kaminski ständig verleugnen, berichtet Schabaker. Der ersten Mahnung folgte im Mai die zweite. Als die Molkerei darauf nicht reagierte, wurde ein Rechtsanwalt eingeschaltet, der mit der Molkerei verhandelte. Schließlich konnte man sich darauf einigen, dass die Nachzahlung in Raten zu jeweils 2 Ct pro kg Milch und Monat abgestottert werden sollte. Die Bauern waren etwas beruhigt. Ihnen blieb auch gar nichts anderes übrig, denn eine Verzögerung der Nachzahlung durch einen kurzfristigen Engpass in der Liquidität berechtige nicht zum Molkereiwechsel (Vertragsbruch). So lautete zumindest die Rechtsauskunft, die sich die Bauern zum damaligen Zeitpunkt bereits eingeholt hatten. Auch über die Möglichkeit einer Kreditversicherung habe man sich bei der R+V-Versicherung erkundigt. Aufgrund der verzögerten Nachzahlung war der Abschluss einer Versicherung aber schon nicht mehr möglich. Abgesehen davon, war uns eine Versicherung mit einer Mindestprämie von 2 000 E bei einer maximalen Versicherungssumme von 20 000 E schlichtweg zu teuer, berichtet Achler. j November 2004: Die Bank weigerte sich, die Schecks für das Oktober- Milchgeld bei elf Lieferanten einzulösen. Die Bauern wurden dadurch zwar stutzig, lieferten aber weiter ihre Milch nach Kassel: Damals bestand für uns noch Hoffnung, dass wir unser Geld bekommen werden, so Schabacker. Schließlich habe man mit der Molkerei jahrelang gut gelebt. Der durchschnittliche Milchpreis der Molkerei lag nach den Auswertungen der ZMP regelmäßig über dem Landesdurchschnitt. Die Bauern der Milchliefergemeinschaften trafen sich ab jetzt wöchentlich zur Krisensitzung und versuchten, über verschiedene Kanäle an Informationen über die Liquidität des Unternehmens zu kommen. Auf die erneute Forderung der Bauern nach einer Bankbürgschaft zumindest für das November-Milchgeld ging Molkereichef Kaminski auch diesmal nicht ein. Die Bauern wären sogar bereit ge- wesen, die Bürgschaft zum Teil mitzufinanzieren, doch der Molkereichef zeigte sich vollkommen unzugänglich. Er lehnte sowohl Gespräche mit der Bank als auch die von den Bauern angeregte Zusammenarbeit mit der benachbarten Wiehengebirgsmolkerei ab. Kaminsiki beschwichtigte weiter und wollte von Liquiditätsproblemen nichts wissen. Seine schriftliche Zusicherung, dass das Geld in Kürze in Raten ausgezahlt werde, besänftigte die Bauern erneut. Und am 25. November traf das ausstehende Oktober-Milchgeld der elf Lieferanten dann auch tatsächlich ein. j Dezember 2004: Mit dem Auszahlungstermin für das Milchgeld vom November begann die Wackelpartie von vorne: Nur diesmal wurden überhaupt keine Schecks mehr ausgestellt. Nun war unsere Geduld am Ende. Das Brisante war, den richtigen Zeitpunkt für den Absprung zu finden. Einerseits wollten wir keinen Vertragsbruch begehen, andererseits mussten wir unseren Schaden begrenzen, erinnert sich Schabacker, der vor kurzem einen neuen Stall gebaut hat und jetzt monatlich hohe Tilgungsraten leisten muss. Die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage erzwangen eine Entscheidung, denn zwischen den Jahren würde keine andere Molkerei die Milch abholen. Zwar war die Meinungsbildung durch die Bündelung der Landwirte in vier Liefergemeinschaften einfacher als bei 100 Einzellieferanten, dennoch waren die Ansichten geteilt: Die einen wollten, dass die Milchlieferung sofort eingestellt wird, die anderen waren der Meinung, wir sollten dem Geschäftsführer doch noch eine Chance geben, beschreibt Bernd Wentrot, Vorsitzender der Liefergemeinschaft Dreiländereck, den Zwiespalt. Die Nerven lagen blank. Ereignisse überschlagen sich Mitte Dezember spitzt sich die Lage dramatisch zu. Fast täglich fuhren die Vorstände der vier Liefergemeinschaften zur Molkerei. Als kein Verpackungsmaterial mehr auf dem Hof war, wurde uns klar, was hier gespielt wird. Jetzt mussten wir die Notbremse ziehen, schildert Wentrot, der sich noch am gleichen Abend von seinem Rechtsanwalt schriftlich versichern ließ, dass der Vertrag durch die ausstehenden Zahlungen von der Molkerei und nicht von ihm gebrochen wurde. Danach überschlugen sich die Ereignisse: Noch am gleichen Tag wurde mit anderen Molkereien telefonisch verhandelt. Bei Hochwald in Thalfang herrschte zu dieser Zeit Aufnahmestopp. Auch der BDM-Nord konnte die Milch wegen fehlender Absatzmöglichkeiten nicht gebrauchen. Angesprochen wurde ein halbes Dutzend Molkereien im Umkreis von 200 km. Ernsthafte Verhandlungen wurden schließlich mit der Wiehengebirgsmolkerei sowie Schwälbchen und Humana geführt. Die Liefergemeinschaft von Helmut Schabacker wollte zur Privatmolkerei Schwälbchen nach Bad Schwalbach wechseln. Eine zusätzliche Belastung durch die Einzahlung von Geschäftsanteilen bei einer Genossenschaft wollten die Bauern nicht eingehen. Die größte der vier Liefergemeinschaften, Ringgau-Sontra, beschloss zu Humana nach Erfurt zu gehen. Da zogen die anderen nach: Humana bot uns an, zu ihrer Tochter, den Thüringer Milchwerken GmbH nach Erfurt zu liefern. Zudem wurde uns eine Vorauszahlung des Januar-Milchgeldes versprochen, so dass die Betriebe zahlungsfähig bleiben konnten, erklärt Wentrot. Der Molkereiwechsel verlief reibungslos. Schon am nächsten Tag ging die erste Milch nach Erfurt. Im ersten halben Jahr hatten die Landwirte ein Kündigungsrecht, danach sind sie über Dreijahresverträge an die Molkerei gebunden. Eine bessere Absicherung gegen Milchgeldausfall z.B. in Form einer Bürgschaft oder Versicherung haben die Landwirte aber auch diesmal nicht erreicht. Liegt vorsätzlicher Betrug vor? Was der Kasseler Molkerei letztlich das Genick gebrochen hat, weiß keiner so genau. Geschäftsführer Kaminski ist seitdem krank geschrieben und abgetaucht. Er lässt verlauten: Die Einstellung der Milchlieferung durch die Bauern habe die Pleite verursacht. Einige Bauern glauben, dass sich Kaminski verkalkuliert habe. Vor allem die Vertragsabschlüsse mit Edeka im vergangenen Jahr seien 1 bis 2 Cent hinter den Erwartungen geblieben. Ein weiteres Prob-lem war sicher auch die starke Ausrichtung der Molkerei auf das Massenprodukt H-Milch. Die Wertschöpfung war zu gering, gegen die Großen der Branche konnte die kleine Privatmolkerei nicht bestehen. Einige Landwirte gehen mit dem Geschäftsführer härter ins Gericht und schließen sogar betrügerische Manipulationen nicht aus: Die Liefergemeinschaft Dreiländereck hat er im Juli 2004 doch nur noch aufgenommen, um seine Liquidität kurzfristig zu verbessern, meint Heinrich Achler. Auch, dass Kaminski noch im Herbst mit einem Schuldanerkenntnis alle Forderungen der Molkerei an die Bauern abgetreten hat, obwohl ein solches bereits gegenüber einem Dritten bestand, werfen die ehemaligen Lieferanten dem Geschäftsführer vor. Mit einem solchen Schuldanerkenntnis hätten sie ihr Milchgeld direkt bei Abnehmern (Schuldner) der Molkerei eintreiben können. Jens Wöllenstein, mit der Abwicklung der Insolvenz beauftragter Rechtsanwalt von der Anwaltskanzlei Westhelle in Kassel, spricht von Misswirtschaft und schlechter Organisation des Betriebes. Der Kreisbauernverband Werra-Meißner hat im Auftrag der geschädigten Bauern zwei Anwälte damit beauftragt, ihre Interessen zu vertreten. Damit haben wir aber bis heute nichts erreicht, ist Wentrot enttäuscht. Trotzdem muss jeder Landwirt seine Forderungen noch einzeln beim Insolvenzverwalter einreichen. Ob und wie viel Geld die betroffenen Landwirte wiederbekommen werden hängt jetzt davon ab, ob und zu welchen Konditionen wir die Molkerei verkaufen können, erklärt Rechtsanwalt Wöllenstein. Molkereibetrieb läuft weiter Der Molkereibetrieb in Kassel wird seit Dezember mit Milch vom Spotmarkt weiter geführt. In den ersten drei Monaten wurden die Löhne der 50 Mitarbeiter von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt. Danach reihte auch sie sich in die Liste der Gläubiger der Molkerei ein. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28. Feb-ruar 2005 wurden 37 Mitarbeiter entlassen und der Geschäftsbetrieb umstrukturiert. Die Chancen, dass die Milcherzeuger wenigstens einen Teil ihres Geldes bekommen werden, sind angesichts des hohen Schuldenbergs, den die Molkerei hinterlässt, nicht gut. Aus Sicht der Landwirte wäre es deshalb auch am besten, der Betrieb würde so schnell wie möglich eingestellt. Jens Wöllenstein will den Bauern aber noch Hoffnung machen: Durch die Umstellung auf Konsummilch in Großgebinde und eine gute Auftragslage schreibt das Unternehmen im Moment schwarze Zahlen. Wenn es uns gelingt, den Geschäftsbetrieb weiter zu optimieren, ist das Unternehmen für Kaufinteressenten durchaus attraktiv. Und unser vorrangiges Ziel ist, die Molkerei als solche sowie Arbeitsplätze zu erhalten. Mittlerweile haben wir schon vier Kaufinteressenten dafür, erklärt der Rechtsanwalt. Unterdessen geht die Kasseler Staatsanwaltschaft einem anonymen Anruf nach, der den ehemaligen Molkereichef bezichtigt, einen Teil seines Vermögens ins Ausland geschafft zu haben. Denn in letzter Konsequenz haftet dieser mit seinem Privatvermögen für den Schaden. Bernd Wentrot hat deshalb Anzeige gegen Geschäftsführer Kaminski erstattet. Die andern wollen in Kürze nachziehen. S. Lehnert

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