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Nachgehakt - „Da tickt eine gefährliche Zeitbombe!“

Lesezeit: 4 Minuten

top agrar sprach mit Prof. Dr. Harald Grethe über die Akzeptanzkrise der Nutztierhaltung und was die Wissenschaft ändern will.


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In welcher Zeit lässt sich die Nutztierhaltung umbauen?


Grethe: Das wird 20 bis 30 Jahre dauern, weil wir die Nutzungsdauer der Ställe berücksichtigen müssen. Dennoch müssen wir jetzt engagiert anfangen. Wir haben unsere Empfehlungen in Maßnahmen gegliedert, die sofort starten können und Maßnahmen, die mittelfristig vorbereitet werden müssen.


Wie wird sich der Umbau auf den Strukturwandel und die Betriebsgrößen auswirken?


Grethe: Die Effekte werden sehr unterschiedlich sein. Das zeigt folgendes Beispiel: Kleine Milchviehhalter mit Anbindeställen in engen Dorflagen würden genauso Probleme bekommen wie Betriebe mit sehr großen Beständen, die ihren Kühen keinen Weidegang bieten können. Letztlich geht es aber nicht um Bestandsgrößen, sondern um akzeptable Haltungsbedingungen für kleine und große Betriebe.


Bisher haben Lockvogelangebote bei Milch und Fleisch dem Handel bessere Umsätze beschert als hochpreisige Tierwohlprogramme. Ist das Tierwohl-Potenzial wirklich so groß?


Grethe: Das ist ein klassisches Marktversagen. Diejenigen, die sich gar nicht an Tierschutzinitiativen beteiligen, profitieren trotzdem von einem besseren Image. Diese Trittbrettfahrer-Problematik versucht die Initiative Tierwohl mit ihrem Branchenansatz aufzulösen. Das Potenzial für besonders tierfreundliche Ware wird auch deshalb nur wenig erschlossen, weil die Kennzeichnung oft nicht transparent ist. Ein staatliches Label könnte das ändern. Wenn wir mit tierwohlorientierter Ware stärker in die Breite kommen, würden auch die notwendigen Preisaufschläge von 100 % und mehr deutlich sinken. Die bisher sehr aufwendige und teure Warentrennung für Kleinstmengen würde dann effizienter und günstiger.


Brauchen wir wegen der offenen Grenzen in Zukunft einen Tierwohl-legitimierten Außenschutz?


Grethe: Ein solcher ließe sich im EU- und WTO-Recht kaum durchsetzen. Deshalb empfehlen wir ein breites Bündel an flankierenden staatlichen Unterstützungs- und Ausgleichsmaßnahmen. Hilfreich wären auch Initiativen der Privatwirtschaft, wie etwa Auslistungen von Produkten, die unterhalb der inländischen Tierschutzstandards produziert werden, und eine erfolgreiche Brancheninitiative Tierwohl.


Können wir zur Not auch einen nationalen Alleingang riskieren?


Grethe: Ein konzertiertes Vorgehen mehrerer EU-Mitgliedstaaten ist immer besser. Aber auch nationale Alleingänge sind machbar. Die EU-Tierschutzstandards sind schon heute nicht einheitlich. Deutschland liegt im oberen Mittelfeld. Völlig unproblematisch sind Alleingänge bei der Konzeption von Tierwohl-Förderprogrammen im Rahmen der 2. Säule, beim Aufbau eines staatlichen Tierwohl-Labels oder beim Ausbau der Aus- und Fortbildung.


Wie weit dürften wir vorauspreschen?


Grethe: Das hängt von den Begleitmaßnahmen ab. Wenn wir in der EU durchsetzen würden, nationale Tierschutzprämien als Ausgleich für höhere Standards zahlen zu können, sind nationale Alleingänge einfacher.


Auch die Grünen wollen die Tierhaltung radikal umbauen. Ist das auch Ihr Weg?


Grethe: Wir orientieren uns nicht an parteipolitischen Vorstellungen. Ich kenne von den Grünen auch keine konsistente Strategie zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland. Viele Grüne vermischen die Strukturdebatte mit der Tier- und Umweltschutzdebatte. Sie sehen das Problem vor allem in der „Massentierhaltung“. Das halten wir für falsch. Die Zusammenhänge zwischen Betriebsgröße und dem Tier- und Umweltschutzniveau sind gering und nicht eindeutig. Verbesserungen im Tier- und Umweltschutz sind in großen und kleinen Betrieben notwendig und möglich.


Wie reagieren Berufsstand und Politik auf die wachsenden gesellschaftlichen Ansprüche an die Nutztierhaltung?


Grethe: Der Berufsstand reagiert überwiegend abwehrend und versucht, den Status Quo zu verteidigen. Das kann nicht gelingen. Notwendig ist mehr Bereitschaft zum Dialog und zu wesentlichen Veränderungen in der Tierhaltung. Die Politik hat das Problem zwar erkannt, versäumt es aber bisher, dringend erforderliche Signale für die langfristige Entwicklung des Sektors zu geben. Viele Landwirte spüren, dass da eine Zeitbombe tickt, die man nicht aussitzen kann. Deshalb empfehlen wir, Leitlinien für die Tierhaltung zu entwickeln, deren Halbwertzeit über Legislaturperioden hinausgeht. Wir wollen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs führen, um diese Leitlinien zu präzisieren. Und wir fordern finanzielle Rahmenbedingungen, um die Kosten des Umbaus zu schultern. Der Berufsstand sollte diesen Weg mitgehen. Die Gesellschaft kauft es den Landwirten nicht mehr ab, dass es in der Nutztierhaltung keine Tierschutzprobleme gibt.


Werden Sie als Beirat aktiv auf den Berufsstand zugehen?


Grethe: Das tun wir bereits. Der Deutsche Bauernverband ist in die begleitende Fachveranstaltung zur Übergabe des Gutachtens eingebunden. Darüber hinaus stehen wir auf vielen Ebenen im intensiven Austausch. Wir halten die Lücke zwischen gesellschaftlichem Anspruch und der Realität der Nutztierhaltung für gefährlich – sie kann und muss verringert werden. Das erfordert große Anstrengungen des Berufsstandes, der Politik und Gesellschaft. Wir tragen gerne dazu bei. -sp-

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