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Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

Aus dem Heft

Österreich hat seine Chancen genutzt

Lesezeit: 8 Minuten

Zu klein und nicht wettbewerbsfähig: Viele Bauern in Österreich waren vor 20 Jahren gegen den EU-Beitritt. Doch sie behaupten sich auf dem EU-Markt viel besser als erwartet.


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Die Stimmung war aufgeheizt und die Vorwürfe heftig. „Ihr verratet die Bauern, das ist das Ende der Landwirtschaft in Österreich“, kritisierten aufgebrachte Landwirte. Jakob Auer, damals Nationalrats­-Abgeordneter und heute Präsident des Bauernbundes Österreich, kann sich noch gut an die zahllosen Bauernversammlungen im Herbst 1994 erinnern. Die Österreicher hatten im Juni 1994 für einen Beitritt ihres Landes zur EU gestimmt, der dann zum 1. Januar 1995 kommen sollte.


30 % Preisdifferenz:

Die Ängste der Bauern waren verständlich. Denn mit durchschnittlich 10 Kühen bzw. 31 Schweinen waren die Viehbestände in Österreich im Vergleich zum übrigen Europa sehr klein. Und die Erzeugerpreise in Österreich lagen vor dem Beitritt um 30 % über dem in der EU.


Das höhere Preisniveau war jedoch mit einem dirigistischen Geflecht aus Marktordnungen und Beschränkungen erkauft. So hatten die Milcherzeuger wegen der bestehenden Quote nicht nur eine Mengenbeschränkung. Ihnen war auch vorgeschrieben, an welche Molkerei sie ihre Milch liefern mussten.


Für Schweinehalter und Geflügelhalter gab es bis 1994 Bestandsobergrenzen, die sie nicht überschreiten durften. So konnten die Ferkelerzeuger maximal 50 Sauen halten und die Mäster maximal 400 Mastschweine.


„Wir hatten in der Landwirtschaft bis zum Beitritt eine Art Planwirtschaft“, bringt Felix Montecuccoli, Präsident der „Land & Forst Betriebe Österreich“, die Situation auf den Punkt. Weil Österreich bis 1994 seine Inlandsmärkte weitgehend abgeschottet hatte, waren die Bauern Wettbewerb nicht gewohnt. „Der Markt war für viele Landwirte ein Schreckgespenst“, erinnert sich Anton Wagner, Obmann der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Rinderzüchter (ZAR).


Produktion wächst seit 1995:

Doch 20 Jahre nach dem Beitritt zur EU kann von einem Untergang der österreichischen Landwirtschaft keine Rede sein. Die Entwicklung liest sich vielmehr wie eine Erfolgsgeschichte. Die Produktion blieb stabil bzw. nahm sogar zu.


So erzeugten die österreichischen Schweinehalter im Vorjahr mit ihren Tieren einen Wert von 863 Mio. €, was etwa dem Wert von 1994 entspricht (siehe Übersicht 1). Das ursprüngliche Außenhandelsdefizit bei Schweinefleisch drehten die Österreicher in den letzten 20 Jahren in einen Überschuss. Auch wenn man den Lebendimport von Schlachtschweinen berücksichtigt, hat Österreich einen Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch von über 100 %.


In der Milcherzeugung legten die Österreicher noch deutlicher zu. Seit 1995 steigerten sie die Milchanlieferung an Molkereien – trotz Quote – von 2,2 auf über 2,9 Mio. t (s. Übersicht 2). Zugleich erreichte der Außenhandel mit Milchprodukten ein Rekordniveau. 2013 standen Exporte im Wert von 1,126 Mrd. € Importen von 663 Mio. € gegenüber.


Das bedeutet: Österreichs Agrarbranche hat den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gemeistert und ist auch international wettbewerbsfähig.


Erstaunlich bei alledem ist, dass der Beitritt zur EU den Strukturwandel nicht beschleunigt, sondern verlangsamt hat. Laut Professor Markus Hofreuther von der Universität für Bodenkultur Wien verließen seit 1995 im Durchschnitt pro Jahr 2,1 % der Beschäftigten den Agrarsektor, im Jahrzehnt zuvor waren es noch mehr als 3 % pro Jahr.


Geschickt verhandelt:

Was sind die Gründe für diese überraschend positive Bilanz? Wie schafft es ein Land mit so kleinen Betriebsstrukturen, erfolgreich am Markt zu agieren?


Eine Ursache war, dass Österreich bei den Beitrittsverhandlungen seine Interessen geschickt vertreten hat. Verhandlungsführer war der damalige österreichische Landwirtschaftsminister Franz Fischler, der dann von 1995 bis 2005 als Brüsseler Agrarkommissar die Agrarpolitik der EU maßgeblich geprägt hat.


Fischler konnte zwar keine Übergangsphase für den Beitritt durchsetzen. Aber dafür bekam Österreich vier Jahre degressive Ausgleichszahlungen, um den Preiseinbruch nach dem Beitritt abzufedern. Und Fischler handelte für die Milcherzeuger eine hohe Direktvermarkterquote aus, die Österreich später in Molkereiquoten umwandelte.


Zudem legte die Alpenrepublik schon im ersten Jahr der EU-Mitgliedschaft das „Österreichische Programm für ­umweltgerechte Landbewirtschaftung“ (ÖPUL) auf, das sich aus Brüsseler ­För­dergeldern für die ländliche Entwicklung speiste. Für Österreichs ­Land­wirtschaft sind das ÖPUL, die Bergbauernförderung sowie die Investi­tionsförderprogramme von existenzieller Bedeutung, weil das Land einen sehr hohen Anteil an benachteiligten Gebieten und Bergregionen hat.


Als die EU ab 2000 die Mittel für die ländliche Entwicklung von 10 auf 30 % aufstockte, hat Österreich diese Gelder vor allem zur Förderung von zusätzlichen Einkommenstandbeinen verwendet. Neben Tourismus und Direktvermarktung wurde auch die Bereitstellung von Energieholz und die regionale Wärmeversorgung forciert. Folge: Der Wert für Restholz erhöhte sich und die Holzerntemengen stiegen um 25 %.


Wertschöpfung verbessert:

Ein weiterer Hebel zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit war die Entwicklung von Herkunfts- und Qualitätsrichtlinien für Agrarprodukte, um die Wertschöpfung der heimischen Produkte zu verbessern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die 1993 gegründete Agrarmarkt Austria (AMA), die zum Beispiel das AMA-Gütesiegel entwickelt hat. Bei Schweine- und Rindfleisch hat dieses Label eine überragende Bedeutung.


Die österreichische Agrarbranche hat auch Qualitätsmarken für Acker- und Spezialkulturen entwickelt, um die Wertschöpfung im Pflanzenbau zur erhöhen. „Wir sind stark bei Kartoffeln, Zwiebeln, Frisch- und TK-Gemüse und in der Maissaatvermehrung und setzen auch bei Käse und Wein steigende Mengen zu höheren Preisen ab“, erläutert Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammerkonferenz und Abgeordneter zum Nationalrat. Schultes baut in seinem eigenen Betrieb unter anderem auch Erbsen und Spinat für einen Anbieter von Tiefkühlkost an.


16,5 % Bio-Betriebe:

Zur Verbesserung der Einkommen trägt auch der hohe Anteil der Bio-Landwirtschaft bei. Sie ist zu einem Förderscherpunkt geworden. 16,5 % aller Betriebe in Österreich wirtschaften biologisch, der Anteil der biologisch bewirtschafteten Fläche liegt sogar bei 19,7 %. Damit sind die Österreicher Spitzenreiter in der EU. Ein weiteres Premiumprodukt ist Heumilch, die bereits 11 % der Gesamt­erzeugung in Österreich einnimmt.


Eine hohe Wertschöpfung können Landwirte jedoch nur dann erzielen, wenn auch die Verarbeitungsbetriebe wettbewerbsfähig und innovativ sind. „Mit 5 Mio. Schlachtungen pro Jahr ist unsere Schlachtbranche gut aufgestellt“, betont Walter Lederhilger, Obmann des Verbandes Österreichischer Schweinebauern (VÖS). Der hohe Exportanteil zeige, dass die Unternehmen wettbewerbsfähig seien.


Als weitere Stärke der österreichischen Landwirtschaft sieht Lederhilger die bäuerlichen Erzeugerorganisationen, die untereinander eine sehr gute Zusammenarbeit pflegen. ZAR-Obmann Anton Wagner hält die Erhaltung und Stärkung dieser Infrastruktur für unerlässlich für die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Landwirtschaft. „Unsere Betriebe wirtschaften fast ausschließlich mit Familienarbeitskräften und sind auf diese Unterstützung angewiesen, wenn sie die arbeitswirtschaftlichen und produktionstechnischen Herausforderungen bestehen wollen“, so der Milchviehhalter.


Niedrige Steuerlast:

Neben der guten Infrastruktur haben die österreichischen Landwirte auch günstige politische Rahmenbedingungen. So konnten bisher viele Betriebe ihre Einkommenssteuer pauschal ermitteln lassen, was zu einer niedrigen Steuerlast führte. Zudem erhalten Bäuerinnen und Bauern in Österreich im Mittel höhere Altersrenten als zum Beispiel in Deutschland.


Allerdings bittet der österreichische Fiskus ab 2015 die Landwirte stärker zur Kasse. Denn die Steuerbehörden stellen die Einheitswerte neu fest. Zudem sinkt die Einheitswertgrenze, ab der die Landwirte ihre Einkommenssteuer „vollpauschal“ ermitteln lassen dürfen, auf 75 000 €, nachdem sie erst 2013 von 60 000 auf 100 000 € angehoben wurde.


Eine weitere Front, von der den Bauern Ungemach droht, sind die fortdauernden Debatten um den Tierschutz. Die bäuerliche Landwirtschaft hat zwar ein gutes Image in der Bevölkerung. Gleichzeitig haben aber viele Verbraucher in Sachen Tierschutz völlig überzogene Erwartungen. „Wir müssen uns der Kritik stellen, aber auch zeigen, wie Landwirtschaft tatsächlich funktioniert“, ist Bauerbund-Präsident Jakob Auer überzeugt. Am Ende brauche man für die schwierigen Themen pragmatische Lösungen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Tierhaltung nicht infrage stellen.


Das zeigt: Nicht der offene Markt ist die größte Herausforderung für Österreichs Bauern, sondern die Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Trotz dieser Schwierigkeiten bleiben die Vertreter der österreichischen Landwirtschaft optimistisch gestimmt. „Weltweit wächst die Nachfrage stärker als das Angebot. Davon profitiert auch unsere Landwirtschaft“, blickt Bauernbund-Präsident Auer nach vorn.


In Bildung investieren!

ZAR-Obmann Anton Wagner stimmt hoffnungsvoll, dass sich die jungen Landwirte in Österreich den Herausforderungen stellen. Er plädiert dafür, noch mehr in Bildung und Forschung zu investieren. So organisiert die ZAR ein Bildungs-projekt für Jungzüchter. „Wir bieten die Weiterbildung zum Jungzüchterprofi an, damit die künftigen Rinderzüchter den betrieblichen und gesellschaft-lichen Anforderungen besser gewachsen sind“, erläutert der ZAR-Geschäftsführer Franz Sturmlechner.


Zugleich fordern Sturmlechner und Wagner weitere Entwicklungsmöglichkeiten für die Betriebe: „Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Wachstum nicht behindert wird.“


Felix Montecuccoli von den Land & Forst Betrieben sieht das genauso. Er sorgt sich, dass die hohen Auflagen, etwa bei Maschinenzulassungen oder beim Arbeitnehmerschutz, die Wettbewerbsfähigkeit wieder einschränken. „Wenn Österreich den Anschluss nicht verlieren will, dann müssen wir weiter in Produktionstechnik und Vermarktung investieren“, so Montecuccoli.


Mehr Investitionen fordert auch Franz Fischler, der Österreichs Bauern damals erfolgreich in die EU geführt hat: „Die Regierung sollte die Investitionsförderung für die Betriebe, die im Vollerwerb sind und dies auch bleiben wollen, besser gestalten, als dies derzeit vorgesehen ist.“ Klaus Dorsch

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