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Kenia

So macht man Milch in Kenia

Kenias Kleinbauern kämpfen mit Hygieneproblemen, schlechter Infrastruktur und der Macht großer Molkereien. Dennoch decken sie fast die gesamte Nachfrage.

Lesezeit: 7 Minuten

Auf dem Hochplateau von Kinangop mitten in Kenia ist es kurz vor Mittag. Hier, ganz in der Nähe des Äquators, klettert das Thermometer heute auf fast 30 Grad. Am Straßenrand stehen Milchkannen in der Hitze. Die Eigentümer sitzen daneben im Gras. Sie warten auf den Eselskarren, der die Kannen abholt. Um die Kühlung der Milch machen sie sich offensichtlich keine Sorgen. „Die Kannen stehen doch im Schatten“, spielen sie das Problem herunter. Auch im weiteren Straßenverlauf warten Milchkannen auf ihre Abholung. Ob im Schatten oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

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Dass Kenias Kleinbauern ihre Milch nicht kühlen können, hat Konsequenzen für die Hygiene. Bei Proben wurden in 52 % der Milch gefährliche Bakterien wie beispielsweise E. coli gefunden. Die Kenianer interessiert das aber herzlich wenig: Einen Viertel Liter Milch trinkt jeder von ihnen täglich nach Angaben der FAO. Nur ein verschwindend geringer Teil dieser Milch wird vorher pasteurisiert und homogenisiert (siehe Übersicht auf Seite 22).

Seit die Kenianer immer mehr Eselskarren durch Motorräder ersetzen, wird die Milch zumindest nicht mehr so lange durch die pralle Sonne transportiert. Viel zuverlässiger ist der Transport dadurch aber nicht geworden. Kleinbauer Simon Kamau vom Kinangop-Plateau weiß davon ein Lied zu singen: „Oft wird unsere Milch nicht pünktlich abgeholt, weil das Motorrad mal wieder auf der rauen Piste kaputtgegangen ist“, berichtet er. Er melkt drei Kühe und ist damit ein typischer kenianischer Kleinbauer. Die fast zwei Millionen Milchviehhalter in Kenia haben im Schnitt ebenfalls drei Kühe und melken rund 1 500 kg pro Tier und Jahr. Aus solchen kleinbäuerlichen Strukturen stammen rund 80 % der Milchproduktion von 3,5 Mio. Tonnen jährlich. Nur rund 5 000 Betriebe halten mehr als 15 Milchkühe und zählen damit nicht mehr als Kleinbauern.

Preiskampf auf dem Land:

Kamau sagt, was die kenianischen Bauern genauso bewegt wie ihre Kollegen in aller Welt: der Milchpreis. Und da gebe es in Kenia große Unterschiede, erläutert er: Während die Landwirte im Dunstkreis der Hauptstadt Nairobi bis zu 60 kenianische Schillinge (KES, entspricht 49 Eurocent) pro Liter Milch einnehmen, seien es in ländlichen Regionen wie hier oft nur 34 KES (28 Eurocent). Das liege vor allem an der mangelnden Nachfrage auf dem Land: „Wo es keine Supermärkte und Restaurants gibt, können wir Bauern einfach weniger verkaufen“, begründet Kamau.

Aber auch die Bauern in entlegeneren Regionen müssen die niedrigen Milchpreise nicht einfach hinnehmen. Viele tun sich in Kooperativen zusammen. In den Kooperativen bündeln die Bauern ihre kleinen Milchmengen, haben so eine bessere Verhandlungsposition und erzielen höhere Preise. Mehrere tausend Bauern sind allein auf dem Kinangop-Plateau in einer Handvoll örtlicher Kooperativen organisiert.

Immer mehr spüren sie allerdings auch die Marktmacht ihrer Abnehmer. Die Kooperativen vom Kinangop Plateau verkaufen viel Milch an Brookside Dairy, die größte Molkerei im Land. Brookside Dairy hat in den letzten Jahren viele Konkurrenten aufgekauft und so seine Vorherrschaft auf dem Milchmarkt stark ausgebaut. Der Molkerei-Riese profitiert dabei sicher auch von seiner engen Verflochtenheit mit der Politik: Muhoho Kenyatta, der Bruder des amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta, steht dem mächtigen Milchkonzern vor. Weit mehr als die Hälfte der verarbeiteten Milch im Land stammt aus der Molkerei des Präsidentenbruders. Geht es um die Milchabnahme von den Produzenten, liegt der Anteil offenbar nochmal weitaus höher. Längst geht in der Branche die Sorge um, dass das Unternehmen bald die Milchpreise im Land diktieren wird.

Großfarmer ohne Marktmacht:

Auch Oliver Nightingale ist vom Molkerei-­Riesen Brookside Dairy abhängig. Er ist einer der wenigen Großfarmer in Ke­-nia. Zweimal täglich schickt Brookside Dairy einen Kühltank-Lastzug auf seine Farm, die rund 150 km nordwestlich von der Hauptstadt Nairobi liegt.

Wie in Kenia üblich grasen Nightingales 150 Holsteinrinder ganzjährig auf der Weide. „Die beste Kuh gibt bei uns 9 000 Liter Milch im Jahr. Für die gesamte Herde liegt der Durchschnitt bei 7 700 Litern“, schildert der 42-jährige Vater zweier Töchter.

Von dem 324 Hektar großen Farmland werden 121 Hektar als Weidefläche und 40 Hektar für den Maisanbau genutzt. Denn Maissilage produziert Nightingale selbst. Diese wird im Futtermischwagen täglich zu den Futterständen auf der Weide ausgebracht, an denen sich dann jeweils bis zu 20 Kühe drängen. Dazu gibt es ein Kraftfuttergemisch aus Ölsaaten. Die Zufütterungsmengen richten sich danach, ob die betreffenden Kühe zur Hochleistungsgruppe oder in die Gruppe mit weniger Milchleistung gehören. 130 Kühe melkt Nigthingale aktuell. Zwei Stunden dauert ein Melkdurchgang. Um drei Uhr in der Früh geht es los, da die erste Abholung schon um sechs Uhr erfolgt. Am Nachmittag startet der Betrieb im zweireihigen Fisch?gräten-Melkstand ebenfalls um drei. Zu dritt arbeiten sie hier. Ein Arbeiter holt die Kühe rein und treibt sie nach dem Melken wieder hinaus. Zwei bedienen die acht Melkgeschirre und notieren die Milchmengen.

Von den Messbehältern aus fließt die gemolkene Milch in den 2 500 Liter großen Kühltank im Raum nebenan und wird dort auf zweieinhalb Grad heruntergekühlt. Von hier aus wird sie um sechs Uhr in den Kühltank-Lastzug von Brookside gepumpt, der sie in ein nahes Werk der Molkerei zum weiteren Kühlen und Reinigen transportiert.

Von dort geht es mit der Milch zur Weiterverarbeitung in die Hauptstadt, bis sie schließlich als Trinkmilch oder Joghurt im Kühlregal eines großen Supermarktes landet. Das Joghurtangebot braucht sich hinter Europa nicht zu verstecken, auch wenn hinter den meisten Marken Brookside steht. Großfarmer Nightingale weiß um die marktbeherrschende Stellung der Molkerei. „Auf der Produzentenseite haben sie ein Abnehmermonopol und auf der Verbraucherseite haben sie ein riesiges Werbebudget“, so Nightingale. Und so konnte er sich nicht wehren, als ihm Brookside in den letzten Jahren das Milchgeld zusammenkürzte. Es hatte so viel geregnet, dass die Trockenzeit praktisch ausfiel und die Kleinbauern ganzjährig produzieren konnten. Daraufhin strich Brookside einen Aufschlag, den Nightingale für die zuverlässige Milchlieferung an 365 Tagen im Jahr erhalten hatte. Diesen Einnahmeausfall konnte er zwar durch die höhere Nachfrage nach seinem begehrten Zuchtvieh etwas auffangen. Aber dennoch wurde er sich durch den Vorfall seiner Abhängigkeit von Brookside schmerzlich bewusst.

Expertentipps per SMS:

Im Unterschied zu Nightingale ist Kleinbauer Kamau einer von denen, die von dem vielen Regen profitiert haben. Von den Milchleistungen auf Nightingales Farm sind seine Kühe aber immer noch weit entfernt. Deswegen lässt er sich dreimal pro Woche Zucht- und Fütterungstipps vom Infodienst „icow“ per SMS aufs Handy schicken.

Diesen speziellen Nachrichtendienst hat die Biobäuerin Su Kahumbu 2010 aus der Taufe gehoben. Denn aus ei­gener Erfahrung weiß sie, wie wichtig die richtigen Informationen sind, um Fruchtbarkeit und Milchleistung der Herde zu steigern. „Ich will die Kleinbauern ausbilden, weil deren Kühe meist weit unter ihrem Potenzial bleiben“, beschreibt sie ihr Anliegen. Mit dem Wissen von icow könnten die Bauern die Milchleistung um bis zu 915 Liter pro Jahr steigern, sodass ihre Kühe zumindest ein Drittel der Leistung von Nightingales Milchvieh erreichen.

Neben den Zucht- und Fütterungs­tipps besteht icow aus einem Tierarztfinder sowie einem Brunftkalender. Für diesen können Milchbauern ihre Kühe mit Namen und Angabe der letzten Besamung registrieren. Ebenso können sie Färsen und Kälber anmelden, um SMS-Nachrichten zu bekommen, wie diese zu füttern sind und welche tierärztlichen Untersuchungen und Impfungen anstehen.

Die Züchtungstipps sind inzwischen auf ein Wissenskompendium mit 77 Kapiteln angewachsen, mit dem Su Ka­humbu Nutzern wie Simon Kamau unter die Arme greift. 3 KES (2 Eurocent) bezahlt Kamau für jede SMS. Er findet sie so hilfreich, dass er sie sogar in ein Buch niederschreibt, um bei Bedarf nachschlagen zu können.

Das Handy ist in Kenia in den letzten Jahren bis in die letzte Hütte vorgedrungen. Für die icow-Erfinderin Ka­humbu ist es deswegen das Mittel der Wahl, um ihr Know-how auf dem Land zu verbreiten. Mit dem führenden Mobilfunkunternehmen Safaricom hat sie im letzten Jahr eine Partnerschaft geschlossen. Safaricom nutzen über 23 Mio. der insgesamt 43 Mio. Kenianer.

Was Kahumbu mit ihrem SMS-Infodienst vorerst jedoch nicht lösen kann, ist das Problem der Kühlung. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so dringend, denn die Verbraucher trinken die Milch trotz aller Hygiene-Mängel. In den Läden abseits der Großstädte stehen Milch und Joghurt meist ungekühlt neben Chips und Deorollern im Regal. Abschrecken lässt sich davon niemand. So heiß kann es wohl selbst am Äquator nicht werden.

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