Die massiven Proteste der Tierärzte und der Landwirte gegen die praxisferne 11. Novelle zum Arzneimittelgesetz zeigen Wirkung. Der Bundesrat und der Ernährungsausschuss des Bundestages plädieren für eine Korrektur. Ob aber Ministerin Künast tatsächlich mitzieht, war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch völlig offen. Obwohl die 11. Novelle des Arzneimittelgesetzes erst seit November letzten Jahres in Kraft trat, ist eine Überarbeitung bitter nötig, denn die neuen Vorschriften sind völlig überzogen und kontraproduktiv. Zielstellung des Gesetzes war eine Verbesserung von Verbraucherschutz und Tiergesundheit. Zu viel Bürokratie und Fahrerei Genau das Gegenteil wurde erreicht: ? Die Tierbehandlung ist umständlich und kostspieliger geworden. In einigen Fällen ist ein schnelles Eingreifen nicht möglich und die Tiere müssen unnötig leiden. ? Der bürokratische Aufwand für die Landwirte und Tierarztpraxen hat dramatisch zugenommen. Die Tierärzte haben weniger Zeit für die Bestandsbetreuung. ? Auch wenn es dafür keine Beweise gibt: Überzogene und nicht einzuhaltende Regelungen provozieren Gesetzesverstöße. Wenn die Umsetzung nicht praktikabel ist, bleibt der Verbraucherschutz auf der Strecke. Kritik kommt inzwischen auch aus den Reihen der Wissenschaftler. So ermittelten Prof. Dr. Thomas Blaha (Hannover) und Prof. Dr. Harald Grygo (Osnabrück) in einer Zeitstudie, dass bei den gegenwärtigen Strukturen durchschnittlich 30 % mehr Tierärzte nötig sind, um das geltende Recht umzusetzen. Diese Fachtierärzte stehen aber auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung! Bei der Auswertung der Studie fällt auf, dass mit sinkender Bestandsgröße der zeitliche Mehraufwand zunimmt. Daraus leitet Prof. Dr. Blaha ab, dass die Betreuung kleinerer Bestände durch das neue Tierarzneimittelgesetz akut gefährdet ist. Ein weiteres Ziel der 11. Novelle des Arzneimittelgesetzes war die Verringerung des Antibiotikaeinsatzes. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Nord-Westdeutschland (ISN) und der Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion (ZDS) geben aber zu bedenken: Eine Verringerung des Arzneimitteleinsatzes kann nur durch vorbeugende Maßnahmen zur Sicherung der Tiergesundheit erreicht werden. Wenn aber die Tierärzte durch das geltende Recht viel Zeit auf der Straße zubringen müssen, haben sie zu wenig Zeit für Bestandsbetreuung und Beratung. 7-Tage-Regelung: Das Hauptproblem Das Hauptproblem ist die 7-Tage-Regelung. Sie besagt, dass ein Tierarzt verschreibungspflichtige Medikamente mit Wartezeit nur für maximal 7 Tage abgeben darf. Ausnahme: Wenn ein Tierbestand monatlich vom Tierarzt begutachtet wird, dürfen nur bestimmte Medikamente für 31 Tage abgegeben werden. Diese Abgabefristen führen in der Praxis zu vielen Problemen: ? Wesentlich mehr und zum Teil unnötige Tierarztbesuche (Tierarzttourismus); ? zusätzliche Kosten für die Landwirte; ? Arbeitsüberlastung der Tierärzte; ? unvermeidbare Gesetzesverstöße, da dort, wo viele kleine Betriebe betreut werden, die Zeit für die Einhaltung der 7-Tage-Regelung nicht reicht; ? Bestandsbetreuung leidet; ? Restmengen von Medikamenten auf den landwirtschaftlichen Betrieben, die neu verschrieben oder vernichtet werden müssen; ? steigende Gefahr der Verschleppung von Tierkrankheiten und Seuchen durch unnötige Tierarztbesuche unter Zeitdruck; ? sinkende Motivation bei Tierärzten und Landwirten. Prof. Dr. Blaha gibt zu bedenken, dass die 7-Tage-Regelung ihren Ursprung in der Behandlung von Einzeltieren hat. Bei der Behandlung eines Bestandsproblems kann es aber sein, dass das letzte Tier einer Tiergruppe noch nicht infiziert ist, wenn das erste bereits erkrankt ist. Daher sind längere Behandlungsfristen für Bestandsbehandlungen unverzichtbar. Ein tierärztlicher Besuch innerhalb dieser begründbar verlängerten Behandlungsfrist ist weder für die Tiergesundheit noch für den Verbraucherschutz erforderlich. Ein konkretes Beispiel aus der Praxis: In einem Schweinebestand diagnostiziert der Tierarzt die Schnüffelkrankheit. Er leitet sofort ein Impfprogramm ein. Bis die Herdenimmunität aufgebaut ist, sollen die Ferkel für einige Wochen zusätzlich am 1. und am 8. Lebenstag antibiotisch behandelt werden. Das bedeutet im Klartext, dass der Tierarzt laut Gesetz alle sieben Tage auf den Betrieb fahren müsste, bis die Impfung greift, um den Bestand zu begutachten, zu behandeln und Medikamente abzugeben. Ein medizinischer Erkenntnisgewinn ist nicht vorhanden, da die Diagnose eindeutig ist und die Behandlung sich auch nach dem 7. Tag auf diese Diagnose bezieht. Für diese Probleme werden in Verbindung mit einer geregelten Bestandsbetreuung verschiedene Lösungsansätze diskutiert: ? Verlängerung der Abgabefrist auf 31 Tage; ? Begrenzung der Medikamentabgabe auf das Intervall der Bestandsbesuche; ? keine zeitliche Befristung. Fachleute kommen zu folgender Bewertung der Vorschläge: Eine 31-Tage Regelung dürfte bei den meisten Milchviehund Sauenbetrieben umsetzbar sein, obwohl es sich um eine willkürliche Frist ohne Bezug zum tatsächlichen Bedarf handelt. Überzogen ist eine solche Regelung allerdings beispielsweise bei Bullenmästern und Schweinemästern, die im Rein-Raus-System arbeiten. Ähnliches gilt für die Anbindung der Arzneimittelabgabe an das Bestandsbetreuungsintervall. Angesichts der Vielfalt der Tierhaltung in Deutschland dürfte es schwierig sein, ein für alle Betriebe angemessenes Betreuungsintervall zu finden. Daher ist es sinnvoll, dass bei der Abgabe von Arzneimitteln nicht eine zeitliche Begrenzung, sondern die medizinische Notwendigkeit im Vordergrund steht. Der Tierarzt sollte bei einer Bestandsbetreuung Medikamente in dem Umfang abgeben können, den er persönlich für erforderlich hält, ohne an Fristen gebunden zu sein. Bestandsbetreuung die Lösung? Sowohl bei den Interessenvertretern der Landwirtschaft und der Tierärzte als auch im Bundesrat und bei sämtlichen im Ernährungsausschuss des Bundestages vertretenen Fraktionen herrscht eine übereinstimmende Überzeugung: Die 7-Tage-Regelung sollte aufgehoben werden und stattdessen die tierärztliche Bestandsbetreuung einen höheren Stellenwert bekommen. Die Meinungen darüber, wie diese Bestandsbetreuung genau aussehen soll, sind aber nicht einheitlich und vielfach nicht präzise. Unklar ist unter anderem die Länge des Betreuungsintervalls und die Dokumentierung. Zum Betreuungsintervall: Der Bundesrat stimmte am 11. Juli 2003 mit breiter Mehrheit einem Entschließungsantrag Bayerns zu. Er beinhaltet folgende Eckpunkte: Eine Abweichung von der 7-TageFrist soll möglich sein, wenn ein verantwortlicher Tierarzt einen Bestand in regelmäßigen Abständen betreut. Die Intervalle für die Begutachtung sollen dabei in Abhängigkeit von Tierart und Produktionsrichtung festgelegt werden. Allerdings ist manches noch nicht bis ins Detail ausformuliert. Bei der Festlegung der Betreuungsintervalle und der Form der Betreuung sollten konkret folgende Punkte berücksichtigt werden: ? Betriebszweig (Sauen, Mastschweine...); ? Produktionsrhythmus (z. B. Rein-Raus-Verfahren, kontinuierliche Belegung); ? Herdengröße; ? Intensität (beispielsweise Milch- oder Mutterkühe); ? Ort der Tierhaltung (z. B. Almen, Inseln); ? Größe der Tierarztpraxis (z. B. Gemeinschaftspraxis); ? Vertretung des Tierarztes; ? Hinzuziehen von Fachtierärzten. Zur Dokumentation der Bestandsbetreuung: Die bayerische Initiative sieht bisher vor, dass das Ergebnis der Begutachtung durch den Tierarzt und die Arzneimittelanwendung durch den Tierhalter dokumentiert wird. Der Arzneimittelanwendung liegt ein schriftlich erstellter Behandlungsplan zugrunde. Sämtliche vorgesehenen Dokumentationspflichten sollen dabei wenn möglich in bereits bestehende rechtliche Verpflichtungen zur Dokumentation eingearbeitet werden. Die ISN und der ZDS fordern eine Dokumentation aller Maßnahmen, um sie gegebenenfalls nachweisen und um den Erfolg kontrollieren zu können. Bei dieser Dokumentation soll aber nur ein Mindestmaß festgeschrieben werden. Es besteht auch bei dieser Novelle die Gefahr, dass der Gesetzgeber wieder einmal kleine Betriebe übermäßig belastet. Eine formlose Notiz des Tierarztes mit Datum und Angabe der Behandlungen und sonstigen Beobachtungen und Empfehlungen sollte für ein Behandlungsprotokoll vollkommen ausreichen. Auch ein Betreuungsvertrag kann sehr einfach gestaltet sein. Notfall: Tierschutz in Gefahr Es gibt aber noch weitere dringend zu lösende Probleme. So dürfen nach geltendem Recht auch für Notfälle keine Arzneimittel auf dem Betrieb bereit gehalten werden. Notfälle erzwingen ein sehr schnelles Handeln, aber der Tierarzt kann nicht immer so schnell kommen. Das Leiden der Tiere wird verlängert und es kommt möglicherweise zu unnötigen Qualen oder gar Todesfällen. Ein Beispiel: Es tritt ein Notfall ein (z.B. MMA bei einer Sau, Saugferkeldurchfall, Coli-Mastitis bei einer Milchkuh) und der Tierarzt ist nicht erreichbar. Der erfahrene Landwirt kennt das Krankheitsbild bereits und weiß, wie es zu behandeln ist. Obwohl er noch eine Restmenge des geeigneten Arzneimittels im Kühlschrank hat, darf er es aber ohne erneute tierärztliche Verschreibung nicht einsetzen. Für den Landwirt entsteht so ein Gewissenskonflikt: Hilft er dem Tier und setzt ohne tierärztliche Diagnose das Medikament ein, verstößt er gegen das Tierarzneimittelrecht. Unterlässt er die Behandlung, verstößt er gegen den Tierschutz. Da diese Situation nicht befriedigend ist, fordern Praktiker, dass sie zumindest für den Notfall legale Möglichkeiten erhalten, die Gesundheit und unter Umständen auch das Leben der Tiere zu retten. Des Weiteren ist es für Praktiker nicht nachvollziehbar, warum Medikamente für Routinemaßnahmen (z. B. Trockenstellen von Kühen) nur zeitlich begrenzt abgegeben werden dürfen. Tierärzte: Drastische Einschränkungen Für Tierärzte wird durch die Novelle des Arzneimittelrechts die Ausübung ihres Berufs auf verschiedene Weise erschwert und die Möglichkeiten, Krankheiten sehr gezielt zu behandeln reduziert: ? Einschränkungen beim Umfüllen und Abpacken, Verdünnen und Mischen bzw. Herstellen von Arzneimitteln; ? Verbot des Bezugs von Rohstoffen; ? Erschwerung der Umwidmung von Arzneimitteln über EU-Niveau hinaus; ? im Vergleich zur EU verschärfte Auflagen bei der Herstellung von homöophatischen Mitteln. Die gravierendste Folge daraus sind die Therapieengpässe. Zu den Erschwernissen des Arzneimittelrechts kam ab dem 30. Juni dieses Jahres hinzu, dass viele Arzneimittel nicht mehr zugelassen sind. Bei gut 700 Medikamenten ist die Zulassung erloschen, fast 300 Wirkstoffe sind vom Markt verschwunden. Trotz des Einsatzes von Alternativmedikamenten kommt es zu Therapieengpässen und Therapielücken. Einige wenige Beispiele aus der Praxis: ? Es gibt kein für Milchkühe zugelassenes Mittel zur Bekämpfung des Leberegels. ? Die Schwarzkopfkrankheit der Puten ist derzeit nicht therapierbar, weil keine Mittel zur Behandlung mehr zur Verfügung stehen. ? Bei weniger verbreiteten Tierarten (z. B. Enten, Ziegen und Schafe) gibt es starke Engpässe in Bezug auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Der Deutsche Tierärztetag im April 2003 forderte eine schnellstmögliche Änderung des Arzneimittelrechts, insbesondere der 11. Novelle des Arzneimittelgesetzes. Fütterungsarzneimittel: Bald nicht mehr erhältlich? Das nächste große Problem ist die Versorgung mit Fütterungsarzneimitteln. Hierunter wird eine Mischung eines normalen Futters mit einer Arzneimittelvormischung verstanden. Durch die 11. Novelle des Arzneimittelrechts ist eine Umsetzung von EU-Vorgaben erfolgt. Damit wurden die Anforderungen an die Hersteller von Fütterungsarzneimitteln verschärft. Dem Tierarzt ist es verboten worden, Arzneimittelvormischungen an Landwirte weiterzugeben. Er darf aber weiterhin Fertigarzneimittel zur oralen Verabreichung abgeben. Dabei ist die Behandlung von Tiergruppen eine effektive Methode, durch die weniger Stress für Menschen und Tiere als bei einer Einzelbehandlung entsteht. Es gibt beispielsweise bei der Einstallung der Ferkel keine sinnvollen Alternativen zum Einsatz von Fütterungsarzneimitteln bei der Behandlung gegen Durchfall oder Parasiten. Wenn ein Betrieb von einem Hersteller ein Fütterungsarzneimittel kauft, das aus anderen Futterkomponenten als die bisherige Mischung besteht, führt das dazu, dass die durch Krankheit gestressten Tiere zusätzlich mit einer Futterumstellung fertig werden müssen. Außerdem ist das Fütterungsarzneimittel nicht immer so schnell verfügbar, wie es gebraucht würde. Branchenkenner rechnen zudem damit, dass ab dem 1. September 2004 (Ende einer Übergangsfrist) im Schweinesektor ernsthafte Probleme entstehen, da die meisten Hersteller von Fütterungsarzneimitteln dann nicht mehr zugelassen sein werden. Daher fordern sie, dass der Einsatz von Fütterungsarzneimitteln praktikabel gestaltet wird. Auf keinen Fall dürfen die Anforderungen über das EURecht hinausgehen. Fazit Das Ziel der 11. Novelle des Arzneimittelgesetzes ist die Verbesserung der Tiergesundheit und des Verbraucherschutzes und eine Verringerung des Arzneimitteleinsatzes. Obwohl das Gesetz noch kein Jahr alt ist, steht bereits fest, dass diese Ziele nicht erreicht werden. Schlimmer noch: Statt eines verbesserten Verbraucherschutzes bewirkt das Gesetz eine Beeinträchtigung des Tierschutzes! Eine Korrektur ist dringend erforderlich! Daher der Appell an Landwirte und Tierärzte: Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Bundestags- und Landtagsabgeordneten, damit Ihre Anliegen bei der Überarbeitung des Gesetzes berücksichtigt werden. A. E. Ballheimer
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