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Wolf Maisernte Gülle und Wirtschaftsdünger

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Tierhalter wehren sich gegen überzogene Vorschriften

Lesezeit: 7 Minuten

E s gibt hier Betriebsleiter, die sind 35 und wissen nicht mehr was sie machen sollen, beschreibt Dr. Günter Kuhnt von der Landwirtschaftskammer Weser-Ems die äußerst schwierige Situation vieler landwirtschaftlicher Familienbetriebe im Landkreis Cloppenburg. Denn durch das im Sommer diesen Jahres verabschiedete Artikelgesetz fallen viele Betriebe unter die strengen Vorschriften des Bundesim-missionsschutzgesetzes (BImSch) und werden dadurch Industrieanlagen gleich-gesetzt. In diesen Betrieben muss jede Erwei-terung, aber auch jeder Umbau von Stall-gebäuden in Zukunft immissionsschutz-rechtlich genehmigt (BImSch-Verfahren) und auf Umweltverträglichkeit (UVP) überprüft werden. Bei Kosten von bis zu 50 000 DM werden nur noch größere Be-triebe im Geschäft bleiben. Der Struktur-wandel, so befürchten viele Experten, wird in diesen Regionen ungeahnte Aus-maße erreichen. Damit ist in Deutschland eine weitere Falle der Zwangs-Agrarwende zuge-schnappt. Bei der Verabschiedung des Ar-tikelgesetzes im Sommer diesen Jahres hat der Deutsche Bundestag mit dem Ver-weis auf BSE die Grenzwerte für die im-missionsrechtliche Genehmigung kurzer-hand verschärft. Die Grenzwerte (siehe Übersichten 1 und 2) gehen weit über die EU-Verordnung hinaus und betreffen: flächenknappe Betriebe (über 2 GV pro ha) ab 50 Großvieheinheiten (GV); alle übrigen Betriebe z. B. ab 250 Rin-dern, 1 500 Mastschweinen, 560 Sauen oder 15 000 Legehennen. BImSch-Pflicht schon ab 50 GV und 2 GV/ha Die Herabsetzung der Grenzwerte für größere Betriebe und die Einbeziehung von Rindviehställen sind an sich schon ei-ne unnötige Verschärfung der EU-Richt-linien. Der Sturm der Entrüstung entzün-det sich aber an der Besatzdichteregelung, nach der flächenarme Betriebe mit mehr als 2 GV/ha schon ab 50 GV der im-missionsrechtlichen Prüfung unterliegen. Dies ist ein deutscher Alleingang, der be-sonders kleineren und mittleren Betrie-ben das Wirtschaften erschwert, wobei ge-rade diese Betriebe durch die neue Agrar-politik aus dem Hause Künast gestärkt werden sollten. Mit Umweltschutz ist die Besatzdichte-regelung nicht zu begründen, denn die be-fürchtete Belastung der Umgebung durch einen Viehstall hat nichts mit der Flä-chenausstattung des Betriebes zu tun. Erst recht, wenn ein flächenknapper Be-trieb im Allgäu mit 35 Kühen und Nach-zucht einer chemischen Fabrik gleichge-stellt wird. Welche Immissionsschutzprob-leme soll ein solcher Betrieb denn bitte verursachen?, fragt sich Rudolf Fietz vom Bayerischen Bauernverband (BBV). Seine Schlussfolgerung: Offenbar geht es nur darum, die Daumenschrauben anzu-ziehen, und alles, was nicht öko ist, ab-zustrafen. Zu spüren bekommen viele Betriebe diese Daumenschrauben schon jetzt. Viehhalter, die die erwähnten Grenzwer-te überschreiten, sind verpflichtet, dies der zuständigen Behörde anzuzeigen. An-schließend werden sie aufgefordert, An-gaben zum Umfang der Tierhaltung, der Flächenausstattung und den genutzten Gebäuden (inklusive Baugenehmigung) zu machen. Die Tücke mit der Meldepflicht Allerdings haben manche Betriebe in der Vergangenheit Gebäude- oder Ge-bäudeteile umgenutzt bzw. erweitert, oh-ne dass ihnen klar war, dafür eine Bauge-nehmigung zu benötigen. Im Zuge der Meldepflicht könnte dies auffallen. Bei ei-ner nachträglichen Genehmigung kommt aber nicht nur das Baurecht, sondern das Immissionsschutzrecht (BImSch und UVP) zum Tragen. Das bedeutet, dass die ge-samte Anlage, also auch die schon geneh-migten Gebäude des Betriebes, auf den Prüfstand kommen. Der Anzeigepflicht deshalb nicht nachzukommen, ist aber auch nicht ohne Risiko. Die Behörde kann dies als Ordnungswidrigkeit ahnden (Geldbuße bis zu 20 000 DM) oder sogar die Nutzung einer solchen Anlage straf-rechtlich verfolgen. DBV: Grenzwerte müssen korrigiert werden! Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat die Bundesregierung aufgefordert, das Artikelgesetz wieder auf den Verhand-lungstisch zu legen. Gefordert wird vor al-lem die Änderung der Grenzwerte. Ob die Regierung Schröder dazu bereit ist, bleibt allerdings offen. Um so wichtiger ist es, dass die Behörden das Artikelgesetz mög-lichst praxisnah und für landwirtschaftli-che Betriebe praktikabel umsetzen. Im Süden Deutschlands haben die Ver-antwortlichen die Probleme anscheinend erkannt. In Baden-Württemberg wären ursprünglich rund 1 500 bis 2 000 Betriebe betroffen gewesen, schätzen Experten. Besonders in den viehdichten Regionen in Hohenloe und im Allgäu fallen viele Betriebe unter die Besatzdichteregelung. Das dortige Umweltministerium hat aber klar gestellt, dass Dungabnahmeflächen bei der Besatzdichteberechnung berück-sichtigt werden. Dadurch wird sich die Anzahl betroffener Betriebe auf wenige hundert reduzieren. Auch in Bayern werden Dungabnah-meflächen anerkannt. Hinzu kommt, dass man bei der Berechnung der Besatzdich-te bei 2,44 GV noch auf 2 GV abrundet. Eine Vorgehensweise, durch die ein Großteil der intensiven Rindviehhalter von der Immissionsregelung verschont bleibt. Außerdem wurden die Umweltäm-ter anscheinend angewiesen, keine Geld-bußen zu verhängen, wenn Betriebe der Meldepflicht nicht rechtzeitig nachkom-men. In Regionen mit wenig intensiver Vieh-haltung sieht man die Meldepflicht etwas gelassener. In Schleswig-Holstein gehen Experten davon aus, dass mancher be-troffene Landwirte die Anzeigepflicht noch gar nicht registriert hat. Die Grenze von 50 GV und 2 GV/ha greift sowieso nur bei wenigen Betrieben. Eher sind es die Schwellenwerte für größere Stallungen, und da werden in Zukunft sicherlich viele versuchen, bei Neubauvorhaben drunter zu bleiben. In den neuen Bundesländern sind die meisten Schweine- und Geflügel-halter ohnehin BImSch-pflichtig. Neu sind diese Regelungen aber für Rinderhalter. Anders sieht es in den Landkreisen Vechta und Cloppenburg aus. Die meis-ten Betriebe haben hier über 50 GV und mehr als 2 GV/ha. Hier zeigt sich jetzt schon eine geänderte Betriebsstrategie, erläutert Berater Frank Bergmann. Klei-nere Bauabschnitte werden in Zukunft aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht mehr vorgenommen, da die An-tragskosten pro Platz viel zu hoch sind. Gebaut wird nur noch in großen Schritten. Einige Betriebe überlegen sogar, jetzt Bauanträge für 2 000 bis 4 000 Schweine-mastplätze zu stellen. Sie wollen sich da-mit den Standort sichern! Die Viehhaltung hat in der Region We-serEms eine hohe wirtschaftliche Bedeu-tung. Das ist den Kommunen bewusst, und so zeigen sie sich auch deutlich ko-operativer als in anderen Regionen der Republik. Folglich setzen Bauern und das Landvolk auf den Dialog vor Ort. Bauern in NRW boykottieren Meldepflicht! Anders sieht es in Nordrhein-Westfa-len aus. Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn hat schon in den vergangenen Jah-ren einigen Unmut bei den Landwirten hervorgerufen. Doch seit ihre Konkur-rentin Renate Künast das Bundesminis-terium übernommen hat, versucht sich die Düsseldorfer Ressortchefin auf dem Rü-cken der Landwirte als die grünere Landwirtschaftsministerin zu profilieren. Besonders die Veredlungsbetriebe sind seit Monaten der Angriffspunkt Höhnscher Politik. Der im Sommer be-schlossene Erlass zur Schweinehaltung schreibt z. B. für Neubauten in NRW eine weiche Liegefläche (Gummimatte oder 5 cm dicke Stroheinstreu) und eine Min-destbetreuungszeit von 20 Sekunden pro Tier und Tag vor. Außerdem können landwirtschaftliche Betriebe in NRW nur noch im Außenbe-reich bauen, wenn 50 % des Futters aus dem eigenen Betrieb kommen. Entspre-chende Futterflächen, Lager- und Verar-beitungskapazitäten müssen nachgewie-sen werden. Sonst fällt das Bauvorhaben nicht mehr unter die landwirtschaftliche Privilegierung, und es bleibt die gewerbli-che Tierhaltung als einziger Ausweg. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass die jüngst in Kraft getretene Ver-schärfung der Immissionsschutzrichtlinie westfälisch-lippische und rheinische Bau-ern auf die Barrikaden treibt. Rund 10 000 Veredlungsbetriebe werden allein in Nordrhein-Westfalen neu BImSch-pflich-tig, der Großteil durch die Besatzdichte-regelung (2 GV/ha). Der Westfälisch-Lippische Landwirt-schaftverband (WLV) hat seine Mitglie-der zum Boykott aufgerufen. Sie sollen die Meldepflicht zunächst verweigern. Mit Briefen an Ministerpräsident Clement will man außerdem die gesamte Landesregie-rung in die Pflicht nehmen, um der per-manenten Gängelung der Landwirtschaft einen Riegel vorzuschieben. Weitere Verschärfung auch außerhalb NRWs möglich Viehhalter in den anderen Bundeslän-dern sollten sich aber nicht in falscher Si-cherheit wiegen. Die Bestrebungen, eine stärkere Flächenbindung der Tierhaltung mit massivem politischen Druck durchzu-setzen, sind nicht alleine auf Nordrhein-Westfalen beschränkt. Der strikten Ausle-gung der betriebseigenen Futtergrundlage (50 %) wollen offenbar auch andere Län-der, z. B. Niedersachsen, folgen. Hinzu kommt die Ergänzung der bun-desweit geltenden Nutztierhaltungsverord-nung um den Bereich Schweinehaltung. An den Entwürfen wird schon gearbeitet. Soll-te es dabei nicht gelingen, praxisferne Ver-schärfungen bundesweit zu verhindern, wird es für alle Veredlungsbetriebe eng. Mehr Sachverstand notwendig! Eines ist klar: Die Verschärfung der Grenzwerte für eine immissionschutz-rechtliche Genehmigung von Viehställen ist sachlich nicht zu begründen. Es geht ein weiteres Mal darum, den Landwirten die Daumenschrauben anzulegen. Betrof-fen sind davon aber besonders kleine und mittlere bäuerliche Betriebe. Gerade die Betriebe also, die die Politik angeblich stärker unterstützen wolle. Es wird Zeit, dass sich die Verantwort-lichen in der Regierung und im Bundestag über die Konsequenzen ihrer Politik klar werden. Eine Kurskorrektur ist unver-zichtbar, denn viele Betriebe werden dem Druck nicht standhalten können. A.Quiring

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