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top agrar-SerieStreitgesprächeNutztierhaltung - Bald Schluss mit Schwänzekürzen?

Lesezeit: 10 Minuten

Wie gut geht es unseren Nutztieren? Prof. Dr. Matthias Gauly, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Agrarpolitik, und WLV-Präsident Johannes Röring streiten über Tierwohl und Stallsysteme der Zukunft.


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In welchen Bereichen gibt es Defizite in der Nutztierhaltung?


Gauly: Milchkühe haben eine Nutzungsdauer von unter 40 Monaten, Sauen scheiden mit Fundamentproblemen noch vor dem 4. Wurf aus, manchmal schon vor der ersten Belegung. Mehr als die Hälfte der Legehennen erleiden Knochenbrüche und ein Drittel der Hähnchen haben Fußballenprobleme. Diese Beispiele werden durch die Haltungsverfahren mitverursacht und sind für die Landwirte auch ökonomisch von Nachteil. Hier müssen wir dringend etwas ändern.


Röring: In Teilbereichen gibt es Verbesserungsbedarf. Die Probleme sind aber nicht so groß, wie geschildert. Es gibt auch viele positive Beispiele, wo sich die Haltung deutlich verbessert hat. So stehen heute die meisten Kühe in Laufställen statt in engen, dunklen Anbindeställen. Das Stallklima ist heute besser. Darauf hätte der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten viel deutlicher hinweisen müssen.


Gauly: Das haben wir doch getan. Die Landwirte müssen auch bereit sein, über diese schwierigen Themen zu diskutieren und – wo notwendig – Änderungen herbeizuführen.


Röring: Die Bereitschaft ist da. Dem Verbraucher muss aber bewusst sein, dass er dafür die Kosten tragen muss.


Was muss ein Haltungsverfahren aus Sicht des Tierwohls erfüllen?


Gauly: Es darf den Tieren keine Schmerzen, kein Leiden und keinen Schaden zufügen und muss ein ausreichendes Wohlbefinden ermöglichen. So steht es auch im Tierschutzgesetz.


Nach welchen Kriterien wurden bisher Haltungssysteme entwickelt?


Gauly: Vorrangiges Ziel war es, sichere, hochwertige und günstige Nahrungsmittel zu erzeugen. Entsprechend waren Züchtung und Haltung v.a. auf Rationalisierung, Spezialisierung und Leistungssteigerung ausgerichtet.


Röring: Und dies war auch notwendig, sonst hätten die Landwirte dem Kostendruck des Lebensmittelhandels nicht standhalten können.


Ist dabei das Tierwohl aus dem Blickfeld geraten?


Gauly: Zum Teil. Es war auch nicht gefragt, weder bei den Landwirten noch bei Verbrauchern noch bei den Wissenschaftlern. Das hat sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Jetzt gilt es, den Kompromiss zu finden zwischen dem notwendigen Maß an Tierwohl und den wirtschaftlichen Erfordernissen.


Röring: Teile der Gesellschaft erwarten von uns Landwirten, dass wir die Haltung der Nutztiere kurzfristig ändern. Dafür haben wir weder praktikable Lösungen noch sind die Verbraucher bereit, dafür in größerem Umfang mehr Geld zu bezahlen. Es hat sich aber trotzdem vieles verbessert. Das zeigen die hohen Milch- und Mastleistungen sowie die deutlich verbesserte Fruchtbarkeit bei den Sauen.


Sind 12 000 kg Milchleistung oder fast 30 abgesetzte Ferkel ein Zeichen dafür, dass es den Tieren gut geht?


Gauly: Die tierische Leistung allein ist kein Maßstab für das Tierwohl. Dazu gehört z.B. auch die Tiergesundheit. Das zeigen die große Zahl haltungsbedingter Abgänge und der hohe Antibiotikaeinsatz. Das lässt sich mit optimierten Haltungssystemen deutlich verbessern.


Was halten Sie von Zulassungsverfahren für Haltungssysteme, wie sie Union und SPD anstreben?


Gauly: Ich halte das für zielführend. Bisher hat niemand bewertet, was ein neues Stallsystem für das Tierwohl bedeutet. Da wäre eine systematische Prüfung ein echter Fortschritt.


Röring: Das jetzt vorgesehene Prüf- und Zulassungsverfahren beim Stallbauunternehmen ist grundsätzlich in Ordnung. Entscheidend ist aber, wie das Ganze nachher umgesetzt wird und was es kostet.


Gauly: Ich verstehe die Vorbehalte nicht. Es gibt doch gute Beispiele. Die DLG-Prüfung für Stallbodenbeläge liefert z. B. den Landwirten viele Hinweise für die Optimierung ihrer Ställe.


Röring: Bei den Abluftreinigungsanlagen führt diese Prüfung eben gerade nicht zu den effizientesten und kostengünstigsten Lösungen. Das zeigt die Gefahr solcher Verfahren.


In der Kritik stehen vor allem die nicht-kurativen Eingriffe. Wann können wir auf Schwänze- und Schnäbelkürzen verzichten?


Gauly: Bei den Legehennen erwarte ich am schnellsten eine Lösung. Bei den Schweinen bin ich zuversichtlich, dass wir in 3 Jahren praxistaugliche Lösungen haben. Bei den Puten sehe ich die in den nächsten 5 Jahren noch nicht.


Röring: So euphorisch bin ich nicht. Aber auch wir Landwirte sind fest entschlossen, so schnell wie möglich auf diese Eingriffe zu verzichten. Bisher führen die Ergebnisse der Praxisversuche zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Mal klappt es mit dem Ringelschwanz und mal nicht, ohne dass sich die Ursachen dafür unmittelbar ableiten lassen.


Gauly: Leider handelt es sich um multifaktorielle Verhaltensstörungen, die nicht nur auf dem Haltungssystem beruhen. Auch Öko-Betriebe haben gelegentlich Probleme mit Schwanzbeißen. Die Frequenz ist allerdings akzeptabel niedrig. Um das Problem in den Griff zu bekommen, müssen Fütterung, Genetik und Management optimiert werden.


Darf man vor diesem Hintergrund feste Ausstiegsdaten vereinbaren?


Gauly: Ich bin dafür, ein konkretes, aber realistisches Ausstiegsdatum zu benennen. Das ist ganz wichtig für die Akzeptanz. Andernfalls werden wir nicht ernst genommen.


Röring: Ich halte eine konkrete Festlegung für viel zu gewagt. Was ist, wenn wir unser Versprechen nicht halten können? Dann ist unsere Glaubwürdigkeit schwer beschädigt. In Nordrhein-Westfalen haben wir uns auf einen Ausstiegsfahrplan mit der Politik verständigt. Wir betreiben gemeinsam mit allen Beteiligten Ursachenforschung, erproben alternative Lösungen und wollen erst dann in die breite Umsetzung gehen, wenn wir eine tragfähige Lösung haben.


Wie verlässlich ist die Politik? Der gleiche Minister, der mit Ihnen kooperative Vereinbarungen geschlossen hat, will zugleich über den Bundesrat das Tierschutzrecht verschärfen.


Röring: Für mich gilt das Wort des Ministers, auf Kooperation zu setzen und auf Ordnungsrecht zu verzichten.


Die Verbraucher wünschen sich Kühe auf der Weide sowie Hühner- und Schweineställe mit Außenklimabereichen. Ist das realistisch?


Gauly: Bei Legehennen sind Kaltscharräume schon fast Standard. Bei Milchkühen stoßen wir mit dem Weidegang bei großen Herden an Grenzen, wenngleich es viele Betriebe umsetzen könnten. Kompromisse könnten Laufhöfe und „Bewegungsweiden“ sein. Übrigens sind die Zusammenhänge zwischen Tierwohl und Weidegang nicht so eindeutig belegt, wie das die Befürworter immer behaupten. Auch für Mastschweine gibt es inzwischen funktionierende, wirtschaftlich tragbare Stallsysteme mit Außenklimabereichen, die mittelfristig breitere Resonanz finden werden.


Röring: Diese zusätzlichen Funktionsbereiche führen zu erheblichen Mehrkosten, die derzeit nur von einem sehr begrenzten Kundensegment akzeptiert werden. Wenn wir tatsächlich stärker in die Breite kommen wollen, muss jemand den zusätzlichen Aufwand tragen. Wenn es nicht der Verbraucher ist, wer ist es dann?


Die Käfighaltung von Legehennen und die Einzelhaltung trächtiger Sauen ist verboten. Müssen aus Ihrer Sicht weitere Stallformen folgen?


Gauly: Ich halte grundsätzlich die meisten derzeitigen Systeme für entwicklungsfähig. Bei Milchkühen ist die Anbindehaltung zum Beispiel ein Problem. Sie ist aber strukturell sowieso ein Auslaufmodell. Bei Sauen müssen wir z. B. dahin kommen, die ferkelführende Sau nur noch wenige Tage nach der Geburt im Schutzkorb zu fixieren. Bei den Mastschweinen ist der Vollspaltenboden in dieser Form nicht dauerhaft tragfähig. Hier brauchen wir eine stärkere Gliederung in Funktionsbereiche mit unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit, Beschäftigungsmaterial und verschiedenen Klimazonen.


Röring: Das wird teuer. Die Landwirte sind aber zu Anpassungen bereit. Das zeigen die über 4 600 Betriebe mit zusammen 25 Mio. Schweinen, die bei der Initiative Tierwohl mitmachen wollen und schon viel Geld in den Umbau ihrer Ställe gesteckt haben. Weil der Geldtopf des Handels nicht reicht, kommt nicht einmal die Hälfte der Bewerber jetzt zum Zuge. Und trotzdem wurden nach Registrierungsschluss noch weitere 3 Mio. Schweine angemeldet. Das ist ein starkes Signal.


Bisherige Erfahrungen zeigen, dass bei strengeren Vorgaben für die Tierhaltung v. a. die größeren Betriebe investieren. Heißt das: Mehr Tierwohl führt zu mehr Strukturwandel?


Gauly: Es kann wohl den ohnehin stattfindenden Strukturwandel beschleunigen und das müssen wir der Gesellschaft auch erklären. Das Ausmaß wird stark von den förderpolitischen Rahmenbedingungen abhängen.


Röring: Mit uns ist eine dramatische Verschärfung des Strukturwandels nicht zu machen. Das gefährdet den sozialen Frieden im Berufsstand. Außerdem werden die Stallgrößen schon heute extrem kritisch gesehen. Wir müssen aufpassen, dass wir mit der Lösung eines Problems nicht ein neues schaffen.


Bei der Tierhaltung kommt es auf die Kompetenz der Betreuer an. Hilft ein Sachkundenachweis Tierschutz wie beim Pflanzenschutz weiter?


Gauly: Regelmäßige Fortbildungen können helfen, stets auf der Höhe des Wissens zu sein. Ohne Verpflichtung bleiben sie im stressigen Arbeitsalltag oft auf der Strecke.


Röring: Wir dürfen nicht in Aktionismus verfallen, der Kosten und Bürokratie mit sich bringt. Defizite sehe ich vor allem bei den Mitarbeitern der größeren Betriebe. Diese haben nicht immer eine fachliche Ausbildung und z.T. auch unzureichende Sprachkenntnisse.


Gauly: Sich fortzubilden, schadet niemandem und stößt auch bei vielen auf offene Ohren. Ein erster Einstieg könnte es sein, zunächst die Betriebe zu Fortbildungen zu verpflichten, die auffällig geworden sind.


Inwieweit lassen sich Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen und Federpicken züchterisch bearbeiten?


Gauly: Das ist schwierig. Erstens muss es für das Merkmal „Verhaltensunauffälligkeit“ eine Erblichkeit geben, die zweitens nicht negativ mit Leistungsmerkmalen korreliert ist. Dann muss man drittens über Beobachtungen die richtigen Elterntiere auswählen und mit denen weiterzüchten. Das ist sehr aufwendig und dauert.


Über gesextes Sperma ließen sich zumindest die Probleme mit den überzähligen Bullenkälbern und Ebern lösen. Wann ist dieses marktfähig?


Gauly: Bei Rindern sind wir so weit. Hier gibt es kommerzielle Angebote. Das gesexte Sperma ist aber teurer. Bei Schweinen wird es auf absehbare Zeit diese Möglichkeit für die Praxis nicht geben. Wie intensiv geforscht und was angeboten wird, hängt letztlich v.a. von der Nachfrage der Landwirte ab.


Röring: Das sehe ich auch so. Wenn es über gezielte Anpaarungen mit gesextem Sperma garantiert zuchttaugliche Kuhkälber und Bullenkälber mit verbesserten Masteigenschaften gibt, ist das für die Landwirte auch ökonomisch interessant.


Und die Geschlechtsbestimmung im Ei?


Gauly: Da sind wir von einer Praxisreife noch weit entfernt.


Röring: Wir müssen den Verbrauchern erklären, dass es zurzeit nicht anders geht. Vor allem müssen wir eine akzeptable Verwertung der männlichen Legehennen-Küken finden, z.B. über Zoos und ähnliche Einrichtungen. Wenn wir das Töten der männlichen Küken verbieten, kommen die Küken künftig aus dem Ausland. Wem wäre damit geholfen?


Einige fordern die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn oder zum Zweinutzungsrind. Wird es die geben?


Gauly: Bei den Legehennen sehe ich das momentan für die Breite noch nicht. Die Entwicklungspotenziale sind Gegenstand laufender Forschungen. Beim Rind haben wir noch beides: zum Beispiel die milchbetonten Holstein-Kühe und die auf Milch und Fleischansatz gezüchteten Fleckvieh-Kühe. Hier kann jeder Landwirt die für seinen Standort passende Rasse auswählen. Allerdings gibt es in aller Regel eine hohe emotionale Bindung des Bauerns an „seine“ Rasse. Die wird fast noch seltener gewechselt als die Farbe des Traktors.


Stimmen die Zuchtziele noch?


Röring: Wir brauchen keine Sauen, die regelmäßig mehr Ferkel werfen als sie Zitzen haben. Wir stoßen leistungsmäßig zunehmend an Grenzen. Merkmale wie Tiergesundheit und Tierwohl drohen ins Hintertreffen zu geraten. Hier müssen wir die Zuchtziele nachjustieren.


Gauly: Das ist in den vergangenen Jahren teilweise schon geschehen. Wir haben es beim Schwein und vor allem beim Rind mit relativ langen Generationsintervallen zu tun. Deshalb sind die Ergebnisse des Umsteuerns nicht sofort sichtbar. Wichtig ist es, den Landwirten noch deutlicher zu machen, dass nicht nur in der Erhöhung der Leistung das Heil liegt.


Welche Rolle spielt Deutschland international beim Tierschutz?


Gauly: Wir müssen eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir haben die gesellschaftliche Diskussion ohnehin. Dann können wir sie auch offensiv führen.


Röring: Aber ohne nationale Alleingänge. Die Exportmärkte für tierische Produkte wachsen seit Jahren. Diese dürfen wir nicht gefährden.

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