Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

Aus dem Heft

„Unsere 450 Kühe stehen nicht zur Disposition!“

Lesezeit: 6 Minuten

Agrargenossenschaft Bartelshagen I e.G., Marlow


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Betriebe mit Lohnarbeitsverfassung, aber nicht nur sie, verlieren derzeit 10 Cent je Liter Milch. Trotzdem will Geschäftsführer Wilfried Lenschow an der Milchviehhaltung festhalten.


Um 250 000 € ist das Milchgeld in diesem Jahr in den ersten fünf Monaten gegenüber den allerdings sehr erfreulichen Zahlen des Vorjahres ein­gebrochen“, so Wilfried Lenschow, Geschäftsführer der Agrargenossenschaft Bartelshagen I südlich von Ribnitz-Damgarten, Mecklenburg-Vorpommern. Trotzdem beteuert er: „Die 450 Kühe bei uns stehen für mich nicht zur Disposition!“


Das will etwas heißen. Denn Lenschows Berater von der Landwirtschaftsberatung (LMS) in Bad Doberan haben ausgerechnet, dass die Milchviehbetriebe mit Lohnarbeitskräften im Lande bei Milchpreisen von 22 Ct/l zurzeit 8 bis 10 Cent, selbst bei straff kalkulierten Produktionskosten, verlieren. Bei einer Quote von 3,9 Mio. kg pro Jahr würde das für die Genossenschaft Bartelshagen I aufs Jahr gerechnet 312 000 bis 390 000 € Verlust bedeuten. Ein erfahrener Fuhrmann wie Lenschow aber denkt längerfristig: „Wir haben in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt mit den Kühen eine schwarze Null geschrieben.“ Und er gibt offenbar die Hoffnung nicht auf, dass das auch in Zukunft wieder machbar ist.


Die Gründe für das Festhalten an der Milchproduktion in Bartelshagen haben wir in ähnlicher Form auch in anderen Agrargenossenschaften mit hohem Anteil an Marktfrüchten gefunden. Lenschow:


1. „Wir haben in den letzten Jahren viel in die Milchproduktion investiert, teilweise quer subventioniert über den Ackerbau.“


2. „Wir fühlen uns als Agrargenossenschaft immer auch für die Arbeitsplätze unserer Mitglieder bzw. Mitarbeiter verantwortlich. Und wir haben motivierte und tüchtige Mitarbeiter, auch und gerade im Kuhstall.“


3. „Wir bewirtschaften 500 ha Grünland. Diese Flächen sind für uns auch ein Stück Lebensqualität. Wir haben hier viel Sympa­thie für Naturschutz und eine intakte Umwelt, bei Aufgabe der Milchviehhaltung würde in der Natur hier etwas fehlen.“


Deshalb hält die eG unter anderem auch 70 Mutterkühe für die Aufzucht reinrassiger Fleckviehbullen sowie 1 000 Gänse, 3 000 Enten aller Rassen sowie ca. 1 000 „bunte“ Hähnchen, 400 Perlhühner und 100 Puten. Das bringt zwar nicht viel ein, aber es macht allen Beteiligten Spaß und trägt zum guten Ruf des Unternehmens im Speckgürtel von Rostock bei. Die Vermarktung erfolgt direkt über einen Verkaufswagen. Das Schlachten erledigen im Winter die Schlepperfahrer.


Unerlässliche Landkäufe ­belasten die Liquidität


Dass es sich die eG Bartelshagen I leisten kann, auch Betriebszweige mit viel Lebensqualität, aber nicht immer positiven Beiträgen zum monetären Betriebserfolg beizubehalten, verdankt sie einem guten Management und erfolgreichem Marktfruchtanbau auf fast 3 000 ha Acker­fläche. Insgesamt werden je 600 ha Weizen, Gerste (Durchschnittserträge 65 bis 70 dt/ha) und Raps (35 bis 40 dt je ha) sowie 400 ha Winterroggen, 200 ha Mais und 100 ha Gras zur Vermehrung angebaut.


Ca. 70 % der Flächen werden pfluglos mit einer ganzjährig gemieteten Case-Raupe mit GPS gesteuertem, automatischem Knicklenker-System bearbeitet. „Die Raupe läuft bei uns nach der Ernte 24 Stunden pro Tag und schafft dabei 120 ha.“ Diese Schlagkraft ist deshalb wichtig, weil die Bestellung zwischen dem 1. und 30. September überwiegend erledigt sein sollte.


Im Betrieb sind heute 31 Arbeitskräfte plus 6 Lehrlinge beschäftigt. „Das waren bisher noch alles Mitarbeiter aus der Vorwendezeit“, so Lenschow. „Im letzten Jahr haben wir erstmalig auch einen ehemaligen Lehrling übernommen.“ Das wird in Zukunft mit zunehmendem altersbedingten Ausscheiden von Mitarbeitern häufiger der Fall sein, denn Bartelshagen I ist seit 1998 ein begehrter Ausbildungsbetrieb. „Einige unserer besten Leute gehen zurzeit auch zur Fachhochschule oder zur Uni.“ Die könnten dann später auch in die Leitungsfunktionen hineinwachsen. Der geschäftsführende Vorstand besteht zurzeit aus zwei Personen, dem Vorstandsvorsitzenden Lenschow, der das Vorläuferunternehmen bereits vor der Wende als jüngster LPG-Vorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern führte, und einem Stellvertreter für die Milchproduktion.


40 % der bewirtschafteten Flächen stehen heute im Eigentum der Genossenschaft; ein großer Teil davon wurde allerdings mit erheblichen Fremdmitteln erwor­ben, um den drohenden Abgang dieser Flä­chen an andere Investoren zu verhindern. Wie in vielen Betrieben Ostdeutschlands belasten diese Flächenkäufe die Liquidität der Unternehmen ganz erheblich. Doch die in letzter Zeit gestiegenen Land- und Pachtpreise lassen die finanziellen Belastungen aus den Landkäufen nunmehr auch als rentable Investition erscheinen.


Viele Kündigungen nötig


Die Umwälzungen der Wende werden deutlich, wenn man hört, dass 1991 rund 580 Ge­nossenschaftsbauern abgefunden wur­den, ihre Inventarbeiträge erhielten sowie nach Arbeitsjahren und eingebrachten Flächen entgolten wurden. „Die Entlas­sung der vielen Leute ist mir schon nahegegangen“, so Lenschow. „Ich bin manch­mal dreimal ums Haus gefahren, bevor ich denen die Kündigung übergab.“ Die Verlierer waren vor allem die vielen Frauen, die im Gemüsebau, beim Kartoffelsortieren oder in der Küche beschäftigt waren.


Von den ursprünglich 27 Genossen, die nach der Wende Geschäftsanteile im Unternehmen zeichneten, sind heute noch 17 Mitglieder. Die Hälfte davon hat bei Gründung der Genossenschaft nach der Wende eigene Flächen zwischen 8 und 45 ha eingebracht.


Was wird in 10 bis 15 Jahren aus der Genossenschaft, wenn die meisten der jetzigen Mitglieder in Rente gegangen sind und deren Kinder eventuell kaum noch einen Bezug zur Landwirtschaft haben? Verkaufen die dann im Erbfall ihre Anteile an fremde Investoren?


Lenschow ist anzusehen, diese Frage bewegt ihn nicht erst seit heute: „Unser Betrieb ist für mich ein Stück Lebenswerk. Möchte ich, dass so ein Betrieb fortgeführt wird, wenn ich pensioniert werde?“, sinniert der knapp 50-jährige Betriebsleiter. Für ihn gibt es dazu nur ein eindeutiges Ja. „Aber ob alle so denken, wenn es um den Euro geht?“, fragt er sich.


Was passiert im ­Generationswechsel?


Jedenfalls versucht der Vorstand einem solchen Szenario möglichst entgegenzuwirken. Die Genossenschaft hat nicht zuletzt deshalb einen Beteiligungsfonds aufgelegt, in den regelmäßig ein Teil des Unternehmensgewinns fließt. Der Fonds ist personifiziert, das heißt, das jeweilige Vermögen wird auf den Erben bzw. Nachfolger übertragen oder bei Austritt eines Genossen durch die Zahl der dann berechtigten Mitglieder dividiert und anteilig ausgezahlt. Das macht die Rechtsform e.G. attraktiv. Ein erneuter Rechtsformwechsel ist nicht geplant.


Probleme? Ja, aber eher persönlicher Art. Wilfried Lenschow hat das Gefühl, er müsste, was seine Arbeitsbelastung betrifft, einen Gang zurückschalten. Den Vorsitz im Kreisbauernverband hat er deshalb schon schweren Herzens aufgegeben. Aber auch das gesamte Management der Pflanzenproduktion auf fast 3 000 ha Acker belastet ihn arbeitsmäßig mehr als er sich eingestehen will. Aber diese Aufgabe reizt ihn ungemein, seit er sie kurz vor der Wende übernommen hatte. Loslassen kann er sich hier noch kaum vorstellen. W. Wehland

Die Redaktion empfiehlt

top + In wenigen Minuten wissen, was wirklich zählt

Zugang zu allen digitalen Inhalten, aktuelle Nachrichten, Preis- und Marktdaten | 1 Jahr für 1̶2̶9̶,̶6̶0̶ ̶€̶ 99 €

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.