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Wir Bauern sitzen alle im gleichen Boot

Lesezeit: 10 Minuten

Die neuseeländische Agrarbeauftragte Mel Poulton sieht bei den Herausforderungen, aber auch den Lösungen viele Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der neuseeländischen Landwirtschaft.


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Neuseeland befindet sich aus deutscher Sicht praktisch am anderen Ende der Welt. Da liegt der Gedanke nahe, dass die Landwirte hier wie dort wenige Gemeinsamkeiten jenseits von Boden und Nutztier teilen. Das sieht Mel Poulton anders. Die neuseeländische Agrarbeauftragte weiß als selbstständige Landwirtin aus eigener Erfahrung um die alltäglichen Probleme der Bauern und die Erwartungen, die Politik und Gesellschaft an den Berufsstand stellen.


Mel, Sie sind selbst Landwirtin und zugleich Sonderbeauftragte für Agrarhandel der neuseeländischen Regierung. Können Sie uns etwas über Ihren Agrarbetrieb und Ihren zweiten Job erzählen?


Poulton: Ich betreibe auf der Nordinsel Neuseelands eine Schaf- und Rinderfarm in extensiver Haltung. Ein großer Teil von dem, was ich produziere, geht in Märkte in aller Welt. Ich wurde von den neuseeländischen Ministern für Außenhandel und Landwirtschaft als Sonderbeauftragte ernannt, um Neuseelands Interessen in den Bereichen Handel, Umwelt und Klimawandel zu fördern. Ich bin damit weder eine direkte Mitarbeiterin im Außen- und Handelsministerium oder im Ministerium für die Primärindustrien, noch in speziellen Wirtschaftsgremien oder -organisationen, arbeite aber mit diesen als unabhängige Stimme einer Lebensmittelproduzentin.


Gibt es da nicht Konflikte zwischen Ihrem eigentlichen Beruf und Ihrer offiziellen Position?


Poulton: Nein, im Gegenteil. Es ist sogar sehr wichtig, in dieser Aufgabe jemanden zu haben, der aktiver Landwirt ist und versteht, was Lebensmittelproduktion, Klimawandel, Nachhaltigkeit und Agrarhandel tatsächlich für den Agrarsektor bedeuten. Aus eigener Lebenserfahrung zu sprechen vermittelt Authentizität und Überzeugung bei weltweit diskutierten Themen wie Lebensmittelerzeugung, Ernährungssysteme, Klimawandel, Umwelt und Handel. Auch den in der Praxis tätigen Menschen bedeutet es viel, wenn sie mit jemandem sprechen können, der über ähnliches Wissen verfügt und sich gut in sie hineinversetzen kann. Das gilt ebenso für den internationalen Handel oder internationale Beziehungen allgemein. Es ist eine Tatsache, dass Landwirte rund um den Globus den gleichen Herausforderungen gegenüberstehen, zugegebenermaßen in unterschiedlichen Kontexten. Es ist wichtig für Lebensmittelproduzenten – Landwirte und Bewahrer von Land und Umwelt – in internationalen Foren sprechen zu können und eine positive, konstruktive Stimme rund um Landwirtschaft, Lebensmittel, Umwelt und Klima zu sein. Landwirte haben viel zu bieten, wenn es um praktische Lösungen und das Management integrierter Systeme geht.


Im Sommer 2022 haben die Europäische Union und Neuseeland ein Freihandelsabkommen geschlossen. Die Staatssekretärin im deutschen Bundeslandwirtschaftsministerium, Silvia Bender, hat es ein gutes Beispiel für solche Abkommen genannt. Sehen Sie das aus neuseeländischer Perspektive genauso?


Poulton: Es gibt eine Menge Gutes in diesem Freihandelsabkommen. Die Kapitel zu Umwelt und Nachhaltigkeit sind eine relativ neue Sache. Es ist überhaupt das erste Mal, dass Nachhaltigkeitskriterien in einem solchen Abkommen mit der EU verbrieft wurden. Hingegen hat Neuseeland solche Umwelt- und Nachhaltigkeitskapitel auch in einem weiteren Handelsabkommen mit Großbritannien vertraglich abgesichert. Unserer Regierung ist es wichtig, internationalen Handel, Klimawandel und Nachhaltigkeit immer mehr miteinander zu verknüpfen, um die globalen Herausforderungen anzugehen und beispielsweise auch den Handel mit Agrargütern selbst zum Teil der Lösung zu machen.


Ist Neuseeland nicht sogar der Gewinner der Verhandlungen? Verschiedene Erzeugerverbände wie der Deutsche Bauernverband denken das. Sie beklagen, dass die Vereinbarungen für Schlüsselsektoren wie die europäische Milch-, Schaf- und Rindfleischproduktion zusätzliche Konkurrenz aus Neuseeland schaffen.


Poulton: Ich kann nicht sagen, dass Neuseeland gewonnen hätte. Unsere Milchvieh-, Schaf- und Rinderhalter sind in Wirklichkeit sehr enttäuscht über die Ergebnisse beim Marktzugang in die EU. Wir haben beispielsweise beim neuseeländischen Rindfleisch zollfreie Einfuhrkontingente von gerade einmal 1,5% des EU-Fleischverbrauchs vereinbart. Bei Butter macht das etwa 1,7% des europäischen Verbrauchs aus. Bei Rindfleisch und Milchprodukten ist der zollfreie Marktzugang für Neuseeland also absolut winzig. Ich denke nicht, dass es da irgendeinen Grund zur Sorge für die deutschen oder europäischen Landwirte gibt.


Braucht Neuseeland die EU überhaupt?


Poulton: Neuseeland und die EU haben bereits eine jahrzehntelange Beziehung. Die Europäische Union ist für Neuseeland ein geschätzter Handelspartner. Neuseeland bezieht selbst große Warenmengen unterschiedlichster Art aus der EU. Im Lebensmittelbereich beispielsweise sehr viele Milchprodukte. In meinem Kühlschrank sind das ganze Jahr über alle möglichen Käsesorten aus der EU zu finden. Enorm wichtig für uns ist die Europäische Union auch als Lieferant von Medikamenten und Fahrzeugen. Mit dem Freihandelsabkommen haben wir jetzt einen formellen Rahmen, der helfen kann, die Kosten und Herausforderungen des Handels zu verringern.


Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Fragilität der globalen Lebensmittelversorgung aufgezeigt. Ist es da nicht wichtiger, auf die Ausweitung der Agrarproduktion zu setzen, statt immer neue Natur- oder Klimaschutzziele auszurufen?


Poulton: Man muss das alles ins Gleichgewicht bringen. Wir brauchen auf der einen Seite unbedingt Zugang zu gesunden, nahrhaften und bezahlbaren pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln. Wir müssen diese Nahrungsmittel aber gleichzeitig so erzeugen, dass unsere Umwelt und natürlichen Ressourcen dadurch nicht geschädigt werden, sondern idealerweise sogar davon profitieren. In Neuseeland haben wir ein Maori-Sprichwort, welches uns erinnert, dass, wenn du nicht auf die Natur achtest, sie auch nicht für dich sorgen kann. Wir sind die Bewahrer unseres Landes, unserer Natur und des ganzen Planeten – wir alle miteinander.


Mel, in Deutschland machen Agrarsubventionen in den meisten Jahren gut 40% der landwirtschaftlichen Einkommen aus. Die neuseeländischen Bauern müssen ohne Subventionen auskommen. Wie schaffen sie das?


Poulton: Wir sind außerordentlich unabhängig und übernehmen die volle wirtschaftliche, ökologische und soziale Verantwortung für uns selbst. Neuseeländische Landwirte setzen in besonderem Maße auf Innovationen, Forschung und Entwicklung. Wir versuchen ständig Wege zu finden, unsere Betriebe immer weiter zu verbessern. Es gibt keine staatliche Rückendeckung, die uns hilft. Die jüngsten Reformen zur Bepreisung von Emissionen aus der Landwirtschaft werden bedeutsam sein. Und für einige Landwirte wird es erhebliche Kosten für ihren Betrieb bedeuten, wenn sie die Abgabe bezahlen und unser Emissionsprofil oder unseren Beitrag zur Klimaerwärmung reduzieren müssen. Es bedarf dafür erheblicher finanzieller Investitionen.


Hier kommt der internationale Handel ins Spiel. Neuseeland gibt immer sein Bestes, um hohe Standards zu erfüllen und so Nachfrage zu bedienen, zusätzliche Wertschöpfung und entsprechend höhere Preise zu erzielen und damit auch eine Rendite auf die geleisteten Investitionen zu erhalten. Das ist nicht leicht, so viel kann ich sagen.


Die EU setzt sich und ihren Landwirten mit dem Green Deal und Farm to Fork sehr ambitionierte Ziele beim Klimaschutz und Naturschutz. Neuseelands Regierung geht nach meinem Eindruck sogar noch schneller voran. Beispielsweise über die Besteuerung von Methanemissionen in der Landwirtschaft. Tragen die Bauern diese Steuer und die weiteren Greening-Maßnahmen noch mit?


Poulton: Die neuseeländische Regierung würde es nicht „Methansteuer“ nennen, sondern eine „Abgabe“. Neuseeland wird weltweit das erste Land sein, dass enterische Methanemissionen bepreist. Die meisten neuseeländischen Landwirte akzeptieren, Teil der Lösung beim Klimawandel zu sein und weiter für die Umwelt zu sorgen. Wahr ist auch, dass sich einige unserer Landwirte nicht sicher sind, dass die aktuellen Vorschläge dafür die besten Mechanismen sind.


Aber machen die neuseeländischen Landwirte das denn ohne weiteres mit?


Poulton: Das würde ich so nicht sagen. Unsere Farmer nehmen ihre Aufgabe beim Schutz von Klima, Natur und Tieren sehr ernst und wollen Teil der Lösung sein. Dabei kommt es aber auch auf die Umsetzung der Regierungspolitik an. Im Moment gibt es dafür zwischen Regierung und Bauernschaft noch keinevolle Übereinstimmung, was die besten Mechanismen betrifft. Die Regierung hat einen klaren Plan: Bis 2025 wird ein Bepreisungsmechanismus für Methan, CO2 und Lachgas eingeführt. Das eingenommene Geld soll in die Forschung und Entwicklung emissionsarmer Technologien und Verfahren gehen. Bereits 2030 soll auf dieser Grundlage eine zehnprozentige Senkung der landwirtschaftlichen Emissionen erreicht worden sein.


Es gibt also einen klaren und zeitlich abgestimmten Reduktionspfad. Das ist eine ernste Angelegenheit und wird die Landwirtschaft einiges kosten. Der heimische Schaf- und Rindersektor wird laut Prognosen ein Fünftel der Produktion verlieren, die Milchwirtschaft wahrscheinlich zwischen 5 und 8%, wenn diese Politik so wie vorgeschlagen umgesetzt wird. Hinzu kommt, dass die Regierung schon jetzt Anreize zur Wiederaufforstung in Teilen Neuseelands für die Kohlenstofffixierung setzt. Wir sehen eine Landnutzungsänderung weg von der Schaf- und Rindfleischproduktion hin zu einer Kohlenstoffwirtschaft. Die Botschaft aus alldem ist: Neuseeland nimmt die globalen Herausforderungen als Nation an und will seinen Teil zur Lösung beitragen.


Laut den Federated Farmers – dem neuseeländischen Bauernverband – war die ökonomische Stimmung in der neuseeländischen Landwirtschaft allerdings im August 2022 so schlecht wie nie. Hat das auch etwas mit den Klima- und Umweltschutzplänen der Regierung in Wellington zu tun?


Poulton: Das Reformprogramm der neuseeländischen Regierung ist eine erhebliche Herausforderung für viele Landwirte. Sie machen sich Sorgen über das Tempo des Wandels und den Zugang zu Technologien und Lösungen, aber auch darüber, dass manche Systeme noch nicht zur Verfügung stehen, um den Plan auch umzusetzen. Landwirte ärgern sich, wenn Regulierungen in Abschottung entstehen. Wenn Auflagen sich widersprechen oder auf dem Hof schlecht funktionieren, wo man diese alle ins eigene Bewirtschaftungssystem integrieren muss, dann regt das die Bauern auf. Und dann geht eben auch der Stimmungsindex nach unten. Dabei passiert das in einer Zeit, in der die Erzeugerpreise eigentlich ziemlich gut sind. Gleichzeitig explodieren aber auch die Produktionskosten und die Gewinnspannen werden eher kleiner. Ich vermute mal, es sieht hier in Europa nicht viel anders aus. Wir teilen alle dieselben oder ganz ähnliche Herausforderungen.


Gibt es für diese Frage denn eine Lösung?


Poulton: Ein Teil der Lösung wäre, dass mehr Landwirte ihre Stimme erheben und zum Beispiel öfter auf internationalen Foren über Klimaschutz, Nachhaltigkeit und die Bewältigung dieser Herausforderungen sprechen. Bauern sind sehr innovative, praktische und kreative Leute. Sie denken in Zusammenhängen und sie haben schon Lösungen. Aber auch Fragen. Also bringt die Landwirte zusammen und sie werden umsetzbare Vorschläge machen. Die müssen mit der Politik besprochen und gemeinsam in die Praxis überführt werden.


Man kann keine Agrarpolitik ohne Wissenschaft und das praktische Erfahrungswissen entwickeln, das Landwirte auf positive und konstruktive Weise beitragen können. Genauso wenig lässt sich Agrarpolitik ohne Dialog und klare Problemdefinition entwickeln. Landwirte haben in diesem Prozess nach meiner Überzeugung eine Menge beizutragen. Sie haben nur nicht genügend Gelegenheit, am Konferenztisch zu sitzen und einen Beitrag zu leisten. Landwirte mit praktischer Erfahrung brauchen aber ein Podium, um ihre Ideen und Lösungen einbringen zu können oder auch, um auf die möglichen Konsequenzen von politischen Vorschlägen hinzuweisen.


Ich hoffe, das war hilfreich.


Auf jeden Fall! Vielen Dank für das Gespräch, Mel.


Auf jeden Fall! Vielen Dank für das Gespräch, Mel.


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