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„Wir haben Nackenschläge der heftigen Art erhalten“

Lesezeit: 7 Minuten

Der Ukrainekrieg hat den Bio-Boom beendet. Über die Krise im eigenen Unternehmen und die Folgen für die vielen Nachhaltigkeitsthemen haben wir mit Michael Radau, Gründer und Chef der Superbiomarkt AG gesprochen.


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Herr Radau, „Superbiomarkt“ galt lange als Erfolgsgeschichte. Jetzt kämpfen Sie mit der Zahlungsfähigkeit. Was ist da gerade bei Ihnen los?


Radau: Es stimmt, unsere Situation ist aktuell nicht Vergnügungsteuer-pflichtig. Wir stecken in einem Sanierungsverfahren. Wir befinden uns in dem sogenannten Schutzschirmverfahren. Damit haben wir drei Monate Zeit für einen Sanierungsplan, den das Amtsgericht genehmigen muss und der dann den Gläubigern vorgestellt wird.


Wie sind Sie in diese Lage gekommen?


Radau: Nach den guten Jahren 2020 und 2021 wollten wir expandieren. Das hat mit neuen eigenen Standorten und einer Übernahme in Bielefeld auch gut geklappt. Die Übernahme von Filialen eines Mitbewerbers gestaltet sich hingegen als echte Herausforderung. Fünf Dinge sind dann zeitgleich bzw. zeitnah passiert, von denen wir jedes für sich oder auch zwei hätten wegstecken können, aber alle fünf waren einfach zu viel:


  • Massiv verteuerte Stromkosten in Höhe von 1,5 Mio. € jährlich.
  • Stark angezogene Ladenmieten.
  • Die teure Übernahme mehrerer Filialen eines Mitbewerbers.
  • In Hamburg scheiterte eine Übergabe auf den letzten Metern, was allein rund 1 Mio. € kostete.
  • Das veränderte Kaufverhalten der Menschen seit Ende Februar.


Gab es keine Rücklagen nach den guten Coronajahren? Hat man sich bei der Expansion übernommen?


Radau: Wir haben Rücklagen gebildet, aber wir haben einen relevanten Teil davon in die Expansion gesteckt, die mutig war. Das hätte funktioniert, aber wir haben die genannten Nackenschläge der heftigen Art bekommen. Im Nachhinein haben wir uns wahrscheinlich ein Stück weit übernommen.


Wie geht es jetzt weiter?


Radau: Das Schutzschirmverfahren gibt einige Möglichkeiten, z.B. werden Gehälter für drei Monate von der Agentur für Arbeit übernommen. Außerdem können wir Verträge, z.B. mit Vermietern, neu verhandeln. Wir haben zwei Filialen geschlossen, für die wir keine Perspektive sahen. Zwei bis vier Standorte prüfen wir noch.


Wie hat sich das Einkaufsverhalten in Ihren Märkten in den Wochen nach dem Angriffskrieg verändert?


Radau: Gegenüber 2019 als letztem „normalem“ Jahr hatten wir gute Zuwachsraten. Das hängt aber immer auch vom Standort ab. In Coronazeiten haben sich die Kunden ja deutlich stärker um ihren Wohnort fokussiert. Unser Standort in Münster-Hiltrup hatte seit 2019 ein tolles Wachstum. Am Bahnhof in Bonn haben wir deutlich weniger Kundenfrequenz gehabt, was teils bis heute anhält. Das Umsatzminus von 39% für Bioprodukte insgesamt, das die GfK nennt, kann ich allerdings nicht nachvollziehen.


Sparen die Menschen jetzt beim Lebensmitteleinkauf?


Radau: Wir dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. 2020 und 2021 waren Restaurants und Kantinen zu, Urlaubsreisen nicht möglich. Es wurde viel zuhause gekocht und dafür eingekauft. Damals hatten wir Umsätze, die wir aktuell nicht erzielen können. Seit Ende Februar 2022 haben wir eine völlig andere Lage. Nach dem Kriegsausbruch hatten wir ziemlich schnell eine deutliche Kaufzurückhaltung bei den Kunden.


Wie äußert sich diese Kaufzurückhaltung, und wie gehen Sie damit um?


Radau: Mittlerweile kommt wieder öfter Putenbrust auf den Tisch statt Rinderfilet. Und dazu gibt es dann einen leichten Rosé und nicht mehr den hochpreisigen Rotwein. Sicher werden in Teilbereichen verstärkt Angebote genutzt. Wir bieten aber bewusst nicht zwei Qualitäten an. Billig-Bioprodukte waren und sind nicht unsere Sache, da stehen unsere Mitarbeiter nicht hinter, und die Hersteller würden das auch infrage stellen. Unsere Kunden verbinden mit unseren Waren ebenfalls bestimmte Werte und verlassen sich darauf. Als Handelsunternehmen wollen wir immer hervorheben, dass unsere Produkte ihren Ursprung in der Landwirtschaft haben. Das nehmen auch viele unserer landwirtschaftlichen Lieferanten so wahr und stehen uns auch jetzt treu zur Seite.


Was erwarten Sie für die kommenden Monate am Markt?


Radau: Ganz ehrlich, wir wissen es nicht. Mittelfristig bin ich davon überzeugt, dass immer mehr Menschen erkennen, z.B. wenn sie die aktuell vertrockneten Felder sehen, dass wir etwas ändern müssen. Und für diese Veränderung bieten wir etwas an, und zwar auf einer geschmacklichen, qualitativen Ebene. Wenn ich sehe, dass sich Edeka und Aldi streiten, wer Deutschlands größter Bioladen ist, dann schmunzle ich. Ob die das ernst meinen und auch die Werte dahinter sehen, muss man sich ansehen. Für alle, die das aber konsequent, ehrlich und transparent erleben wollen, sind wir die richtige Anlaufstelle. Und es wird in Zukunft genug Menschen geben, die uns da als Orientierungspunkt sehen.


Wer sind Ihre typischen Kunden?


Radau: Früher kamen die Leute erst in den Bioladen, wenn Nachwuchs kam. Heute kommen Studierende und Jugendliche, aber auch ältere Menschen, mit einer ganz anderen Motivation. Diese sagen uns oft: „Den Blumenkohl kaufe ich hier, weil der bei Euch noch so schmeckt wie früher.“ Unser Kundenstamm ist sehr breit geworden, er macht aber trotzdem nur 30 bis 40% der Bevölkerung aus.


Was bedeutet der Kostendruck für die vielen Nachhaltigkeitsthemen? Werden Tierwohl, Klima- und Artenschutz nun zu Ladenhütern?


Radau: Nein, das glaube ich nicht, es gibt viele, die solche Themen immer noch mit einer ganz hohen Priorität sehen. Es gibt aber auch Menschen, die vor einem Dilemma stehen, die sagen: „Ich weiß, eigentlich ist es besser, aber jetzt gerade nicht.“


Die planetaren Grenzen sind mit dem Ukrainekrieg nicht verschwunden. Wie werden wir den Zielen auch jetzt, bei steigenden Preisen und mit großen Knappheiten gerecht?


Radau: Wir brauchen eine Landwirtschaftswende und eine Ernährungswende. Weniger, dafür hochwertiges Fleisch, mehr Pflanzliches, keine mehrfachen Transporte durchs ganze Land. „Regionalität“ ist uns wichtig. Wir erklären aber auch, wenn der Apfel doch mal aus Chile kommt. Der Apfel, der seit letztem Oktober im klimatisierten Lager beim Demeter-Landwirt im Alten Land lag, steht klimatechnisch wahrscheinlich nicht besser da als der, der per Schiff zu uns gekommen ist. Im übrigen haben wir 2022 nur für ca. vier Wochen Äpfel importiert.


Landwirte wollen in Tierwohl und Nachhaltigkeit investieren. Es scheitert an Genehmigungen, Finanzierung usw. Wie durchschlagen wir den Knoten?


Radau: Ich bin kein Freund der aktuellen Tierwohl-Programme. Das ist für mich nicht konsequent genug. Und die vielen Stolperdrähte im Baurecht sind unsäglich. Das müsste vereinfacht werden, und liberal gedacht, müsste ein Stallbau nach drei Monaten Genehmigungsverfahren auch starten, wenn noch keine Entscheidung gefallen ist. Und wir müssen genug Menschen mitnehmen, um zu ökologischen Tierhaltungskriterien hinzukommen, notfalls über Regularien und Besteuerungen, ähnlich wie beim Rauchverbot.


Schädigt jemand, der eine Bratwurst aus einem Stufe 1- oder 2-Stall isst, seinen Nachbarn wirklich so, wie es ein Raucher tut?


Radau: Ja klar, er schädigt die gesamte Gesellschaft, indem er nicht mithilft, dass der Klimawandel ein Stück weit abgemildert wird.


Wo könnte Landwirtschaftsminister Özdemir aus Ihrer ansetzen?


Radau: Die Ergebnisse der Borchert-Kommission fand ich einen absolut richtigen Zwischenschritt in die richtige Richtung. Das war wirklich das Beste, was in den letzten Jahren als Agrarpolitik auf den Weg gebracht wurde. Jetzt müssten die Schritte umgesetzt werden. Niemand kann ab morgen 100% Bio anordnen. Ehrlicherweise muss man auch uns als Handel in die Pflicht nehmen. Wir haben da etwas versaut. Werbesprüche wie „Qualität ganz oben , Preis ganz unten“ sind Blödsinn. Das lernen wir gerade ganz bitter, ich weiß nur nicht, ob wir schnell genug lernen.


Herr Radau, vielen Dank.


Herr Radau, vielen Dank.


Das Interview führten Matthias Schulze Steinmann und Christian Brüggemann.


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christian.brueggemann@topagrar.com

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