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Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

Aus dem Heft

Wir melken rund um die Uhr

Lesezeit: 5 Minuten

Der Generaldirektor hat keine Zeit. Und wir kommen uns etwas verloren vor, als wir den ersten Betrieb unserer Rundreise erreichen. Wir betreten eine karge Eingangshalle, an der Wand ein Bild mit Portraits der verdientesten Mitarbeiter. Alle blicken finster auf uns herab. Sieht so die russische Landwirtschaft aus?


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Als es dann ganz anders kommt, zeigt sich wieder einmal, dass man sich in Russland nie auf sein erstes Urteil verlassen darf. Wir reisen erst nach über vier Stunden wieder ab – nicht ohne Antworten auf alle unsere Fragen zu bekommen. Und mit dem Management und Wodka auf die Völkerverständigung anzustoßen…


Wir sind im Dorf Schichovalovo, 250 km von Moskau. Hier ist das „alte Russland“, Schwarzerde gibt es nicht, aber vergleichsweise gute Böden. Der Betrieb heißt genau wie das Dorf – das ist hier so üblich.


Fitte Spezialisten:

Vladimir Anatoljevitsch Drogin begrüßt uns. Er ist der Chef-Agronom des Betriebes. Mit ihm haben sich alle anderen Spezialisten im Besprechungsraum des trutzigen Verwaltungsgebäudes versammelt. Nach der klassischen russischen Hierarchie sind die Spezialisten die zweite Ebene des Managements, über allem thront der Generaldirektor. Er trifft alle Entscheidungen, die Spezialisten schlagen (höchstens) etwas vor. Jeder ist für einen Teilbereich des Betriebes zuständig, für die Ökonomie, für die Tierzucht, die Maschinen usw. Sie sprechen sich zwar unterei­nander ab. Zielkonflikte lassen sich dabei nicht vermeiden: Der Tierhalter möchte möglichst gutes Futter, der Ökonom möglichst billiges, der Mechanisator will seine Maschinen schonen.


In Schichobalovo läuft’s scheinbar besser. Die Kollegen werfen sich bei der Diskussion die Bälle zu. Und der Haupt-Mechanisator ist der Ehemann der Tierzüchterin, das hilft bei der Futterqualität.


Schichobalovo gehört zu den erfolgreichsten in der Region, darauf weist der Chef-Agronomist direkt eingangs hin. Als Kolchos, also staatlich verordnete Genossenschaft, wurde der Betrieb 1964 gegründet. Nach der Wende erhielten die ehemaligen Mitglieder jeder 6 bis 8 ha Land – der Betrieb lief weiter als Genossenschaft, mit jeder Menge Verpächter. Nach und nach werden jetzt die Land-eigentümer abgefunden und der Betrieb wandelt sich in eine geschlossene Aktiengesellschaft.


Schwerpunkt Futterbau:

7 500 ha waren bei unserem Besuch unter dem Pflug, 4 300 ha davon für den Futterbau, vor allem Gras und Mais. Denn Schwerpunkt setzen die Leute in Schichobalovo in die Milchproduktion. 50 000 t Futter ernten sie pro Jahr für ihre 4 800 Tiere, die an mehreren Standorten stehen. 2 450 davon sind Milchkühe. Im Schnitt geben die Tiere 18 l Milch pro Tag, macht rund 44 t. In der besten Klasse Extra, wie der Chef-Agronom stolz erzählt. Die Molkereien zahlen gut. Im Sommer 2011 gibt es ordentliche 17,5 Rubel pro Liter (43 Cent). Gute Milch in großen Mengen ist knapp in Russland. Immer noch stammt ein großer Teil aus Hauswirtschaften mit maximal drei Kühen. Als wir den Betrieb besuchen, wird gerade ein amerikanischer Truck mit Milchtankauflieger der Groß-Molkerei Wimmbilldann beladen.


Die Spezialisten zeigen uns stolz ihre neuesten Gebäude. In den drei knallgelben Ställen stehen 1 200 Kühe. Alles ist vom Feinsten und blitzsauber: Planbefestigte Laufflächen, die Gülle landet in drei Lagunen.


320 Menschen arbeiten auf dem Betrieb – Tendenz durch den wachsenden Maschineneinsatz fallend. 120 sind im Stall tätig, 50 im Ackerbau, 30 als Lkw-Fahrer oder in der Baubrigade. Und 65 in der Verwaltung. In Punkto Bürokratie kann es die russische Landwirtschaft im weltweiten Vergleich mit jedem aufnehmen.


20 Stunden Melkzeit:

Im gelben Stall sind 25 Mitarbeiter beschäftigt. Gemolken wird in einem doppel-zwanziger Side-by-Side, und zwar rund um die Uhr in zwei Schichten à 12 Stunden, erste Schicht von 5 bis 15 Uhr, dann zwei Stunden Servicezeit, zweite Schicht von 17 bis 3 Uhr und wieder zwei Stunden für den Service. So erreichen sie in diesem Stall eine respektable Leistung von 7 500 kg pro Kuh und Jahr. Im Vergleich zu den alten Stallungen stieg die Leistung locker um mehr als 20 %.


Der Betrieb will weiter wachsen. Bei unserem Besuch ist gerade ein weiterer Stallkomplex im Bau. 1 800 Plätze sollen es werden, dann mit Melkkarussell aus Deutschland und drei Melkdurchgängen am Tag. Das reicht für zwei Trucks, die direkt ins 250 km entfernte Moskau fahren sollen. Da gibt’s mehr Geld.


Also keine Probleme in Schichobalovo? Dass es doch noch hier und da hakt, sehen wir auf dem Machinenstützpunkt. Hier stehen alte russische Maschinen – teils zerlegt – neben neuen Maschinen aus dem Westen. Alle im Regen, teils im Schlamm und schlecht gewartet. Im Werkstatttor sitzt ein Arbeiter, der scheinbar reichlich auf die Völkerverständigung angestoßen hat. Alkoholismus ist auch in Schichobalovo ein Problem.


Mangelware Mitarbeiter:

Der Betrieb bekommt nur noch schwer neue, gute Flächen dazu. Viele Felder in der Gegend sind stark verunkrautet und ausgelaugt, über Jahre fehlte den aufgebenden Betrieben in der Nachbarschaft das Geld zum Düngen und Spritzen.


Die Getreideerträge liegen im Schnitt bei 4 t pro ha, in den letzten Jahren sogar deutlich darunter. Stark schwankende Milchpreise und die Bürokratie machen dem Betrieb ebenfalls zu schaffen. Und obwohl 320 Mitarbeiter hier arbeiten: Qualifizierte Leute bleiben knapp. Das geben die Spezialisten beim Mittagessen zu.


Trotz der Gastfreundschaft: Einen kleinen Seitenhieb kann sich Vladimir Anatoljevitsch Drogin zum Abschied dann doch nicht verkneifen: „Wenn wir so viele Subventionen bekommen würden wie ihr, wären wir auch so gut.“

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