Ein Kommentar von Patrick Liste, Chefredakteur beim Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben:
Die Anruferin brachte es in wenigen Sätzen auf den Punkt: „Ich habe an einer digitalen Veranstaltung zur Agrarreform und dem Prämienantrag 2023 teilgenommen. Doch statt Antworten habe ich jetzt noch mehr Fragen. Ich schnall’ ab und verstehe es nicht mehr.“
So fühlen sich viele Landwirte. Konkret geht es um die verpflichtende Flächenstilllegung ab 2023. Ursprünglich sollten Landwirte mindestens 4 % ihrer Ackerfläche stilllegen, um die Basisprämie zu erhalten.
Aufgrund des Ukraine-Krieges und auch auf Druck des Berufsstands lässt Bundesagrarminister Cem Özdemir für kommendes Jahr Ausnahmen zu: Landwirte müssen Brachflächen vorweisen, dürfen dort aber Getreide (ohne Körnermais), Leguminosen (ohne Sojabohnen) oder Sonnenblumen anbauen – keine andere Kultur.
Mehrjährige Stilllegungsflächen sind aber nur zum Teil für die Produktion freigeben: Altbrachen aus Agrarumweltmaßnahmen vermutlich schon, andere nicht.
Klarheit bringt der Bundesrat am 16. September. Durch das politische Hin und Her konnten Landwirte ihre Fruchtfolge noch nicht final planen – obwohl die Rapsaussaat längst läuft und sie Saatgut für Wintergetreide bestellen müssen. Zudem zeigt sich, dass die Umsetzung komplizierte Fragen aufwirft: Was, wenn ich auf 1 % meiner Fläche mehrjährige Stilllegung hatte und ich diese Flächen im August gepflügt habe? Was, wenn ich auf 5 % meiner Fläche mehrjährige Stilllegung hatte und die Flächen noch nicht umgebrochen sind?
Aus dem Fiasko leiten sich zwei Forderungen ab
1. Brüssel und Berlin müssen Klarheit schaffen, was 2023 gilt. Die EU muss den deutschen Strategieplan genehmigen, der Bundesrat die Ausnahmen für das kommende Jahr regeln. Und NRW muss klarmachen, welche Agrarumweltmaßnahmen es 2023 gibt. Weil das Interesse der Landwirte groß und das Budget überschritten ist, könnten einzelne Maßnahmen wie „kleine Ackerschläge“ wegfallen.
Für die drei Politikebenen gilt: Es darf nicht sein, dass Landwirte, die sich stark im Umweltschutz engagiert haben bzw. sich für 2023 viele Maßnahmen vorgenommen haben, jetzt zu den Verlierern zählen! Für die Landwirte gilt: Wer noch im Grundantrag nachjustieren muss, sollte das jetzt tun.
2. Die neue Gemeinsame Agrarpolitik läuft bis Ende 2027. Die Branche sollte jetzt schon die Diskussion über die Agrarpolitik nach 2027 anschieben. Denn die Brüsseler Mühlen mahlen langsam. Vielleicht braucht es künftig auch ein ganz anderes System, um die Leistungen der Landwirte zu honorieren und gleichzeitig gesellschaftli- che Akzeptanz zu erzielen.
Viele Fürsprecher hat die sogenannte Gemeinwohlprämie, in der Landwirte freiwillig verschiedene Maßnahmen um- setzen können und diese bezahlt bekommen. Politik, aber auch landwirtschaftliche Verbände und Organisationen sind gefordert, dass die Agrarpolitik kurzfristig klarer und mittelfristig einfacher wird. Damit nicht noch mehr Anrufe eingehen mit der Botschaft: „Ich schnall’ ab.“