Die Zeit für Kompromisse zugunsten eines Deals verrinnt zunehmend. Auch nach der siebten Verhandlungsrunde in diesem Jahr treten die Gespräche zwischen dem Vereinigten Königreich (UK) und der Europäischen Union (EU) über die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen auf der Stelle. Dies machte EU-Chefverhandler Michel Barnier am Freitag in Brüssel vor der Presse deutlich.
"Ich bin entäuscht und sehr besorgt. Aus heutiger Sicht erscheint eine Einigung zwischen UK und der EU unwahrscheinlich. Ich verstehe nicht, warum wir wertvolle Zeit verschwenden". Mit dieser nüchternen Bilanz resümierte Barnier vier Monate und 10 Tage vor dem Vollzug des Brexit zum 1.1. 2021 den aktuellen Verhandlungsstand.
In drei wesentlichen Fragen treten die Verhandlungen seit vier Jahren auf der Stelle. Obwohl Brüssel London freien Zugang zum EU-Binnenmarkt ohne Zölle und Einfuhrbeschränkungen offeriert, will London im Gegenzug keine europäischen Sozial-, Umwelt - und Verbraucherstandards akzeptieren.
Weiterer Stein des Anstoßes aus britischer Sicht ist die Anerkennung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in bilateralen Streitfragen. Dazu ist London ebenso wenig bereit, wie einem Fischereiabkommen zugunsten europäischer Fischer in britischen Hoheitsgewässern zuzustimmen.
London will Freihandel ohne EU-Regeln - Brüssel will EU-Standards ohne Wenn und Aber
London will Freihandel mit 450 Millionen EU-Bürgern ohne Spielregeln erreichen. "Eine derartige Rosinenpickerei" und eine Aushöhlung des EU-Binnemarktes werde es mit der EU nicht geben, stellte Barnier klar.
Seit Beginn des Jahres bereitet sich die EU daher gezielt auf ein No Deal-Szenario vor. Nach dem bereits im Frühjahr in 23 EU-Amtsprachen übersetzten Leitfaden "Wir sind bereit", hat die EU-Kommission seit einer Woche in Videokonferenzen mit allen EU-Hauptstädten einen strategischen Informationsaustausch begonnen.
Alle Unternehmen, Branchen und Dienstleister, die vom Warenaustausch mit UK betroffen sind, werden auf den Tag X ohne einen geregelten Austrittsvertrag Großbritanniens aus der EU vorbereitet.
Für die Lebensmittelwirtschaft Europas geht es um Milliardenumsätze
Für die europäischen Landwirte steht beim Brexit viel auf dem Spiel: 2017 exportierten europäische Lebensmittelproduzenten Waren im Wert von 41 Milliarden Euro nach Großbritannien.
Die nächste Verhandlungsrunde ist für die Woche vom 7. bis 11. September in London terminiert.
Bis Ende Oktober müsste ein von beiden Seiten akzeptierter juristisch wasserdichter Text vorliegen. Denn in den verbleibenden zwei Monaten müßten dann noch das EU-Parlament und alle EU-Mitgliedstaaten dem Verhandlungsergebnis vor Jahresende formell zustimmen.
Die Hoffnung schwindet zunehmend auf ein gutes Ergebnis und mit zunehmendem Realismus macht sich ein "No Hope"- Gefühl in den EU-Institutionen breit.
"Die Uhr tickt", sagte Barnier am Freitag in Brüssel und meinte damit, dass sich die verstrichene Zeit immer mehr zu einer tickenden Zeitbombe entwickele für beide Seiten.