Die Covid-19-Krise hat strukturelle Schwachpunkte bei der Versorgung mit Lebensmitteln in der EU aufgezeigt. Die Einschränkung der Freizügigkeit hat internationale Lieferketten erschwert, Abhängigkeiten von Betriebsmitteln für Landwirte offenbart und die Saisonarbeitskräfte ausgebremst.
"Es ist deutlich geworden, wie wichtig die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft, das Funktionieren von Lieferketten und eine krisenfeste Lebenmittelversorgung sind. Die Corona-Krise hat deutlich unterstrichen: Die Lebensmittelkette ist systemrelevant". Dieses Resumée zog Bundeslandwirtschaftministerin Julia Klöckner als Ratspräsidentin am Dienstagnachmittag nach dem EU-Agrarministertreffen in Koblenz vor der Presse.
Nach mehrstündigen Beratungen in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle hatten die 27 EU-Landwirtschaftsminister das vom BMEL erarbeitete Diskussionspapier "Lehren aus der Coronakrise - Resilienz der Land- und Ernährungswirtschaft, Wertschätzung für Landwirtschaft, Lebensmittel und Tiere", am Dienstag gut geheißen. Mehr aber auch nicht. Konkrete Beschlüsse gab es beim informellen Treffen der Fachminister erwartungsgemäß nicht.
Die Wünsche der Verbraucher nach mehr regionalen nachhaltigen Produkten stoßen bei der Abhängigkeit der Landwirte von Betriebsmitteln aus aller Welt an ihre Grenzen.
Was muss sich in der EU vorrangig ändern, um die Lebensmittelversorgungskette in Zukunft stabiler gegenüber krisenhaften Störungen zu machen? lautete eine an die EU-Landwirtschaftsminister gerichtete Frage.
Die regionale Produktion stärken, den EU-Binnenmarkt nicht unterlaufen und die internationalen Warenketten nicht konterkarieren, nimmt sich wie eine Quadratur des Kreises aus. Mit ihren Antworten versuchten die europäischen Agrarminister diese Grundannahmen auf einen Nenner zu bringen.
EU-Agrarminister sprechen sich für mehr Eigenversorgung in der EU aus
"Die Stärkung des europäischen Binnenmarktes, die Aufrechterhaltung von regelbasierten, diversifizierten Handelsbeziehungen mit Drittstaaten außerhalb der EU, bei gleichzeitiger Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe und die Stärkung der Eigenversorgung sind wichtige politische Antworten". Und es gehe darum, den in der Covid-19-Krise zu Tage getretenen strukturellen Defizite "mit nachhaltigen Lösungen für die Zukunft zu begegnen".
Wojciechowski: "Eine zu starke Abhängigkeit bei Sojaimporten vermeiden"
EU-Agrarkommissar Janusz Wojchiechowski brachte es auf Nachfrage von top agrar so auf den Punkt: "Die regionale Landwirtschaft ist weniger krisenanfällig, da sie weniger auf komplexe und störungsanfällige Wertschöpfungsketten angewiesen ist. Eine zu starke Abhängigkeit vom Weltmarkt bei den Betriebsmitteln wie Sojaimporten muss künftig vermieden werden". Das EU-Parlament hatte im Jahre 2018 die EU-Kommission aufgefordert, eine EU-Eiweißstrategie zu erarbeiten.
Mit dem Aufbau einer nachhaltigen heimischen Eiweißversorgung in der EU sollten ökonomische und ökologische Gewinne gleichermaßen erzielt werden. Mit mehr Eigenständigkeit der EU könnten wirtschaftliche Vorteile für die landwirtschaftlichen Betriebe und die Hersteller von Futter- und Lebensmitteln einhergehen.
Umwelt- und Klimavorteile würden sich zum Beispiel durch verstärkten Leguminosenanbau ergeben. Der Atmosphäre würde Stickstoff entzogen und eine Verringerung der CO2-Emissionen wäre die Folge geringerer Herstellung synthetisch-chemischer Düngemittel. Damit solle aber "kein Protektionismus einhergehen", betonte Wojciechowski vor der Presse.
Klöckner: "Abhängigkeiten von Arzneimittelsubstanzen in Zukunft verringern"
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wünscht sich bei den Betriebsmitteln für die Landwirte mehr Unabhängigkeit bei der Verfügbarkeit von Tierarzneimittelsubstanzen: "Es gibt genug Hersteller in Deutschland und Europa, die Abhängigkeiten von Drittstaaten in Zukunft zu verringern".
"Das bedeutet aber nicht Abschottung oder Konsumnationalismus. Ein regelbasierter internationaler Handel, ein effizienter Binnenmarkt und regionale Kreisläufe sind Seiten derselben Medaille, keine Gegensätze“, so Klöckner vor der Presse.
Die gezielte Förderung im Rahmen der GAP, verstärkte Forschungsanstrengungen und der Ausbau von innovativen Produktionsverfahren und -techniken sowie neue Züchtungstechniken und eine stärkere Digitalisierung sollen die Abläufe der Lebensmittelversorgungskette künftig stabiler und effizienter gestalten. Darin zeigten sich alle EU-Agrarminister in Koblenz einig.