Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Dies denken heute sicher viele nach der erneuten Abstimmungsniederlage von Premierministerin Theresa May gestern und den insgesamt quälenden Monaten des Verhandlungsmarathons um ein Ausstiegsszenario Großbritanniens aus der EU.
Und trotzdem ist der ungeregelte Brexit keine Option. Dafür steht für Europas Landwirte und Lebensmittelproduzenten zu viel auf dem Spiel: Im Jahre 2017 exportierten Bauern aus den 27 Mitgliedstaaten, Fleisch, Milch, Käse und Wein im Warenwert von 41 Milliarden Euro nach Großbritannien. Von den Britischen Inseln erreichten Lammfleisch, Milch- und Käseprodukte sowie Rindfleisch für 17 Milliarden Euro die Verbraucher in der Gemeinschaft.
Heute soll im zweiten Anlauf am Abend über einen „No Deal“-Brexit, also einen ungeregelten Austritt als weitere Option, abgestimmt werden. Für die europäischen Landwirte und Lebensmittelerzeuger aus Frankreich, Deutschland, den Benelux-Staaten und Italien sowie Spanien und Portugals wäre ein ungeregelter Brexit ein harter Schlag.
Holländische Tomaten und deutsche Kartoffeln drohen bei endlosen Staus bei der Verschiffung über den Ärmelkanal und Zollabfertigung an einer britischen Grenze zu vergammeln. Ein reibungsloser Warenaustausch wäre nicht mehr gewährleistet. Viele Lebensmittelproduzenten wären gezwungen, sich neue Absatzmärkte zu suchen. Herbe Verluste drohen für Landwirte diesseits und jenseits des Ärmelkanals allemal.
Bleibt zu hoffen, dass im Unterhaus heute gesunder Menschenverstand obsiegt und ein harter Brexit abgewendet werden kann. Im dritten Anlauf am Donnerstag steht dann ein Votum über eine Verschiebung des Brexits auf der Agenda.
Aber die Option einer Verschiebung des Austritts auf Ende Juni bis kurz vor der Neukonstituierung des EU-Parlaments am 2. Juli treibt Brüsseler Beobachtern ebenso die Schweißperlen auf die Stirn. Denn ein aufgeschoberner Termin würde den Briten noch die Teilnahme an der Europawahl ermöglichen. Aber keiner will, dass die Brexiters auch noch den neuen Kommissionspräsidenten mit wählen könnten.
Der EVP-Kandidat für den Brüsseler Top-Jop, Manfred Weber (CSU), hat am Dienstagabend klargestellt: Die EU dürfe sich nicht in den Sog des Briten-Debakels hineinziehen lassen. Denn es geht um die Zukunft des Kontinents. Die 27 EU-Chefs müssten kommende Woche bei ihrem Treffen in Brüssel über einen Terminaufschub entscheiden. Immer weniger sind dazu bereit.
Die Uhr tickt und in Westminster ist high noon angesagt. Europa braucht keinen Brexit, aber ist er noch zu verhindern? Noch haben es die Unterhausabgeordneten in der Hand, bei den anstehenden Abstimmungen ein wirtschaftliches Chaos für die EU 27 und Großbritannien zu verhindern. Die Hoffnung stirbt zuletzt.