Kommentar von Thomas A. Friedrich
Das kann was werden! Was seit Jahrzehnten undenkbar erscheint, dass ein Deutscher den Top-Job in Brüssel als Kommissionspräsident ergattert, rückt mit Manfred Weber aus dem niederbayerischen Wildenberg ins Reich der Möglichkeiten.
Der 46jährige Niederbayer Manfred Weber wird in Brüssel und Straßburg im Europäischen Parlament als Mann der leisen Töne und als Brückenbauer geschätzt.
Das Herz des naturverbundenen CSU-Politikers gehört den ländlichen Räumen und den darin arbeitenden Menschen. Der Niederbayer kennt die Sorgen der ländlichen Regionen, von den Metropolen wirtschaftlich und kulturell abgehängt zu werden und er weiß, wie viel politischer Sprengstoff darin liegt.
Für die Landwirtschaft bricht er in Sachen EU-Agrarkürzungen eine klare Lanze. Im Gespräch mit top agrar erklärte er unlängst: “Es kann nicht sein, dass zuerst im Agrarbereich eingeschnitten wird“. Die von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge für die Finanzperiode 2021 bis 2027 gehörten auf den Prüfstand. „Was jetzt auf dem Tisch liegt ist nicht in Stein gemeißelt. Wir werden uns dies ganz genau ansehen“, versprach er die Interessen der europäischen Landwirte bei den anstehenden Etatverhandlungen berücksichtigen zu wollen.
Der heimatverbundene europäische Politiker verkörpert im EU-Parlament das absolute Gegenteil eines polternden bajuwarischen Bierzelt-Politikers. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende ist in Europa bekannter als in Wuppertal, Weimar oder Wismar.
Der seit 2014 amtierende Fraktionsvorsitzende der größten im EU-Parlament vertretenen Fraktion der konservativen Europäischen Volksparteien (EVP), hat sich über Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft. Er gilt nicht nur im Rund der wöchentlich tagenden Fraktionsvorsitzenden als zuverlässig. Ein Mann, der Wort hält. Politische Ränkespiele und parteitaktische Manöver sind seine Sache nicht.
Mit dieser Attitüde hat sich Weber als Deutscher bei den Balten, unter den mediterranen Staaten und auch bei den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten in den letzten vier Jahren äußerst beliebt gemacht.
Weber hat das Zeug dazu, nach dem ersten Kommissionspräsidenten Walter Hallstein im Jahre 1958 als zweiter Deutscher in das Hauptquartier der EU-Kommission am Schumanplatz in Brüssel einzuziehen.
„Ich bin stolz Mitglied des Europäischen Parlaments zu sein und verstehe mich als europäischer Politiker“, sagte Weber bei seiner Kandidatenankündigung am Mittwoch in Brüssel.
Von den 751 EU-Abgeordneten sehen viele den Bayer Weber eben nicht als „typischen“ nach Dominanz strebenden Deutschen. Dass Europäer keine Angst mehr haben, von einem deutschen Politiker in der EU in einem Spitzenjob vertreten zu werden, ist eine gute Nachricht.
Der europäische Aufstieg des 46jährigen Manfred Weber geht einher mit dem sich anbahnenden Abstieg der 64jährigen Europapolitikerin Angela Merkel. Auch das ist europäische Realität, wie sie in Brüssel wahrgenommen wird.