Heftige Anklage und schwere Vorwürfe gegen die Landwirtschaft sowie Landwirtschaftsminister Christian Schmidt richtet das Magazin „Der Spiegel“ in der aktuellen Ausgabe von dieser Woche.
Der Minister ducke sich vor Lösungen weg und marschiere als Lobbyist weiter in Richtung Agrarindustrie. Aus Sicht des „Spiegel“ ist es ein unbestreitbarer Fakt, dass die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, die Gesundheit, die Umwelt und das Klima beeinflusse.
Beratend zur Seite standen dem Magazin vor allem Martin Hofstetter von Greenpeace sowie Thomas Schröder vom Deutschen Tierschutzbund. Dementsprechend negativ fällt die Bewertung der Arbeit des Ministers aus. Seine Pläne zur Stärkung bäuerlicher Betriebe und mehr Tierwohl seien nicht glaubwürdig. Zudem habe Schmidt in seiner Amtszeit fast nichts von den angekündigten Vorhaben umgesetzt. Auch an das staatliche Tierschutzlabel, das Schmidt auf der Grünen Woche vorstellen will, glaube demnach niemand mehr.
Landwirte führen sich auf, als gehöre ihnen der Acker
Der Minister sei wiederholt als „Lobbyist der Fleischindustrie“ in Erscheinung getreten, kritisiert der „Spiegel“. Weiter heißt es: „Es ist kurios: Ausgerechnet die hochsubventionierte Landwirtschaft, die kaum zu Wertschöpfung und Beschäftigung beiträgt und um die sich sogar ein eigenes Ministerium kümmert, entwickelt sich zum Teil des Problems statt zum Teil der Lösung.“
Die Autorin des Beitrags, Michaela Schießl, rechnet vor, dass die Landwirtschaft jeden Bürger 106 Euro im Jahr koste. Daher wollten immer mehr von ihnen „die Tierhaltungsbedingungen, den Raubbau an der Natur, die Zerstörung von Grund und Boden nicht länger mitfinanzieren“.
Obwohl das Gehalt der Bauern zu rund 40 Prozent aus den Direktzahlungen und Zuschüssen der EU und des deutschen Staats bestehe, fühlen sie sich laut Michaela Schießl wie „Herren über das Land“. „Sie gehen mit dem Grund und Boden um, als wäre er ihr privates Ausbeutungsgebiet – und nicht die Nahrungsgrundlage für alle Menschen sowie die kommender Generationen“, schreibt sie weiter. Und wenn etwas schief gehe, wie etwa ein Unwetter oder eine Preiskrise, würden sie die Hand aufhalten. „Ihre Ansprüche begründen sie mit ihrem Sonderstatus als Volksernährer. Jede Einmischung des Volkes aber wird empört abgelehnt – obwohl die Bürger nicht nur Kunden, sondern durch die Subventionen auch Geldgeber sind.“
„Bauern ist Blick für das Tier verloren gegangen“
Jeder Außenstehende, der es auf einem Bauernverbandstag wagt, Dinge wie die Tierhaltung zu problematisieren, werde gnadenlos niedergemacht. „Vielen Tierhaltern scheint in der durchökonomisierten Fleischproduktion die Empathie für die Kreatur verloren gegangen zu sein. Dass die meisten Tiere in nicht artgerechte Haltungssysteme gesteckt werden, dass sie statt Erde nur Beton unter den Hufen spüren und nie Sonnenlicht sehen, dass sie sich kaum bewegen können und nichts von dem ausleben, was ihnen angeboren ist, und dass sie ihr kurzes Leben lang krank sind, erscheint in der Logik der Züchter und Mäster ganz und gar schlüssig“, so Schießl weiter.
Im Folgenden wirft sie den Bauern vor, mit dem Enthornen, Kastrieren und Schwänzekürzen gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen. Das würden also Tierhalter unter Tierschutz verstehen. Die heimlich gedrehten Videos aus Ställen von Bauernfunktionären würden dagegen die Wahrheit ans Licht fördern, glaubt sie. Aus diesem Grund habe bereits der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung festgestellt, dass die heutige Tierhaltung nicht mehr zukunftsfähig sei, schreibt sie im Spiegel weiter.
Bei anderen Themen wie Gülledüngung, Antibiotikabehandlung, Vernichtung der Artenvielfalt (Stichwort Feldhamster, Singvögel), Hochleistungssorten und –tieren, Pestizideinsatz, Monokulturen, Klimaerwärmung, Humusverlust etc. sieht es nach Ansicht des „Spiegel“ nicht besser aus.
Die Spiegel-Autorin kommt daher angesichts der „verheerenden Folgen, die die industrielle Landwirtschaft nach sich zieht“, zu dem Schluss, dass das gesamte System „falsch, krank und hochgradig pervertiert“ sei. „Die Krönung des Wahnsinns aber ist, dass viele Bauern trotz der Ökonomisierung ihres Berufs kaum noch von ihrer Arbeit leben können.“
Als Lösung empfiehlt sie die Greenpeace-Studie für das Landwirtschaftsmodell 2050 sowie die Neuausrichtung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nach den Vorgaben von Reinhild Benning und Tobias Reichert von Germanwatch, der am kommenden Donnerstag in Berlin vorgestellt wird. Ebenfalls wegweisend seien die Anklagen des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Heinrich-Böll-Stiftung und Oxfam in ihrem „Konzernatlas“. Darin schreibe BUND-Vorstand Hubert Weiger, dass die Bilanz der deutschen Agrarpolitik der zurückliegenden Jahre verheerend sei. Auch er ist sicher: Der Landwirtschaftsminister habe es nicht geschafft, sich gegen die Lobby der Agrarchemie- und Futtermittelindustrie durchzusetzen.
Bauernverband SH: „Bauern sind also Ausbeuter ohne Empathie?“
Entsetzt reagiert der Bauernverband Schleswig-Holstein auf den Artikel. Ihm fällt direkt auf, dass der Tierschutzbund, Greenpeace, Germanwatch, BUND, Heinrich-Böll-Stiftung und Oxfam als „Kronzeugen“ auftreten. Abgesehen von diesen einseitigen Quellen sei es zudem bedauerlich, dass der Spiegel in keinster Weise die Kosteneffekte berücksichtigt habe. Auch bleibe die Frage offen, wie die vorgeschlagenen Alternativen funktionieren sollen.
„Ohne zu zögern, wahllos und großzügig schlägt der Spiegel auf uns Bauern ein. In der durchökonomisierten Medienwelt scheint das noch immer ein Kassenschlager zu sein“, so Sönke Hauschild in einem Facebookeintrag.
Michaela Schießl war auch Autorin dieses umstrittenen Artikels im Spiegel: