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Bioethanol: Neue Chancen für Getreide und Rüben?

Lesezeit: 9 Minuten

Zukunftsvision: Obwohl Brüssel einige Jahre nach der Osterweiterung die Preise für Getreide, Zuckerrüben usw. dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überlassen hat, erzielen Landwirte für viele ihrer pflanzlichen Erzeugnisse steigende Erlöse. Denn die Märkte werden vom rasant wachsenden Rohstoffbedarf der Biotreibstoff- Hersteller geprägt. Zugegeben, es ist nicht sicher, dass es so kommt. Doch die Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnt zusehens an Bedeutung. Auch die Politik hat das erkannt: Im Juli 2002 beschloss die Bundesregierung mit der Änderung des Mineralölsteuergesetzes die vollständige Steuerbefreiung für alle Biokraftstoffe. Das gilt für alle aus Biomasse hergestellten Treibstoffe wie Pflanzenöl, Biodiesel oder Bioethanol. Bei Mischungen von Biokraftstoffen mit Diesel oder Benzin ist der jeweilige Biokraftstoffanteil steuerbefreit. Politische Begründung der Steuerbefreiung ist, dass mit dem Anbau von Pflanzen Kohlendioxid (CO2) aus der Luft gebunden und damit die Kohlendioxidanreicherung in der Atmosphäre reduziert wird. Bioethanol wird über die alkoholische Vergärung von stärke- oder zuckerhaltigen Pflanzen hergestellt. Was es dabei so interessant macht: ? Als Rohstoffe kommen Getreide, Mais, Zuckerrüben und künftig auch lignozellulosehaltige Biomasse wie zum Beispiel Holz, Grasschnitt oder Ganzpflanzensilage in Frage. Die Kraftstoffproduktion ist also nicht auf wenige Rohstoffe beschränkt. Außerdem können regionale Überschüsse, z. B. in Roggenanbaugebieten, abgebaut werden. ? Bioethanol lässt sich heute schon Ottokraftstoff (Benzin) nach DIN EN 228 bis zu 5% beimischen. Das so hergestellte Biobenzin bietet eine Alternative für Ottomotoren und stellt keine Konkurrenz zu Biodiesel dar. ? Bei der Verwendung von Bioethanol im Benzin ist keine Motoranpassung notwendig. ? Das vorhandene Tankstellennetz kann genutzt werden, so dass keine eigenen Vertriebswege aufgebaut werden müssen. ? Bioethanol ist in vielen Ländern auch innerhalb der EU seit mehreren Jahren als Kraftstoff etabliert und praxisreif. Am einfachsten ist die Vergärung von Rübenzucker Bei der Ethanolherstellung werden die in den Pflanzen enthaltenen Kohlenhydrate über mehrere Zwischenprodukte zu Alkohol (Ethanol) umgewandelt. Am einfachsten ist die Umwandlung bei Zuckerrüben, da der Alkohol direkt aus dem Zucker hergestellt werden kann. Stärke, z. B. in Getreide, muss erst verzuckert werden, bevor sich die alkoholische Gärung anschließt. Bei lignozellulosehaltige Pflanzen wird die Zellulose mittels Säure oder Enzymen aufgeschlossen und in Zucker umgewandelt. Dieses Verfahren findet derzeit kaum Verwendung, da es bislang zu aufwändig und wenig wirtschaftlich ist. Die vergorene Pflanzenmasse, die Maische, wird anschließend destilliert, um den Alkohol zu gewinnen. Übrig bleibt die so genannte Schlempe, die als Tierfutter, Gärprodukt in Biogasanlagen oder direkt als Dünger verwertet werden kann. Der gewonnene Alkohol enthält noch ca. 14% Wasser und lässt sich in mehreren Entwässerungsschritten auf 99,6% Alkoholgehalt konzentrieren. Nach einer aktuellen Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums und der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) variieren die Herstellungskosten für Bioethanol je nach Rohstoff stark (siehe Übersicht). Am günstigsten ist die Herstellung aus zuckerhaltigen Ausgangsstoffen wie Melasse oder Rüben- Dicksaft. Von den Getreidearten gilt Roggen zwar als am schwersten zu vergären. Denn bestimmte Inhaltsstoffe wie Pentosen lassen Roggen schlechter verarbeiten. Dennoch schneidet er wegen der niedrigen Rohstoffkosten im Vergleich zu anderem Getreide und Mais am besten ab. Am teuersten ist die Herstellung von Ethanol aus Kartoffeln. Dafür werden vor allem die Kosten für Transport und Lagerung der über 80 % Wasser enthaltenden Kartoffel verantwortlich gemacht. Mehrere Großanlagen in der Planung Wie in der Studie weiter aufgeführt ist, werden derzeit in Deutschland 220 000 m3 Bioethanol als Trink- und Industriealkohol hergestellt. Rund ein Drittel der Menge wird in ca. 900 landwirtschaftlichen Brennereien mit einer Durchschnittskapazität von 80 m3/Jahr produziert. Im Kraftstoff findet Bioethanol dagegen noch keine Anwendung. Doch eine Beimischung von 5% zum Benzin könnte den Bioethanol-Bedarf in Deutschland auf mindestens 1,6 Mio. m3 ansteigen lassen, so die Studie. Wie die Übersicht zeigt, sind die Herstellungskosten nicht nur vom Rohstoffpreis, sondern auch von der Anlagengröße abhängig. Nach der FNR-Studie würden Neuanlagen wegen der Kostendegression künftig eine Produktionskapazität von ca. 120 000 m3 pro Jahr aufweisen. In diesen Größenordnungen gibt es bereits einige konkrete Vorhaben: ? Die Sauter GmbH baut in Zörbig/ Sachsen-Anhalt eine Anlage für insgesamt 100 000 m3. Eine weitere in der gleichen Größe ist Ende 2004 in Brandenburg geplant. Geplanter Einsatzstoff ist überwiegend Getreide. ? Die Südzucker AG plant an ihrem Standort in Zeitz/Sachsen-Anhalt eine Anlage für 260 000 m3. Vergoren werden sollen Weizen, aber auch andere Getreidearten und Zucker. ? Auch die Nordzucker AG hat Pläne für eine 260 000 m3-Anlage in der Schublade, die am Standort Kleinwanzleben zur Vergärung von Getreide und Zucker entstehen könnte. ? Die Getreide AG plant vier Anlagen für je 100 000 m3 in Rendsburg (Schleswig- Holstein), Neubrandenburg (Mecklenburg- Vorpommern), Karstädt (Brandenburg) und Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Zum Einsatz kommen soll hauptsächlich Getreide. Bei allen Anlagen spielt Getreide die führende Rolle. Der wichtigste Grund dafür ist die bessere Auslastung der Anlagen. Getreide ist ganzjährig lagerfähig. Zuckerrüben sind dagegen nur während der Kampagne verfügbar oder müssen als Rübensaft gelagert werden, beschreibt Dietrich Klein vom Deutschen Bauernverband in Berlin. Klein ist gleichzeitig Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Arbeitsgruppe Biokraftstoffe. Die Zuckerindustrie eröffnet sich damit heute schon die Option, bei einer möglichen Änderung der Zuckermarktordnung zukünftig auch größere Mengen Zuckerrüben über die Kraftstoffproduktion zu verwerten. Getreideüberschüsse könnten abgebaut werden Welche Auswirkungen hätte die Bioethanol- Produktion für die Landwirtschaft? Würden allein die genannten Projekte umgesetzt werden, könnte sich innerhalb von einem Jahr die Bioethanol- Produktion in Deutschland verfünffachen. Geht man davon aus, dass pro m3 Ethanol etwa 2,8 t Getreide benötigt werden, wären für die Menge von 1 Mio. m3 etwa 400 000 ha Getreide notwendig. Für die Landwirte interessant könnte es dann werden, wenn über den neuen Absatzweg das Getreideangebot auf dem Markt knapper wird. Einen ähnlichen Verlauf hat es bei der Biodieselproduktion mit Raps gegeben, meint Christoph Oberndorfer von der Campa Energie GmbH & Co. KG in Ochsenfurt, die auch über den Einstieg in die Bioethanolproduktion nachdenkt. Er schränkt jedoch ein, dass es im Gegensatz zum Raps bei Getreide keine Beschränkung in der Fruchtfolge gäbe. Ob die Bioethanolproduktion daher zu einer Angebotsverknappung bei Getreide führt, hängt davon ab, wie viel Getreide dafür auf den Markt kommt, ist er überzeugt. Ob es zu einer Preissteigerung für die Rohstoffe kommen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Denn unsicher ist, wie Bioethanol im Kraftstoffmarkt bezahlt wird. Mit einem geeigneten Außenschutz sind Preise von ca. 60 bis 65 Ct/Liter denkbar, kalkuliert Martin Tauschke, Bundesverband Biogene Kraftstoffe (BBK). Gegenüber dem derzeitigen Netto-Preis von 88 Cent für den Liter Benzin wäre Bioethanol bei 65 Cent für die Mineralölindustrie interessant, rechnet er vor. Der Benzinpreis an der Rotterdamer Börse liegt derzeit bei 22 bis 25 Ct/l. Dazu käme die Mineralölsteuer von 63 Ct/l, die bei Bioethanol entfallen würde. Wie in der Übersicht kalkuliert, ist eine Produktion bei einem Preisniveau von 60 bis 65 Cent pro Liter Bioethanol bei Rohstoffkosten von 8,50 E je dt Roggen oder 12 E/dt Weizen schon in mittleren, neu gebauten Anlagen möglich. Chance auch für landwirtschaftliche Brennereien Aber sind die oben genannten Bioethanol- Preise realistisch? Für mehr Klarheit könnten entsprechende Terminkontrakte an der Warenterminbörse (WTB) in Hannover sorgen, die zurzeit vom Bundesverband Biogener Kraftstoffe und der WTB erarbeitet werden. Der Vorteil dieses Handelsweges wäre eine Mengenbündelung der einzelnen Angebote über die Börse, was zu mehr Preistransparenz führt, so Tauschke weiter. Daneben wird es seiner Meinung nach auch zu direkten Preisverhandlungen zwischen Herstellern und der Mineralölindustrie kommen. Neue Wege würde die Kraftstoffproduktion auch den landwirtschaftlichen und gewerblichen Brennereien eröffnen. Zwar bezweifeln Kritiker, dass die Biokraftstoffschiene eine Alternative zum 2010 eventuell wegfallenden Branntweinmonopol werden könnte. Aber der Kraftstoffmarkt könnte helfen, die existierenden Brennereien heute schon auszulasten, die über Brennrechte in ihrer Kapazität beschränkt sind. Wenn wir im 24 Stunden- Betrieb an 300 Tagen brennen würden, könnten wir unseren Ausstoß um das zehnfache erhöhen, betont Landwirt Manfred Glitz, der in Ehringhausen bei Werne (Nordrhein-Westfalen) eine Brennerei betreibt. Technisch möglich wäre es, den Kraftstoff parallel zum Trinkalkohol zu produzieren. Damit es keine Konkurrenz zu großen Bioethanolfabriken gibt, wäre eine arbeitsteilige Produktion denkbar. Der in den kleineren Brennereien hergestellte Rohalkohol könnte dann an die größeren Fabriken geliefert werden, um dort weiter entwässert und anschließend vermarktet zu werden, stellt Tauschke (BBK) eine mögliche Verfahrensweise vor. Der Vorteil dabei: Die Menge des in landwirtschaftlichen Brennereien erzeugten Bioethanols würde gebündelt, was bei der Abnahme durch die Mineralölindustrie als unumgänglich angesehen wird. Immer wieder führen Kritiker jedoch die geringe Größe und damit die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Brennereien gegenüber Großanlagen an. Dabei haben die 900 dezentralen Anlagen gegenüber den zentralen Fabriken mehrere Vorteile: ? Die Anlagen sind vielfach abgeschrieben und verursachen kaum noch Kapitalkosten. Daher könnten auch kleinere Anlagen Bioethanol für etwa 65 Cent pro Liter produzieren. ? Landwirte haben eigene, vor Ort erzeugte Rohstoffe ohne hohe Transportkosten zur Verfügung und können die Nährstoffe in den Kreislauf zurückführen. ? Auch die Nebenprodukte wie z. B. die Schlempe lassen sich in dezentralen Anlagen wirtschaftlich verwerten. Es wird bezweifelt, dass die bei der Kraftstoffproduktion anfallende Menge ausschließlich als Futtermittel genutzt werden kann. Denn allein bei einer Tagesproduktion von 60 m3 Bioethanol würden 540 m3 Schlempe anfallen. Alternativ dazu käme auch eine Vergärung in Biogasanlagen in Frage. Der Vorteil: Damit wird aus der Schlempe Strom erzeugt, der sich mit langfristig gesicherten Einspeisevergütungen ins öffentliche Netz einspeisen lässt. Gleichzeitig liefert die Biogasanlage Abwärme, die sich im Brennereiprozess einsetzen lässt. Die Kombination von Biogas- und Bioethanolproduktion ist gerade für dezentrale Anlagen interessant, da hier die Transportwege kurz sind. Fazit Die Bioethanolproduktion öffnet neue Absatzchancen vor allem für Getreide. Auch landwirtschaftliche Brennereien könnten künftig von dem Kraftstoffmarkt profitieren. Haupttriebfeder dafür ist die Befreiung des Biokraftstoffes von der Mineralölsteuer in Deutschland. Viel hängt jetzt von der Ausgestaltung der Durchführungsverordnung zum Mineralölsteuergesetz ab. Sie entscheidet darüber, inwieweit sich Vermarktungsalternativen für landwirtschaftliche Rohstoffe und Agraralkohol bieten. Eine möglichst schnelle Verabschiedung der Verordnung ist daher dringend erforderlich! Hinrich Neuman

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