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Dioxin: Schluss mit den schmierigen Geschäften!

Lesezeit: 7 Minuten

Durch das kriminelle Handeln eines einzelnen Futterherstellers entstehen Tierhaltern in ganz Deutschland finanzielle Einbußen. Der Imageverlust ist riesig. Wer ersetzt die Schäden, und was muss sich ändern?


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Power to the Bauer!“ Das große Logo auf den Silos der Futtermittelfirma Harles und Jentzsch im schleswig-holsteinischen Uetersen wirkt heute wie Hohn und verstärkt die Wut der Landwirte und Verbraucher auf das Unternehmen. Denn Harles und Jentzsch vermarkteten – vermutlich vorsätzlich – dioxinbelastete Fette. Damit schadeten sie mehr als 5 000 Hühner-, Schweine- und Rinderhaltern direkt und der gesamten Veredlungsbranche indirekt. Wie kam das Dioxin in den Futtermittelkreislauf? Welche Schäden gibt es? Und was muss passieren, damit dieser Vorfall sich nicht mehr wiederholt?


175 t Dioxin-Fett in tausende Betriebe verteilt


Der Weg des Dioxins in die Futtersilos auf den Höfen ist inzwischen weitgehend geklärt: Der Futterfetthersteller Harles und Jentzsch hatte rund 175 t technische Fette, die nicht für die Futterherstellung zugelassen waren, über einen holländischen Zwischenhändler von der Biodieselfabrik der Petrotec AG in Emden gekauft. Diese Lieferungen wurden in einer nicht für die Futterproduktion zugelassenen Rührstation bei einer Spedition im niedersächsischen Bösel auf rund 3 000 t Futterfett „gestreckt“ und dann vom 12. November bis zum 23. Dezember 2010 an etwa zwei Dutzend Futtermittelhersteller in Hamburg, Niedersachsen, NRW und Sachsen-Anhalt ausgeliefert. Diese mischten die Fette in Anteilen von 2 bis 10 % in Legehennen-, Geflügel- und Schweinefutter, das dann an Landwirte in fast ganz Deutschland ausgeliefert wurde. Insgesamt könnten so 30 000 bis 150 000 t Futter betroffen sein!


Aufgeflogen ist der Dioxin-Skandal erst durch positive Laborergebnisse bei einem Futtermischer in Dinklage, der sich daraufhin kurz vor Weihnachten selbst anzeigte und so die Behörden auf den Plan rief. Woher allerdings das Dioxin ursprünglich stammt, war bis Redaktionsschluss immer noch offen. Möglicherweise hat der Biodieselhersteller, der auch Altfette als Rohstoff einsetzt, eine belastete Fettpartie zugekauft.


Am unteren Ende der „Dioxin-Pyramide“ standen Anfang 2011 zeitweise fast 5 000 Hühner-, Schweine- und Rinderhalter, die vorsorglich von den Behörden gesperrt wurden. Viele Betriebe wurden offenbar nur deshalb mit einem Vermarktungsverbot belegt, weil ihr Futterlieferant Handelsbeziehungen mit Harles und Jentzsch unterhielt. Entsprechend schnell wurde das Verbot für die meisten Betriebe wieder aufgehoben, wenn diese gar kein belastetes Futter erhalten hatten.


Die tatsächliche Dioxin-Belastung nahm übrigens entlang der Pyramide von oben nach unten immer weiter ab:


Die Fette bei Harles und Jentzsch überschritten den in Futtermitteln zulässigen Grenzwert von 0,75 Nanogramm (ng) Dioxin je kg um das 80-fache.


Die Proben der verfütterten Mischungen enthielten Dioxin dagegen häufig nur noch knapp über dem Limit. Die beanstandete Probe der Firma aus Dinklage enthielt nur noch 1,1 ng/kg Dioxin.


Die erzeugten Eier waren zwar zu zwei Dritteln unauffällig und ein Drittel lag offenbar um den Grenzwert von 3 Pikogramm (pg), was drei Billionstel Gramm entspricht. Bis Redaktionsschluss mussten trotzdem mehrere tausend Legehennen und 150 Schweine gekeult werden, was die Brisanz des Skandals zusätzlich erhöhte.


Auch wenn letztlich nur in wenigen Betrieben tatsächlich Dioxin gefunden wurde, ist der Schaden für das Image der Landwirtschaft gewaltig. Deshalb: Dioxin hat grundsätzlich nichts in Futter und erst recht nichts in vermarkteten Lebensmitteln zu suchen.


Krisen-Management hätte früher greifen müssen!


Wäre der Skandal zu vermeiden gewesen? Experten, Behörden und Politiker sind sich einig, dass das Krisenmanagement schnell und effektiv funktioniert hat. Nach der Selbstanzeige des betroffenen Futtermittelherstellers waren die betroffenen Betriebe schnell gefunden, vorsorgliche Sperrungen fanden statt. Auch der Verursacher und der Weg des Giftes waren schnell klar und Harles und Jentzsch als Schuldiger ausgemacht.


Die Aufzeichnungs- und Kontrollsysteme entlang der Produktionsketten haben sich dabei bewährt – zumindest zu Beginn der Krise. Allerdings darf es künftig nicht mehr, wie in Dinklage, sechs Wochen von der Herstellung der Futtercharge über die Probennahme bis zur Selbstanzeige dauern. Und wenn sich erst drei Wochen später herausstellt, dass ein renommierter Mischer aus Damme seine Lieferbeziehungen nicht komplett an die Behörden gegeben hat, ist das „der Skandal im Skandal“. Künftig muss schneller, konsequenter und transparenter gehandelt werden.


Die Kontrolldichte und die Überprüfung der Eigenkontrollen v. a. in Risikobereichen scheinen die Schwachstellen des Systems zu sein. Der Verursacher konnte dadurch offenbar monatelang Probenergebnisse unterschlagen, Etiketten auf Proben austauschen und die Behörden täuschen. Mindestens drei positive Proben soll es so 2010 in Uetersen gegeben haben. Das zeigt: Das bestehende System lässt sich mit krimineller Energie schnell umgehen. Nicht passende Probenergebnisse können „verschwinden“. Belastete Partien lassen sich über Monate verstecken oder mit unbedenklichen Chargen vermischen, so dass am Ende alles „sauber“ erscheint.


Die drastischen Folgen dieser schmierigen Geschäfte lassen sich kaum in Euro und Cent berechnen. Der DBV rechnete während der Sperrungen mit 40 bis 60 Mio. € Schaden auf den Höfen – pro Woche!


Der tatsächliche Schaden ist kaum zu beziffern


Das sind aber offenbar nur die Kosten für entgangene Erlöse, Proben, Entsorgung von Futterpartien usw. Noch nicht mit eingerechnet sind die mittelfristigen Einbußen der Tierhalter durch die eingebrochenen Erzeugerpreise, den Rückgang der Nachfrage und Importstopps wichtiger Abnehmerländer wie z. B. China und Südkorea. Dass der entstandene Schaden so insgesamt auf mehrere 100 Mio. € anwachsen könnte, wird immer wahrscheinlicher.


Und wer bezahlt betroffenen Landwirten die entstandenen Schäden? Inzwischen haben sich die Juristen der betroffenen Parteien in Stellung gebracht. Anwälte sehen vor allem zwei Möglichkeiten, Schäden ersetzt zu bekommen:


Falls untersuchte Futterpartien den Dioxingrenzwert überschritten haben, sollte man sich an den Lieferanten wenden. Dieser haftet für seine ausgelieferten Produkte und muss Schäden ersetzen.


In den meisten gesperrten Höfen wurden die Dioxin-Werte überhaupt nicht überschritten. Trotzdem wurden die Betriebe von den Behörden teils mehrere Wochen lang vorsorglich gesperrt. „In diesem Fall müssten die Behörden Entschädigung leisten“, erklärt Rechtsanwalt Thomas Hemmelgarn vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband. Das gehe aus einem Urteil zu einem früheren Fall in Nordrhein-Westfalen hervor.


Betroffene Landwirte sollten jetzt Beweise sichern, die Schadenshöhe feststellen und Ansprüche mit Hilfe eines Anwaltes geltend machen (siehe Kasten).


Beim eigentlichen Verursacher des Skandals ist indes offenbar nicht mehr viel zu holen. Harles und Jentzsch meldete Mitte Januar Insolvenz an. So bitter es klingt, vor allem auf den indirekten und schwer zu beziffernden Schäden durch Preisverfall und Lieferstopps könnten Mäster und Eierproduzenten am Ende sitzen bleiben.


Wir halten fest


Der Dioxin-Skandal hat das Vertrauen der Verbraucher massiv erschüttert. Weil ein einzelner Hersteller auf kriminelle Art und Weise Futter versaut hat, steht jetzt eine ganze Branche am Pranger und die zuständigen Behörden und Politiker ebenfalls.


Sich in hochsensiblen Bereichen wie der Fettverwertung fast ausschließlich auf Eigenkontrollen und -verantwortung des Unternehmens zu verlassen, ist, wie sich jetzt zeigt, fahrlässig. Mangels Personal und Geld ist mehr öffentliche Kontrolle bislang aber offenbar nicht leistbar.


Gerade Flaschenhalsbetriebe wie Harles und Jentzsch, die nicht nur große Teile der Futtermittelindustrie beliefern, sondern auch noch mit Risikomaterialien arbeiten, müssen künftig vollständig überwacht werden, und zwar bevor das Futter in den Trögen ist.


Wenn jemand allerdings illegal und skrupellos aus Gewinnsucht Futter panschen will, dann wird er das schaffen – oder die Kosten für Kontrollen und Überwachungen steigen ins Unermessliche. Daher müssen die möglichen Strafen so drastisch sein, dass sie als echte Abschreckung wirken. Sich mit einer Insolvenz und einer Geldbuße bzw. einer kurzen Gefängnisstrafe aus der Verantwortung zu ziehen, das darf künftig nicht mehr möglich sein! Christian Brüggemann

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