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Was bringt den Bauern die Börse?

Lesezeit: 7 Minuten

Wie wichtig sind Agrarbörsen für die Verkaufsentscheidung und Preisfindung? Dr. Ernst-Oliver von Ledebur vom Thünen-Institut und Prof. Martin Bohl von der Uni Münster haben die Zusammenhänge ­untersucht.


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Beeinflussen Terminbörsen die Kassamärkte? Die Börsen stehen seit den immer heftigeren Preis­ausschlägen auf den internationalen Agrarrohstoffmärkten „unter Beobachtung“. Vorwurf der Börsenkritiker: Terminkontrakte für Weizen, Schweine und Co. ziehen Spekulanten magisch an, die mit großen Geldsummen für massive Kursausschläge sorgen! Dagegen argumentieren die Befürworter, erst durch den Börsenhandel würden die Märkte stabilisiert.


Etwas Licht ins Dunkel bringt jetzt eine Studie des Thünen-Instituts in Braunschweig und der Uni Münster. Die Forscher haben die wirtschaftliche Bedeutung der Terminmärkte für den deutschen Agrarsektor und die Einflüsse der Börsen auf die Kassamärkte analysiert.


Formeln und Fragebögen:

Dazu stellten die Wissenschaftler die Beziehung von Kassamarkt und Börsengeschehen rein mathematisch dar. Außerdem untersuchten sie mittels einer Befragung, wie Landwirte und Agrarhandel die Terminbörsen für die Vermarktung nutzen. Aus beiden Methoden zogen sie Schlussfolgerungen, wie sich Preise an Börsen und auf dem Kassamarkt bilden. Empfehlungen für eine eventuelle Regulierung der Märkte und Börsen und zur Informations- und Marktdatenerhebung runden die umfassende Arbeit ab. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Ergebnisse der drei Teilbereiche zusammengefasst dar.


Kurse machen Preise


Zunächst versuchten die Wissenschaftler, mögliche Zusammenhänge zwischen Kassa- und Börsenkursen mathematisch zu belegen. Dazu sammelten die Forscher Erzeugerpreise, Matif- und CBoT-Kurse für Mais, Raps und Weizen von 1999 bis 2012, um langfristige Tendenzen besser erkennen zu können. Außerdem sind in den Zeit­reihen die starken Preisanstiege in 2007/08 und 2010/11 enthalten.


Grundsätzlich zeigen die Kurven langfristig einen engen Zusammenhang (siehe Übersicht 1). Kurzfristig gibt es allerdings Abweichungen von Kassa- und Futurepreisen, die die Forscheru. a. mit einer etwas langsameren Reaktionsgeschwindigkeit der Kassamärkte begründen.


Darüber hinaus errechneten die Forscher mit den gefundenen Preisverläufen folgende interessante Zusammenhänge:


  • Die deutschen Erzeugerpreise für Mais, Raps und Weizen sind seit Langem fest mit den Matif-Kursen verwurzelt.
  • Matif und Kassamärkte laufen langfristig größtenteils parallel.
  • Neue Preise infolge neuer Informationen bilden sich zuerst auf den Terminmärkten.
  • In Paris werden Informationen gesammelt und der Preis „gemacht“ und danach auf Kassamärkten eingepreist.
  • Die Matif wiederum wird maßgeblich vom Geschehen auf den US-Börsen beeinflusst. Damit schlagen die Preisinformationen aus Übersee indirekt bis auf den deutschen Kassamarkt durch.
  • Die Terminmärkte reagieren teils heftig auf Markteinschätzungen und können den Kassamarkt dann mitziehen.


Zusammengefasst meinen die Wissenschaftler: Die Agrarterminbörsen bündeln Marktinformationen, geben diese an die Kassamärkte weiter und besitzen daher für die Preisbildung eine wichtige Bedeutung. Welche Bedeutung Spekulationen im Preisbildungsprozess an der Börse zukommt, analysiert die Studie übrigens nicht. Das soll in einem zweiten Schritt erfolgen.


  • Als wichtiges Nebenergebnis hielten die Forscher fest: Es fehlt an verlässlichen und regelmäßigen Daten. Schon die Suche nach mindestens wöchentlich festgehaltenen Preis- und Kursdaten ist eine Herausforderung. Das gilt besonders für die Kassapreise, nach denen die Forscher aufwendig suchten. Am Ende half die amtliche Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die aber schwer anzuwenden war.


Aus diesem Dilemma ergibt sich nicht nur eine Unsicherheit bei den Ergebnissen, sondern auch eine wesentliche Forderung der gesamten Arbeit: Preise und Kurse der verschiedenen Marktplätze müssen besser archiviert und für Nutzer (Landwirte und Handel) einfacher verfügbar werden (s. u.).


Börsen als Informationsquelle


Die Forscher wollten außerdem herausfinden, wie Landwirte und Agrarhändler die Börsen zur Bildung des Erzeugerpreises nutzen, wie sie sich informieren und wie sie Vermarktungsrisiken minimieren. 40 Landwirte sowie 30 Händler und Verarbeiter aus ganz Deutschland nahmen an der Befragung teil. Auffällig ist, dass die durchschnittliche Betriebsgröße der Landwirte über 600 ha beträgt – befragt wurden also vornehmlich Großbetriebe. Obwohl sich die Forscher damit nach eigener Aussage auf leistungsfähigere und professioneller geführte Betriebe konzentrieren, überraschen die Ergebnisse. Terminmärkte werden vor allem als Informationsquelle genutzt und erst in zweiter Linie zur direkten Preisabsicherung, wobei es zwischen Handel und Erzeuger deutliche Unterschiede gibt:


  • Die Erfasser nutzen die Börsen zur Absicherung und zur Information.
  • Die meisten Landwirte nutzen die Börsen dagegen eher als Informationsquelle als für die Vermarktung ihrer Erzeugnisse. Drei Viertel der Betriebe sichern sich über klassische Vorverträge ab. Bei Raps sind es sogar fast 90 %. Trotzdem entwickelt nur gut die Hälfte der Landwirte eine echte Vermarktungsstrategie, die entweder vor der Aussaat (28 %) oder vor der Ernte (26 %) festgezurrt wird.


Kontrakte, selbst wenn sie indirekt auf die Matif zugreifen (z. B. Prämienkontrakte), fallen deutlich in der Beliebtheit ab: Nur ein Viertel der Befragten nutzt diesen Vermarktungsweg.


Stattdessen liegt auch bei den Großbetrieben die klassische Vermarktung nach der Ernte bzw. aus dem eigenen Lager heraus im Trend. Lediglich ein befragter Weizenanbauer sichert Weizen direkt an der Börse ab – allerdings nur 5 % seiner Ernte! Und mehr als ein Viertel der Befragten gab an, keine spezielle Aus- oder Weiterbildung zum Thema Vermarktung zu haben.


Das Ergebnis deckt sich mit größeren Umfragen: Auch dort gaben nur 4 % der Landwirte an, Börsenkontrakte zur Vermarktung der Ernte zu nutzen (Übersicht 2). Immerhin haben aber 23 % der Befragten schon einmal direkte Erfahrungen mit dem Terminhandel gemacht. Dabei dürfte es aber um reine Anlagegeschäfte gegangen sein, ohne die entsprechende Ware zu besitzen.


Wesentlich beliebter bei den Landwirten sind die Terminbörsen als Informationsquelle für den optimalen Vermarktungszeitpunkt. Zwar halten sich fast 90 % der Befragten an die Aussagen des Landhandels bzw. Genossenschaften (Übersicht 3). Verständlich, sind diese doch meistens auch der spätere Abnehmer der Ware. Zur „neutraleren“ Information haben aber auch die Terminbörsen eine große Bedeutung: Knapp 80 % schauen vor dem Verkauf auf die aktuellen Kursverläufe. Fachzeitschriften kommen übrigens bei 70 % der Befragten zum Einsatz, wenn es um den Verkauf geht.


Damit wird deutlich: Landwirte nutzen die Börsen zur unabhängigen Information über die aktuelle Preisentwicklung. Für die eigentliche Vermarktung greifen auch die befragten professionelleren Großbetriebe auf den Landhandel oder Verarbeiter vor Ort zurück. Klassische Vorverträge oder der spontane Verkauf aus dem Lager bzw. ex Ernte stehen weiterhin hoch im Kurs.


Das muss sich ändern


Wenn die Terminbörsen intensiver direkt zur Preisabsicherung genutzt werden sollen, muss sich einiges ändern. Aus den Ergebnissen der Analyse wurden im Rahmen eines begleitenden Workshops einige interessante Empfehlungen entwickelt:


  • Die Kontraktgrößen müssen kleiner werden. 50 t Weizen pro Kontrakt oder 5 t Butter sind für die meisten Betriebe allein nicht zu stemmen bzw. nicht alle wollen sich in so großem Umfang festlegen. Selbst in größeren Betrieben fehlt dafür mitunter die Bereitschaft.
  • Die vom Handel angebotenen, börsengestützten Vertragsmodelle sind für Erzeuger wenig attraktiv. Das liegt nicht nur daran, dass die Preisabsicherung über den Handel wenig Tradition hat, die Vertragsangebote sind meist auch zu teuer und oder zu unflexibel. Außerdem kann der Handel seine Rohstoffbasis auch gut ohne solche Verträge absichern.
  • Börsenkurse allein helfen Landwirten nicht, die Informationen suchen. Terminmärkte müssten daher auch Umsätze und offene Positionen viel transparenter offenlegen, um die Aussagekraft der Preise besser zu verdeutlichen.
  • Ferner müsste es Landwirten einfacher gemacht werden, die Entwicklung der Basis zu erkennen, um den Kassamarkt einordnen zu können.
  • Darüber hinaus müssten die Börsen­entwicklungen viel stärker von neutraler Seite kommentiert werden. Nur so lassen sich tatsächliche Tendenzen erkennen. Viele Praktiker wünschen sich z. B. eine bundesweite Erhebung der Prämien und Basisbeträge bei börsengestützten Kontrakten. Das könnte z. B. die AMI leisten, die bereits über ein bundesweites Meldernetz verfügt.


Auch die allgemeine Versorgung der Landwirte mit Marktinformationen muss sich verbessern. Denn nur die gleichberechtigte Verfügbarkeit von vielen Informationen über die Märkte und Produktionsbedingungen weltweit führt zu Markttransparenz und Handel auf „Augenhöhe“. Ziel muss eine bessere, schnellere und nach vorne gerichtete EU-Marktberichterstattung sein.


Bislang gibt es aktuelle, regelmäßige, fundamentale Daten leider nur vom US-Landwirtschaftsministerium. Was, wenn dort mal Fehler gemacht werden? Was aus Brüssel kommt, ist dagegen zu spät, zu alt, und der Blick auf kommende Trends findet nicht statt. Das gilt auch für die deutsche Marktberichterstattung von offizieller Seite.


Christian Brüggemann

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