Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

Aus dem Heft

„Wir wollen diesen Konflikt nicht!“

Lesezeit: 8 Minuten

Es herrscht Eiszeit zwischen Russland und der EU. Mit Sanktionen schickt Moskau unsere Preise auf Talfahrt. Und wie sieht es in Russland aus? Wann öffnet Moskau die Grenzen wieder? Wir haben den russischen Agrarattaché Dr. Vladimir Shaykin gefragt.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Wie wirkt das Embargo auf die russischen Agrarmärkte?


Shaykin: Es ist klar, dass das Embargo gegen EU-Agrarprodukte auch unsere Märkte beeinflusst. Es gibt dabei aber Vor- und Nachteile. So steigen beispielsweise unsere Produktionskosten, weil durch die Abwertung des Rubels Betriebsmittel aus dem Ausland wie Düngemittel, Pestizide, Saatgut usw. sehr teuer geworden sind. Auch die Verbraucherpreise für Lebensmittel sind gestiegen. Das ist zwar nachteilig für die Konsumenten. Die Landwirtschaft profitiert davon aber, denn es bringt neue Perspektiven für unsere Produktion.


Wie stark sind die Preise für Nahrungsmittel gestiegen?


Shaykin: Durch das Embargo sind die Verbraucherpreise im Handel um 15 bis 30 % im Schnitt gestiegen. Es mangelt vor allem an Käse und Rindfleisch, weil unser Selbstversorgungsgrad hier nur bei etwa 50 % liegt. Auch Obst und Gemüse ist knapp und teuer, da es überwiegend privat produziert wird. Viele Familien sind Selbstversorger und verkaufen es nicht.


Trotzdem protestiert die russische Bevölkerung nicht gegen höhere Verbraucherpreise?


Shaykin: Nein, es gibt keine Widerstände! Der russische Präsident versucht die sozialen Folgen der Preissteigerungen abzuschwächen. Er unterstützt die Schwachen. Invaliden oder Familien mit vielen Kindern erhalten z. B. Hilfen vom Staat. Er zeigt auch im Fernsehen, dass er mit den Menschen mitfühlt und sich um sie kümmert.


Das reicht der russischen Bevölkerung?


Shaykin: Natürlich sind die Preissteigerungen für die Verbraucher nicht gut, zumal der Arbeitslohn nicht mitsteigt. Aber sie passen sich an. Früher kauften sie ein Kilogramm Käse, jetzt kaufen sie eben nur ein halbes. Außerdem berichten die Medien, dass es in der zweiten Jahreshälfte schon wieder besser wird. Das beruhigt die Russen.


Was sagen denn eigentlich die russischen Verarbeiter zu dem Embargo?


Shaykin: Sie bekommen weniger Rohstoff. Das stimmt! Und teilweise müssen sie die Produktion zurückfahren und sogar Mitarbeiter entlassen. Aber die Unternehmen und der Veterinärdienst Rosselchosnadsor suchen nach Alternativen. Der Chef-Veterinär Sergej Dankwert verhandelt derzeit mit vielen Ländern und zertifiziert weltweit Unternehmen für den Export nach Russland. Nach und nach ersetzen wir deutsche, dänische oder britische Lieferanten.


Wer sind die Ersatzlieferanten, die die EU ersetzen sollen?


Shaykin: Für Fleisch und Fisch ist es vor allem Südamerika, also Brasilien, Chile und Argentinien. Südafrika könnte uns mit Gemüse und Fleisch beliefern. Serbien bietet uns Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukte. Die Türken könnten Rindfleisch und Gemüse liefern. Aus China erwarten wir bereits einige Lieferungen von Schweinefleisch und Rindfleisch. Aus dem Iran bekommen wir möglicherweise getrocknete Früchte. Indien könnte uns schon bald mit Rindfleisch beliefern. Und Bangladesch bietet uns Saatkartoffeln und Meeresfrüchte. Sie sehen, es gibt reichlich Angebote.


Sind die EU-Waren wirklich so leicht zu ersetzen?


Shaykin: Nein, natürlich nicht! Wir bedauern die aktuelle Situation ebenfalls. Die Handelsbeziehungen mit Europa waren wichtig für uns und haben über Jahrzehnte gut funktioniert. Die Logistik, die Kontrollen und auch die Dokumentation liefen meist reibungslos. Die Prozesse funktionierten einfach. Auch mit der Qualität der EU-Produkte gab es selten Probleme. Alle diese Punkte müssen wir mit den neuen Lieferanten erst aufbauen. Das ist aufwendig und wir brauchen Zeit, um Firmen und Personen kennenzulernen. Klar ist aber auch: Je länger das Embargo dauert, desto schwieriger wird es für europäische Lieferanten verlorene Marktanteile zurückzugewinnen.


Nach der Grünen Woche hieß es, Russland wolle kurzfristig Lebendschweine, Innereien und Fette aus Frankreich importieren. Warum ist es dazu dann doch nicht gekommen?


Shaykin: Ich habe die Diskussion verfolgt. Dabei ging es aber auch um Dänemark, Holland und Italien. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube Brüssel hat Frankreich kritisiert, sie würden die Solidarität in der EU unterlaufen. Zu intensiven Verhandlungen kam es deshalb erst gar nicht.


Führt die russische Regierung derzeit Verhandlungen mit anderen EU-Ländern?


Shaykin: Soweit ich weiß nicht – zumindest nicht bilateral. Bewegung gibt es derzeit nur bei Produkten, die nicht von der Importsperre betroffen sind, z.B. Innereien von Rindern. Außerdem bereiten wir uns auf die Zeit nach der Importsperre vor. Wenn es nicht verlängert wird, läuft das Embargo eigentlich am 7. August 2015 aus. Theoretisch könnten Molkereien, die eine Zulassung für Russland haben, dann sofort liefern.


Was ist mit den Gesprächen zu Schweinefleisch?


Shaykin: Das ist wegen der Afrikanischen Schweinepest etwas komplizierter. Im Moment lässt Brüssel nur Veterinärzertifikate für die ganze EU zu. Wenn aber in Polen und Litauen wie aktuell Ausbrüche von Afrikanischer Schweinepest auftreten, können wir keine Zertifikate für die gesamte EU akzeptieren. Wir sind aber bereit für bilaterale Gespräche mit einzelnen Ländern. Ich denke da an Länder wie Frankreich, Italien, Dänemark und Holland, die weit vom Pestgeschehen entfernt sind. Aber ich befürchte, die EU will das nicht.


Darf die EU denn ab August wieder Milchprodukte und Rindfleisch an Russland liefern?


Shaykin: Das hängt von der EU ab. Ich war bei den Gesprächen zwischen unseren russischen Landwirtschaftsminister Fjodorow und seinem deutschen Amtskollegen Christian Schmidt dabei. Unser Minister sagte, dass er bereit sei das Embargo zu lockern, wenn die EU den ersten Schritt macht. Europa hat mit den Sanktionen angefangen. Wir haben nur Anti-Sanktionen verhängt.


Welche EU-Sanktionen meinen Sie?


Shaykin: Das sind die Sanktionen gegen den russischen Finanzmarkt, gegen einzelne Branchen und einzelne Personen. Diese Fragen sind aber auf politischer Ebene zu klären also eher zwischen Putin und Merkel.


Können Sie die Entscheidung der EU teilweise nachvollziehen?


Shaykin: Nein. Wissen Sie, Russland ist nicht am Konflikt in der Ukraine beteiligt. Warum verhängt die EU also Sanktionen gegen die russische Wirtschaft?


Der Verfall des Rubels schwächt die russische Kaufkraft. Sind EU-Waren in Russland derzeit überhaupt noch wettbewerbsfähig?


Shaykin: Europäische Waren sind nun teuer, das stimmt. Das gilt vor allem für Landtechnik. Russische Betriebe kaufen im Moment viel mehr Schlepper in Weißrussland als im Westen. Bei Lebensmitteln muss man berücksichtigen, dass auch russische Produkte nun teurer sind. Vor dem Embargo war es beispielsweise üblich, dass Tilsiter Käse ein bisschen teurer war als der russische. Aktuell haben wir ja keinen Vergleich, aber man kann vermuten, das die Wettbewerbsfähigkeit von ausländischen Produkten nicht besser geworden ist.


Wie wasserdicht ist Ihr Embargo eigentlich?


Shaykin: Offiziell gibt es keinen deutschen oder holländischen Käse in russischen Läden. Unser Veterinärdienst Rosselchosnadsor kann aber illegale Importe nicht zu 100 Prozent verhindern. Es gibt immer Schlupflöcher z.B. über Serbien. Dortige Firmen etikettieren die Produkte einfach um und liefern sie anschließend als serbische Waren nach Russland. Einiges kommt auch über Weißrussland zu uns.


Russland möchte die eigene Produktion ausbauen. Planen Sie eine hundertprozentige Selbstversorgung?


Shaykin: Nein! Wir wollen uns nicht vollständig selbst versorgen. In unserer Doktrin für Lebensmittelsicherheit haben wir 2010 Zielwerte für die Eigenversorgung mit Agrarprodukten festgelegt. Die Werte liegen alle unter 100 Prozent. Für Milch- und Milchprodukte haben wir beispielsweise gesagt, dass die Selbstversorgung nicht weniger als 90 % betragen soll. Bei Fleisch- und Fleischprodukte streben wir einen Wert von 85 % an. Den Rest müssen und wollen wir importieren. Das ist ja auch logisch, denn bei Käse können wir doch gar nicht alles selbst produzieren. Was ist z.B. mit echtem französischen oder echtem deutschen Käse? Es bleibt also immer Platz für Importe.


Tönnies investiert auch in russische Schweineställe. Welche Rolle spielen ausländische Investoren beim Aufbau der russischen Eigenproduktion?


Shaykin: Tönnies ist eine Ausnahme. Die meisten ausländischen Investitionen beschränken sich eher auf den vor- oder nachgelagerten Bereich. Firmen wie Claas, Agravis oder KWS haben zwar in den letzten Jahren in Russland Produktionsstandorte aufgebaut. In die Landwirtschaft direkt investieren hingegen nur wenige. Stephan Dürr ist noch ein Beispiel. Er setzt vor allem auf Milchproduktion und ist damit erfolgreich. Aber auch er ist eine Ausnahme, denn es ist für Ausländer nicht so einfach Land in Russland zu kaufen bzw. zu pachten. Normalerweise müssen Unternehmen erst eine russische Tochter gründen, um in Russland langjährige Pachtverträge schließen zu können.


Kommen wir zum Getreidemarkt. Russland hat als großer Exporteur hohen Einfluss auf die Preise. Wie sind die Aussichten für den russischen Außenhandel?


Shaykin: Entscheidend ist die Situation auf dem russischen Markt. Reicht das Getreide für die Versorgung oder nicht! Einen Exportstopp wie vor einigen Jahren halte ich für sehr unwahrscheinlich. Aber wir müssen flexibel bleiben. Exportsteuern sind deshalb immer denkbar, um das Getreide im Land zu halten. Aktuell sehe ich aber wenig Probleme, denn der Ertrag 2014/15 war relativ gut.


Wie sind die Aussichten für die kommende Getreidesaison?


Shaykin: Die Prognosen sind noch sehr vage und schwanken zwischen 70 und 100 Mio. Tonnen. Die Folgen für unseren Export sind klar: Je kleiner die Ernte, desto weniger exportieren wir.

Die Redaktion empfiehlt

top + In wenigen Minuten wissen, was wirklich zählt

Zugang zu allen digitalen Inhalten, aktuelle Nachrichten, Preis- und Marktdaten - auch direkt per Mail

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.