Die Inflationsrate in Deutschland könnte in diesem Herbst auf mehr als 10 % steigen, den höchsten Wert seit sieben Jahrzehnten. Das sagte der Chef der Bundesbank, Joachim Nagel, der Rheinischen Post. Zweistellige Inflationsraten wurden in Deutschland das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemessen.
Auch für das kommende Jahr gibt der Bundesbankpräsident keine Entwarnung. „Das Thema Inflation wird 2023 nicht verschwinden.“ Russland habe seine Gaslieferungen drastisch reduziert, und die Preise für Erdgas und Elektrizität seien stärker gestiegen als erwartet.
Nachdem im Gesamtjahr 2022 die Inflationsrate in Deutschland nach europäischer Berechnung bei 8 % liegen dürfte, erwartet Nagel für das kommende Jahr eine Rate von 6 %. Der Banker fordert daher weitere Zinserhöhungen durch die Europäischen Zentralbank (EZB).
Alles hängt von der Energie ab
Für die konjunkturelle Entwicklung zeigt sich Nagel pessimistisch: „Wenn sich die Energiekrise zuspitzt, erscheint eine Rezession im kommenden Winter wahrscheinlich. Das Problem der Inflation wird 2023 nicht verschwinden“, sagte Nagel. Versorgungsengpässe und geopolitische Spannungen würden wahrscheinlich anhalten.
Die deutsche Wirtschaft stagnierte im zweiten Quartal 2023 mit einem Wachstum von 0,0 % zum Vorjahr. Gleichzeitig verharrt die Inflation im Juli mit 7,5 % in Nähe ihres 40-Jahres-Hochs, berichtet Business-Insider.
Noch heftiger sieht es in Großbritannien aus. Dort stellen sich Experten auf eine Inflationsrate von 18 % ein – neunmal so hoch wie angestrebt.
Banken spüren Sorge der Kunden
Sparkassen und Volksbanken warnen unterdessen, dass bald 60 % der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte monatlich für die reine Lebenshaltung einsetzen müssen. Der Spielraum für die Kunden werde immer geringer. Die hohe Inflation entziehe den Verbrauchern Kaufkraft, dadurch sinke die Sparfähigkeit, sagten die jeweiligen Bankenverbandspräsidenten Helmut Schleweis und Andreas Martin der „Welt am Sonntag“.
Bei den Sparkassen rechnet man insbesondere im Herbst und Winter mit einer deutlichen Verschärfung der Situation, gerade bei Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Die angespannte Lage zeigt sich laut Deutschem Sparkassen- und Giroverband (DSGV) bereits bei der Überziehung des Girokontos. Wer den sogenannten Dispositionskredit nutze, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken, der schöpfe den Rahmen im Durchschnitt inzwischen „deutlich weiter aus“.