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Bei Rindergrippe Antibiotika sparen

Lesezeit: 9 Minuten

Rindergrippe verlängert die Aufzucht und macht den Einsatz von Antibiotika notwendig. Wie Sie Ihre Kälber vor der Krankheit schützen und Medikamente einsparen, beantworten Prof. Dr. Stefan Krüger und Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge.


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Herr Prof. Krüger, mit dem Herbst erkranken wieder mehr Kälber an Rindergrippe. Reagiert man zu spät, sind bleibende Schäden an der Lunge die Folge. Wie können Landwirte die Krankheit rechtzeitig erkennen?


Krüger: Rindergrippe ist eine Atemwegserkrankung. Viren, wie z. B. BRS-Virus, Parainfluenza-3-Virus, BVD-Virus und BHV-1-Virus verursachen erste Schäden an den Schleimhäuten. Besiedeln Bakterien, wie Pasteurellen oder Mykoplasmen die vorgeschädigte Schleimhaut, kann sich eine gefährliche Lungenentzündung entwickeln. Erste Anzeichen sind Fieber (> 39,5 °C) und eine beschleunigte Atmung. In der Folge kommen dann Husten, klarer Nasen- und Augenausfluss hinzu. Häufig übersehen Landwirte dieses Frühstadium der Grippe und rufen den Tierarzt erst, wenn der Nasenausfluss eitrig ist, Atemnot sichtbar wird und das Kalb nur noch schlecht oder nicht mehr säuft. Im schlimmsten Fall bleiben Schäden an der Lunge zurück, die Tiere kümmern, werden immer wieder krank und stellen ein dauerhaftes Infektionsrisiko für den Bestand dar. Solche Tiere müssen von der Herde getrennt werden.


Rindergrippe ist eine der häufigsten Erkrankungen bei Kälbern. Was macht Rinder gegen Atemwegserkrankungen so anfällig?


Krüger: Das liegt vor allem in der besonderen Anatomie der Lunge. Diese ist nämlich im Vergleich zum Tierkörper relativ klein. Daher muss die Rinderlunge im Vergleich zu anderen Tierarten Höchstleistungen erbringen, um ausreichend mit sauerstoffreicher Luft versorgt zu werden. Bei erregerhaltiger Luft besteht deswegen eine hohe Kontaminationsgefahr der Lunge. Fällt nun aufgrund einer Entzündung ein Teilbereich der Lunge aus, hat das Tier nur noch wenig Reserven zum Atmen. Darüber hinaus endet das Lungenwachstum erst nach einem Jahr und ist daher besonders anfällig für Erkrankungen.


Reicht es also, auf saubere Luft im Kälberstall zu achten?


Krüger: Nein! Die Erreger allein führen nur selten zu einer Erkrankung. Die Ursachen liegen zu 70 bis 80 % in Umweltfaktoren, wie kalter Witterung, häufigen Temperaturumschwüngen mit hoher Luftfeuchtigkeit sowie in Haltungs-, Hygiene- und Fütterungsmängeln.


Mahlkow-Nerge: Landwirte müssen mit ihrem Tierarzt ganzheitliche Lösungen erarbeiten, wenn sie Kälber und Jungrinder vor Rindergrippe schützen wollen. Nur so können sie wertvolle Tage in der Aufzucht und Medikamente einsparen. Die größten Reserven liegen meiner Meinung nach jedoch in der Biestmilchversorgung, Reinigung der Stallabteile und Belegungsdichte. Außerdem sind in vielen Außenklimaställen ohne ausreichenden Schutz hohe Windgeschwindigkeiten das Problem Nummer eins. Die Kälber produzieren selbst noch nicht ausreichend Körperwärme, kühlen schnell aus und erkälten sich. In Warmställen hingegen leistet Zugluft der Rindergrippe Vorschub. Reicht die Lüftung hingegen nicht aus, und liegt die Luftfeuchtigkeit über 80 %, können sich die Infektionserreger gut ausbreiten. Das ist insbesondere im Winter der Fall.


Kälber benötigen also auf der einen Seite Frischluft, dürfen auf der anderen Seite aber nicht auskühlen. Wie sieht das optimale Haltungssystem für Kälber aus?


Mahlkow-Nerge: Grundsätzlich hat sich in der gesamten Kälberaufzucht die Außenklimahaltung bewährt, da sie Abwehrkräfte der Kälber stärkt. Die Stallung muss, unabhängig vom Alter, Kälbern jedoch die Möglichkeit geben, ein Mikroklima aufzubauen. Das Mikroklima ist die Lufttemperatur, die den Körper des Kalbes unmittelbar umgibt.


Krüger: Damit Kälber ein Mikroklima aufbauen können, empfehle ich bis zu einem Alter von 14 Tagen Einzeliglus. In der darauffolgenden Gruppenhaltungs-Phase hat es sich bewährt, eine Zwischendecke in einer Höhe und Tiefe von 1,50 bis 1,70 m einzuziehen. Die Zwischendecke sollte höhenverstellbar und hochklappbar sein, um sie einerseits den klimatischen Gegebenheiten im Sommer und im Winter anzupassen und andererseits um leicht darunter ausmisten zu können.


Und welche Haltung hat sich für Jungrinder bewährt?


Mahlkow-Nerge: Für Jungrinder ab einem halben Jahr eignen sich am besten separate Jungrinderställe, die den Bedingungen im Milchkuhstall angepasst sind. Das vermindert später den Stress bei der Eingliederung in die Milchkuhherde. Ich habe gute Erfahrungen mit Offenfrontställen gemacht, bei denen die offene Seite nach Süden oder Süd-Ost ausgerichtet ist. Damit die Tiere mit Frischluft versorgt werden ohne auszukühlen, müssen Landwirte beim Bauen ein paar Faustzahlen beachten. Die Öffnungshöhe muss z. B. im Verhältnis 1 : 3 zur Stalltiefe stehen und die Dachneigung 8 bis 10 % betragen. Das Pultdach muss außerdem unbedingt isoliert sein.


Krüger: Nicht jeder kann den perfekten Stall vorweisen oder einen neuen bauen, aber ein Mindestmaß an Hygiene sollte jeder einhalten.


Welche Mindeststandards an Hygiene erwarten Sie von den Landwirten?


Krüger: Das fängt bereits in der Abkalbebox an: Um den Infektionsdruck für die Kälber zu senken, sollten die Kälber möglichst schnell in ihr Iglu gebracht werden. Die Liegeflächen müssen trocken, weich und sauber sein. Es eignen sich gehäckseltes und geschnittenes Stroh. Leider fällt mir in der Praxis immer wieder auf, dass Ställe unzureichend gemistet sind. Die dadurch entstehenden Schadgase wie Ammoniak schädigen bereits in niedrigen Konzentrationen die Schleimhäute der Atemwege und machen sie empfindlich für das Eindringen von Erregern. Rindergrippe ist dann vorprogrammiert. Außerdem bekommt jedes Kalb seinen eigenen Nuckel, der täglich gereinigt und für jedes neu eingestallte Kalb desinfiziert wird.


Mahlkow-Nerge: Darüber hinaus halte ich es für sinnvoll, beim Wechsel von Einzel- auf Gruppenhaltung mindestens alle sechs Wochen eine neue Kälbergruppe zusammenzustellen, damit die Tiere etwa den gleichen Immunstatus haben. Altersgemischte Gruppen haben ein deutlich größeres Infektionspotenzial. Größere Betriebe müssen darauf achten, kleinere, übersichtlichere Gruppen bis 15 Kälber pro Tränkestation zu bilden. Der Rangordnungsstress und Infektionsdruck können so weiter minimiert werden. Außerdem können Landwirte die Krankheitsverläufe besser kontrollieren. Oberste Priorität im Hygienemanagement hat das Rein-Raus-Verfahren mit z. B. 14-tägiger Entmistung. Das bleibt nicht nur Großbetrieben vorbehalten. Auch kleinere Betriebe können dieses Prinzip anwenden, indem sie z. B. fünf Kälber in Gruppen-Iglus aufstallen. An einer Reinigung mit einem Dampfstrahler in Kombination mit einer Desinfektion nach den Durchgängen führt meiner Meinung nach kein Weg vorbei. Nur das gehört in der Praxis leider nicht zur Tagesordnung.


Ein Problem in der Bullenmast ist, dass Tiere von verschiedenen Betrieben zusammengeführt werden und sich leichter infizieren. Was können Bullenmäster tun, um sich gegen Rindergrippe besser zu wappnen?


Krüger: Bei diesem sogenannten Crowding ist das Immunsystem enorm gefordert: Es muss sich mit einem Schlag mit vielen Erregern auseinandersetzen. Umso wichtiger ist es für die Mäster, bei der Einstallung den Gesundheitszustand der Kälber genau anzugucken. Um keine Anzeichen zu übersehen, arbeitet man am besten folgende Fragen wie eine Checkliste ab: Ist das Kalb lebhaft und aufmerksam? Glänzt sein Fell? Sind Augen und Nase frei von Verkrustungen oder Ausfluss? Ist die Atmung normal, also 30 bis 40 Atemzüge pro Minute, oder beschleunigt? Ein Potenzial in der Einsparung von Antibiotika liegt schließlich auch darin, Rindergrippe frühzeitig zu erkennen. Außerdem sind die Heilungschancen von Rindergrippe in diesem Stadium höher. Darüber hinaus sollten Bullenmäster aus möglichst wenigen Beständen Tiere zukaufen. Um weiteren Stress zu reduzieren, kann man die neu zugekauften Kälber erst einmal ein paar Tage für sich und getrennt von anderen Tieren aufstallen. Jeder Stress steigert die Krankheitsanfälligkeit. Hier leisten Schutzimpfungen einen wertvollen Beitrag zum Gesundheitsmanagement.


Neben Haltung und Hygiene nimmt auch die Fütterung Einfluss auf die Abwehrkräfte der Kälber. Welches ist der häufigste Fütterungsfehler?


Mahlkow-Nerge: Vielfach werden Kälber in den ersten Lebenswochen unzureichend mit Milch versorgt. Im Winter führt das schnell zu einem Energiedefizit. Jede unzureichende Energieversorgung bedeutet letztlich nur eines: Die Kälber werden abwehrschwächer und damit auch deutlich empfänglicher für Atemwegserkrankungen. Aber es werden auch Fehler in der Biestmilch-Fütterung gemacht, das heißt, dass zu spät oder nicht genügend gefüttert wird.


Wie sieht denn die optimale Fütterung aus?


Mahlkow-Nerge: Dazu muss man sich den Energiebedarf der Kälber vor Augen führen. Der Energiebedarf eines 50 kg schweren Kalbes beträgt nur für deren Erhaltung 10 MJ ME. Das sind 4 Liter Vollmilch oder aber 650 g Milch­austauscher (MAT). Und das gilt nur für die sogenannte thermoneutrale Zone, die in den ersten drei Lebenswochen zwischen 15 und 25 °C liegt. Jede Temperaturabsenkung um 1 °C steigert den Erhaltungsbedarf der Kälber um 1 %. Bei 0 °C braucht das Kalb einen Liter Vollmilch mehr – und zwar nur für den Erhaltungsbedarf. Bei einer minimalen Tageszunahme von 400 g benötigt so ein Kalb 15,6 MJ ME, 6,4 Liter Vollmilch oder 1 020 g MAT. Für 600 g Tageszunahmen müsste es 7,7 Liter Vollmilch oder 1 230 g MAT zu sich nehmen. Oftmals kommen die Tränkemengen in der Praxis nicht über 6 Liter am Tag hinaus. Das reicht für Erhaltung, Wachstum, Krankheitsabwehr und Temperaturausgleich nicht aus.


Dann kann also auch die ad libitum-Tränke einen Beitrag zur Rindergrippe-Prävention leisten?


Mahlkow-Nerge: Absolut! In den ersten zwei bis drei Lebenswochen haben sich 8 bis 14 Liter Vollmilch/Tag, oder 19 bis 34 MJ ME sehr gut bewährt. Damit sind auch Tageszunahmen von 900 bis 1 000 g möglich. Das ist keine Utopie. Kälber können das durchaus realisieren. Ab dem ersten Lebenstag dürfen Wasser und wenig später auch Festfutter nicht fehlen.


Krüger: Landwirte, die ihren Kälbern Vollmilch tränken, sollten unbedingt Vollmilchaufwerter einsetzen. Denn oftmals entspricht der Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementgehalt nicht dem Bedarf der Kälber.


Wie wichtig sind Impfungen, um Kälber vor Rindergrippe zu schützen?


Krüger: Die Antikörper, die das Kalb über die Biestmilch aufnimmt, bieten einen Schutz, der über die ersten Lebenswochen anhält. Während die sogenannte passive Immunität des Kalbes gegen viele Krankheitserreger über die ersten drei Lebensmonate abnimmt, steigt die sogenannte aktive Immunität, also die selbst erworbene Immunität des Kalbes, erst an. Dabei kann die sogenannte immunologische Lücke entstehen, in der sich das Kalb nicht ausreichend gegen Krankheitserreger wehren kann. Impfungen mit Antigenen können zusätzlich vor Infektionen mit Rindergrippe-Viren und -Bakterien schützen. Die Kosten der vorbeugenden Impfungen sind im Vergleich zu den wirtschaftlichen Verlusten, die durch geringere tägliche Zunahmen, zeitweilige Entwicklungsstörungen, Kümmern bis hin zum Verenden der Tiere entstehen, deutlich geringer. Durch Impfungen lassen sich also auch Antibiotika einsparen.


Das Gespräch führte top agrar-Redakteurin Svenja Pein.

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